KAPITEL
Unbenannt 3

Feminist*innen: Hört auf, euch zu boykottieren!

Kann man Feminismus falsch machen? Oh, verdammt, ja! Das Verlernen all der sexistischen, rassistischen, homophoben und transfeindlichen Verhaltensweisen, die uns eingehämmert wurden, ist harte Arbeit. Harte Arbeit, die viele, viele Jahre dauert. Man macht Fehler. Wenn ich daran denke, was ich vor ein paar Jahren noch für einen seichten Pop-Feminismus propagiert habe, schäme ich mich ein bisschen. Aber das ist ganz normal, denn man wird im Feminismus nicht vom einen auf den anderen Tag erleuchtet. Diese Einsicht fehlt allerdings in großen Teilen dieser Bewegung.

In den letzten Tagen machte die feministische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, die schon von Beyoncé gesamplet wurde und den weltweiten Bestseller „We Should All Be Feminists“ schrieb, Schlagzeilen, weil sie sich transfeindlich äußerte: Transfrauen könnten keine authentische Erfahrung des „Frauseins“ machen, weil sie eine Zeit ihres Lebens mit „male privilege“ durchlebt hätten. Der Aufschrei war berechtigterweise groß, denn schließlich suggeriert sie damit, dass Transfrauen durch diese Erfahrungen von Non-Trans-Frauen abgesondert werden müssten. Eine Auffassung, die die Diskriminierung und den inneren Kampf einer Transfrau ausklammert und einem intersektionalen Feminismus nicht gerecht wird.

Geschichten wie diese ploppen alle paar Wochen in den feministischen Social-Media-Filterbubbles auf – die Liste der Menschen, die man als Feminist*in scheinbar nicht mehr supporten darf, wird länger und länger. Was stellt man nun mit solchen Nachrichten an? Boykottiert man diese Personen jetzt, schließt man sie aus dieser losen Gemeinschaft des „richtigen“ Feminismus aus?

Ich sage: Nein. Wenn alles Problematische einfach sofort abgesondert wird, dann verliert der Feminismus seine Glaubwürdigkeit aufgrund eines unnötigen Anspruchs auf Hundertprozentigkeit. Unproblematisch sein ist eine Utopie. Vermutlich sind alle deine feministischen Vorbilder auf irgendeine Art und Weise problematisch. Deine Familie und deine Freunde sind problematisch. Du bist problematisch! Ich bin problematisch! Und dank dem Internet bleibt auch jeder Fehltritt dokumentiert und man kann sich gegenseitig noch Jahre später Dinge vorwerfen, die man inzwischen ganz anders sieht.

Das Verlernen all der problematischen Verhaltensweisen, die uns beigebracht worden sind, ist ein Prozess – ohne wirkliches Ende. Wenn wir Menschen auf halbem Weg herauskicken, indem wir sie boykottieren, nehmen wir ihnen die Chance, es besser zu machen. Wichtig dabei ist lediglich ein Wille dazu, seine eigenen Denkweisen in Frage zu stellen. Und da muss man sich auch immer mal wieder an die eigene Nase fassen und sich fragen: Bin ich eigentlich selbst kritikfähig genug? Bin ich bereit, mir Fehler einzugestehen? Denn wenn das alle Menschen wären, hätten wir eigentlich gar kein Problem.

Es gibt natürlich diese Fälle, in denen Einsicht schlicht nicht vorhanden ist. Da muss es dann ab einem gewissen Punkt heißen: Nope, dich will ich nicht als Teil dieser Bewegung. Es muss sorgfältig zwischen denen unterschieden werden, die nicht bereit sind, ihre Position zu überdenken, und denen, die mitten im Lernprozess stecken. Frauen wie Adichie und viele andere zeigen Willen zur Besserung: In mehreren Statements versuchte sie immer wieder, ihre gute Absicht zu verteidigen – zwar mehr schlecht als recht – aber es wird deutlich, dass sie gewillt ist, eines Besseren belehrt zu werden. Hier besteht eine Chance auf Dialog.

Versteht mich nicht falsch: Kritik und Debatten innerhalb des Feminismus sind wichtig, um zumindest ansatzweise einen Konsens zu schaffen, um dazu zu lernen und offen zu bleiben. Schwierig wird es, wenn die Debatte gar nicht erst wirklich aufgenommen wird, und man einfach nur anfängt, mit Fingern aufeinander zu zeigen und den einzig wahren Feminismus für sich selbst zu beanspruchen, während man nicht einmal bereit ist, mit der anderen Seite ein Gespräch zu führen. So zersplittert sich ein Kampf, der im Endeffekt ein und dasselbe Ziel verfolgt – nämlich Gender-Gerechtigkeit – in viele kleine Teilkämpfe, die sich gegenseitig boykottieren und so ein Vorankommen in Richtung Zielgerade unnötig verlangsamen.

Sinnbildlich könnte man es so sagen: Wenn ich auf einer großen feministischen Demonstration ein Schild sehe, das ich problematisch finde – was tue ich? Verlasse ich wutentbrannt die Demonstration, weil ich mit solchen Denkweisen nicht in Verbindung gebracht werden möchte und gehe stattdessen nach Hause? Oder bleibe ich dort, akzeptiere, dass bei einer Demo von mehreren Tausend Menschen tatsächlich ein paar Personen dabei sind, die in ihrem Feminismus noch nicht so weit sind wie ich und kämpfe stattdessen weiter für das Große, Ganze? Vielleicht bin ich sogar mutig genug und spreche die Person darauf an – in einem netten, nicht-belehrenden Ton?

Welche Handlungsweise bringt uns wohl eher weiter?

Text: Johanna Warda