KAPITEL
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SOOKEE: Mit Hip Hop gegen Rassismus und Sexismus

Hip Hop und Feminismus – wie gut das zusammenpassen kann, demonstriert Sookee seit über zehn Jahren. Die studierte Germanistin kann nicht nur phantastisch rappen, sondern mischt die männerdominierte und oft auch sexistische Hip-Hop-Szene mit queer-feministischen Texten auf. Aber auch an anderer Stelle nimmt Sookee kein Blatt vor dem Mund und referiert und diskutiert regelmäßig zu feministischen und Gender-Themen, leitet Workshops für Jugendliche und engagiert sich gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus. Grenzen sind für die 32-Jährige lediglich dafür da, um überwunden zu werden.

Juliane Rump: Sookee, was fehlt der Welt? So ganz spontan.

Sookee: Diese Frage muss ich strategisch beantworten, sonst klinge ich wie eine esoterische Hippiebraut. Nachhaltigkeit, Herzensbildung, globale Solidarität. Mist, jetzt ist es mir doch rausgerutscht. Ich schwöre, ich war noch nie bei Primark shoppen.

JR: Als Musikerin stehst du demnächst wieder auf der Bühne, außerdem hältst du regelmäßig Vorträge und nimmst an Diskussionen teil – es gibt eine Menge Dinge, die dich antreiben. Was umtreibt dich momentan am meisten?

Sookee: Der Versuch die unterschiedlichen Themen zusammenzuführen und ihre inneren Verbindungen aufzuzeigen. Ich tue oftmals das, was diejenigen, die ich meine, als „in die rechte Ecke drängen“ bezeichnen. Die Schnittmenge aus RassistInnen, religiösen Fundis, FlüchtlingsgegnerInnen, besorgten BürgerInnen, AfD-Fans, VerschwörungsideologInnen, organisierten Nazis usw. ist zu eindeutig, um sie beim politischen Großreinemachen nicht zunächst in eine Tonne zu treten. Ich bin keine Parteipolitikerin, ich darf polemisieren.

JR: Befragt man Google nach „Sookee“ landet man natürlich bei deiner Musik – du giltst als eine der besten deutschen Rapperinnen. Außerdem stolpert man immer wieder über die Wörter „Feminismus“ und „Queer“. Womit wir ohne Umwege bei zwei meiner Lieblingsthemen wären. Kann man als Frau überhaupt nicht feministisch sein?

Sookee-by-TaintedLenses_Lila_Samt4Sookee: Aber sicher kann eine das. Es gibt viele Frauen, die das dringende Bedürfnis haben, öffentlich ihre Aversion gegenüber frauensolidarischen Momenten und Bewegungen zum Ausdruck zu bringen. Die Bild-Chefredakteurin Tanit Koch hat es kürzlich offenbar sehr genossen die Macherinnen der „Stop Bild Sexism“-Kampagne als Selbsthilfegruppe zu trivialisieren und somit deren Kritik mit einer flappsigen Bemerkung vom Tisch zu wischen. Ich will solche antifeministischen Moves nicht unnötig pathologisieren, aber ich erinnere mich an den in mir tobenden Selbsthass meiner Teenagerjahre, als ich noch dachte, Feminismus wäre was für Jammerlappen. Alle, die tausend Jahre später das F-Wort meiden, weil sie befürchten als penisneidisch, unrasiert, untervögelt verunglimpft und mit Alice Schwarzer assoziiert zu werden, mögen bitte mal in 2016 ankommen.

JR: Was, würdest du sagen, heißt es heute, feministisch zu sein? Erfindet sich der Feminismus aktuell ein Stück weit neu – gerade wenn man schaut, was nach und nach aus den USA zu uns rüberschwappt? Gibt es überhaupt „den“ Feminismus?

Sookee: Bis in die Anfänge der 00er Jahre war das Wellen-Modell gebräuchlich, um die feministische Bewegungsgeschichte zu erzählen. Seit einigen Jahren sind Queerfeminismus, intersektionale Feminismen, Womanism und die Historie glokaler Frauenkämpfe auf dem besten Wege zur gleichzeitigen Sichtbarkeit. Ich habe außerdem den Eindruck, dass sich nach und nach alle möglichen Institutionen – seien sie gleichheits- oder differenz-feministisch orientiert – an dieser Entwicklung zumindest ein Stück weit orientieren müssen. Das Zusammenspiel dieser vielfältigen Gegenwart von Feminismen lässt mich hoffen, was sich durch Momente wie #ausnahmslos bestätigt.

JR: Du hast kürzlich gesagt, es fehle an feministischen Identifikationsfiguren. Woran liegt das?

Sookee: Die mediale Öffentlichkeit hierzulande hat in den letzten Jahrzehnten an einem schwarzerschen Monopol mitgestrickt. Das zu überwinden dauert einen Moment. Aber wir sind auf einem guten Weg. Die internationale Wahrnehmung feministischer Positionen und Rolemodels färbt auf den deutschsprachigen Raum langsam ab.

JR: Für eine echte Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gibt es noch viel zu tun. Kannst du verstehen, wie man da nicht feministisch aktiv sein kann?

Sookee: Ich peile schon die Logik dieser Sicht. Da wird das Problem schlichtweg nicht wahrgenommen. Schließlich ist Angela Merkel doch eine Frau. Es ist vielleicht ein bisschen so, wie wenn cisnormative Feministinnen nicht wahrnehmen, dass da mehr Geschlechter sind als zwei, die auch inmitten ihrer Kämpfe um Sichtbarkeit, Anerkennung und Gleichbehandlung stecken.

JR: Braucht man für Feminismus Männer?

Sookee: Klar braucht Feminismus alle Menschen. Um eben nicht dogmatisch werden zu müssen. Einsicht ist ein wichtiges Thema. Jemand, der sich nicht freiwillig auf deine Seite stellt, wird dich auch nicht wirklich respektieren. Wichtig ist klarzumachen, dass das Patriarchat auch für Männer scheiße sein kann. Sicher, Männer sind innerhalb patriarchaler Strukturen grundsätzlich privilegiert, aber die Erwartungen, die an Männlichkeit gestellt werden, machen Männer auch oft unfrei.

JR: Justizminister Heiko Maas will sexistische Werbung per Gesetz verbieten und wird dafür als Spießer im Regulierungswahn angefeindet. Wie stehst du dazu und was glaubst du, kann ein solches Verbot bewirken?

Sookee: Allein diese Begriffswelt – „Spießer“, „Regulierungswahn“ – lässt mich kotzen. Weil ja alle kokett Politisch-Inkorrekten völlig unbürgerlich und freaky sind. Es geht doch nur darum, das, was sowieso schon an anderer Stelle etwa mit dem Antidiskriminierungsgesetz oder mit Artikel 3 des Grundgesetzes gegeben ist, mit Leben zu füllen. Ich bin kein Fan davon, Haltungen juristisch durchzudrücken, aber der Kapitalismus ist ein harter Brocken. Die lächerliche Mär von „Sex Sells“, eigentlich ja „Sexism Sells“ – und da liegt auch der Unterschied – kann mit diesem Gesetz aus dem Kanon gezogen werden. Mediale Präsentationen von Geschlechtern, Körpern usw. schreiben sich gesellschaftlich ein und fördern einen Bedarf. Deswegen gibt es ja Werbung.

JR: Woran scheitert Solidarität unter Frauen manchmal?

Sookee-by-TaintedLenses_Lila_Samt1Sookee: Frauen sind eben nicht nur Frauen. Weiblichkeit ist nur ein Aspekt in einer komplexen Identität. Körpernormen, Rassismus, Klassenunterschiede usw. können den Zusammenhalt überdecken. Eine konservative Hetera wird sich eher nicht gegen die Diskriminierung von Lesben, Queers, Trans einsetzen. Eine weiße Linke sieht mitunter auch in erster Linie, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringt, bevor sie wirklich versteht, an welchen Punkten sie von Rassismus profitiert oder sogar ausübt.

JR: Immer wieder wird über die Vereinbarkeit von Kind und Beruf diskutiert. Du bist Mutter und vielseitig beschäftigt. Wie bringst du beides unter einen Hut? Welche gesellschaftlichen Veränderungen würden dir das Leben leichter machen?

Sookee: Ich bin selbstständig, nicht alleinerziehend, umgeben von viel Unterstützung und habe damit Freiheiten, die mich absolut privilegieren und mir viel Zeit mit meinem Kind schenken. Viele andere Eltern leben da deutlich prekarisierter, haben repressive Chefs oder Druck vom Jobcenter, müssen sich innerhalb ihrer Arbeit in unerträglichen Konkurrenzstrukturen behaupten usw. Obendrein kommen noch andere Aspekte von Care-Arbeit, die über die Vereinbarkeit von Kind und Beruf hinausgehen. Eine hochbrisante Debatte.

JR: Du bist nicht nur Mutter, sondern bezeichnest dich auch als queer. Gibt es so etwas wie eine queere Erziehung? Was verbindest du damit, queer zu sein? Der Begriff wird ja momentan ziemlich aufgeweicht.

Sookee: Ich versuche mein Kind nicht dieser elendigen Blau-Rosa-Falle auszusetzen. Etwa, indem ich anderen Eltern, die meinen in der Öffentlichkeit ungefragt dessen Geschlecht entlang seiner Kleidung diskutieren zu müssen, widerspreche. Ansonsten sind meine Familie und mein Freundeskreis da sehr bei mir. Ich muss also bisher gar nicht so stark „dagegenhalten“, da um uns rum alle möglichen Identitäten und Lebensentwürfe präsent sind.

JR: Im März hast du einen Vortrag gehalten, der mit folgenden Zeilen angekündigt wurde: „Mit einem Verständnis von ‚Queer‘, das politischer ist als die Bierwerbung auf einer Regenbogen-Parade und das eine Gesellschaft stärker strukturiert als die Homo-Ehe, sucht der Vortrag nach Antworten …“ – Hast du das Gefühl, „queer“ fällt als politischer Begriff gerade dem Mainstream zum Opfer?

Sookee: Ich halte „queer“ nach wie vor für ein politisch starkes Konzept. Und der Mainstream ist ja an sich nichts Schlechtes. Die Frage ist nur, wie er sich inhaltlich aufstellt. Natürlich geht es immer radikaler, echter, subversiver, renitenter, revolutionärer. Aber ehrlich gesprochen: Bei der gegenwärtigen politischen Entwicklung und der querfrontalen Durchlässigkeit zwischen Mitte und Rechts bin ich froh über jedes bisschen emanzipatorisches Vorankommen – auch im Mainstream. Nichtsdestotrotz braucht es weiterhin eine kritische Draufsicht, um sich eben nicht auf Kleinsterfolgen auszuruhen.

JR: In deinem Vortrag hast du dich u.a. der Frage „Ist gay die Voraussetzung für queer?“ gewidmet. Ich denke, für die meisten gehören queer und gay tatsächlich zusammen. Tut es das?

Sookee-by-TaintedLenses_Lila_Samt11Sookee: „Queer“ beinhaltet viel – die Abkehr von Heterosexismus gehört hierbei sicher zum Kernstück. Allerdings ist „gay“ ja nur ein Ton unter vielen, die zum queeren Sound beitragen. Allein schon weil die Überwindung von binären Logiken ebenso dazugehört. „Homo“ und „Hetero“ als dichotome Realitäten werden meinem Verständnis von „queer“ nicht gerecht.

JR: Befragt man junge Menschen, zeigt sich, dass der eigenen sexuellen Orientierung immer offener begegnet wird und sich viele gar nicht mehr so stark festlegen wollen. Daraus könnte man schließen, dass Schubladen wie hetero, lesbisch und bi immer weniger notwendig sind.

Sookee: Schubladen sind bestenfalls strategische Essentialismen auf dem Weg zu einer befreiten Gesellschaft. Wir brauchen sie hier und da, um realpolitisch handlungsfähig zu sein. Aber immer nur für den Moment. Und während wir sie nutzen, machen wir von der Gelegenheit Gebrauch darüber zu sprechen, dass sie eben nur temporäre Vehikel sind.

JR: Was werden wir als Nächstes von Sookee sehen und hören?

Sookee: Ich arbeite an neuem Material und werde im Laufe der kommenden Monate ein paar Festivals spielen. Das wird gut.

Interview: Juliane Rump Fotos: TAINTED LENSES