KAPITEL
Sexistische Werbung Cut Cut

Ballonbrüste und Speichelfluss

Ein Dekolleté knapp vorm Platzen meets sabbernden Lustmolch: Sexistische Werbung ist auch 2017 en vogue. Ein besonders hässlicher Entwurf, ausgerechnet an einer Baustelle, wirft Fragen auf. Letzte Woche fuhr ich mit dem Bus durch Hannover, eine, so vermutete ich, fortschrittliche, norddeutsche Stadt. Dann fielen mir unerwartet die Augen aus dem Kopf.  Der Bus fuhr durch eine Seitenstraße an einer Kirche vorbei, dann an einem Baugerüst. Und dort hing die hässlichste Werbung, die ich seit langem gesehen habe.

sexistische werbung_cut

Ich war überwältigt von so viel grotesker Geschmacklosigkeit. Während man Brüste überall sieht, sind gaffende Typen zwar impliziert, doch normalerweise nicht mit auf den Bildern mitverewigt. Und trotz aller kluger Analysen, die ich in Studium, Beruf und Freizeit zu Medien und Gender gelsen hatte, stellte mich dieses Plakat vor viele, viele Fragen:

  • Was ist hier eigentlich schlimmer: Das Frauen- oder das Männerbild? Schließlich stellt diese Werbung nicht nur Frauen als kopflose Sexobjekte dar, sondern auch Männer als sabbernde Kreaturen, die die Kontrolle über ihren Speichelfluss verloren haben (siehe tropfender Spuckefaden – „Dank“ sei dem Designer mit Liebe zum Detail).
  • Sexuelle Belästigung auf den Straßen ist ein globales Problem. Baustellen gelten als Hochburgen des Johlens, Pfeifens und ekliger Sprüche. Und das wird in meinem ach so fortschrittlichen Heimatland glorifiziert? Im Jahr 2017? Seriously?
  • Wie viele Arbeiter, die auf dieser Baustelle tätig sind, verhalten sich so bescheuert wie die Männchen auf der Zeichnung? Viele? Manche? Keine? (Anm: An dem Tag, an dem ich in der Stadt war, war die Baustelle geschlossen.)
  • Fühlen sie sich von der Werbung motiviert, legitimiert, oder diskriminiert?
  • Wie wirkt so ein Plakat auf Kinder und Jugendliche jeden Geschlechts?
  • Wie verarscht fühlen sich geflüchtete Menschen, denen sonst unaufgefordert eingebimst wird, sie sollten Respekt vor „unseren Frauen“ haben?
  • Findet so eine Werbung irgendjemand noch witzig oder originell?
  • Hat sie eine positive Auswirkung auf die Auftragslage der Firma? Eine negative?
  • Berührt sie viele Menschen genau so unangenehm wie mich?

Während ich vor mich hingrüble, fällt mir eine Entwicklung am anderen Ende der Welt ein, von der ich vor Kurzem las. Sie geschah in Lima, Peru, wo ich 2013 lebte und wo jede Baustelle mein Joggingprogramm in einen Spießrutenlauf verwandelte. Das obszöne Gegröle setzte stets wie auf Kommando ein. Eine Baustelle im Stadtteil Miraflores setzt dem nun etwas entgegen: „Auf dieser Baustelle pfeifen wir keinen Frauen hinterher und sind gegen sexuelle Belästigung“, steht dort nun auf Schildern zu lesen. Und auch, wenn das selbstverständlich sein sollte, ist es eine wichtige und begrüßenswerte Initiative, wenn es eben leider (noch) nicht selbstverständlich ist. Ein Mitarbeiter der Baustelle sagte im Interview mit Global Voices: „Auf dieser Baustelle setzen wir uns mit respektvollem Verhalten auseinander. […] Und wir möchten, dass das alle wissen“.

Auf der Facebook-Seite “Ni Una Menos Perú” (“Nicht eine weniger” – Peru) wurde ein Foto der Baustelle geteilt und von Nutzer*innen überwiegend positiv kommentiert. Das feministische Bündnis kämpft gegen Femizide in Lateinamerika, Seite an Seite mit anderen beeindruckenden Organisationen wie “Paremos el Acoso Callejero” (“Machen wir sexueller Belästigung auf der Straße ein Ende”), die sich unermüdlich gegen sexuelle Belästigung auf den Straßen Perus und für mehr Geschlechtergerechtigkeit stark machen.

Auch in Deutschland mangelt es nicht an kreativen Initiativen, die sich mit Sexismus auseinandersetzen. Auf sexistische Werbung und Gender-Marketing hat sich die Initiative Pinkstinks spezialisiert. Ein Blick auf die Seite der Organisation offenbart, wie stark die Werbebranche auch 2017 noch auf Stereotype und Sexismus setzt und nicht nur eindimensionale Geschlechterbilder präsentiert, sondern auch vor Anspielungen auf sexuelle Übergriffe nicht zurückschreckt. Solche Werbung kann man direkt bei Pinkstinks melden, die dann eine Kopie an den Werberat schickt (done!). Ein kluges Angebot – doch vielleicht irgendwann nicht mehr nötig: Bundesjustizminister Heiko Maas kündigte 2016 Gesetzesentwurf gegen sexistische Werbung an – und ließ sich dafür von Pinkstinks beraten. Aktuell hört man davon nichts. Doch Werbungen wie die oben beschriebene lassen keinen Zweifel, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema bitter nötig ist. 2017, da geht noch mehr!

 

Text & Foto: Rena Föhr