KAPITEL
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Mein digitaler Exkurs in rechte Gefilde

Nach der US-Wahl war sie überall in den Medien: die fatale ‚Filterbubble‘, die uns zugunsten unserer virtuellen Comfort Zone von der Außenwelt abschirmt. Sie hat es möglich gemacht, dass die Hälfte der westlichen Bevölkerung am 9. November weltweit in Schockstarre vor ihren Bildschirmen saß. Sie teilt die westliche Welt in links und rechts, ohne wirkliche Schnittpunkte, niemand muss mehr sehen, was er oder sie nicht sehen will. Ich habe beschlossen, dem nicht mehr länger tatenlos zuzusehen – und habe mich auf unbekanntes Terrain begeben.

Dieses Jahr ist in Deutschland Bundestagswahl, und nach aktuellen Hochrechnungen wird die AfD drittstärkste Kraft. Aber: Bei der US-Wahl haben wir gelernt, dass Hochrechnungen heute extrem daneben liegen können – es könnte also noch viel schlimmer kommen. Auf der Suche nach einem Weg, wie ich aktiv etwas dagegen tun kann, fing ich da an, wo es am Einfachsten war: Auf Facebook. Ich abonnierte (ohne einen Like dazulassen) Trump, die AfD und eine Menge deutscher Medien, die gerne mal die Tatsachen auf rechts drehen.

Mit Arschbombe in die Kommentarspalten!

Was die neuen Rechten den sogenannten „Gutmenschen“ voraushaben, ist vor allem Einigkeit. Und Organisation. Es ist längst klar, dass beispielsweise der Sieg Trumps zu einem großen Prozentsatz durch Social Media möglich war, durch seine Anhänger, die alle Plattformen fluteten, Umfragen beeinflussten, immer und immer wieder die Schnauze aufmachten. Die wachsende Zustimmung der Massen hat ihn erst massentauglich gemacht. In der Hoffnung, dass alle Menschen, die nicht derartig hasserfüllt sind, eine schweigende Mehrheit ausmachen, ist es jetzt höchste Zeit, dass mehr Präsenz gezeigt wird: Es muss eine Mehrheit entstehen, die sich nicht in Details verliert, sondern sich geschlossen gegen Hass und Hetze positioniert. Meinungsmache passiert heute im Internet. Likes generieren Wahrheiten. Je lauter Wutbürger werden – desto mehr Menschen werden vor dem populistischen Zeitgeist einknicken. Es ist furchtbar, dass Facebook heute so viel Macht hat. Aber: Man muss mit dem arbeiten, was man hat. Und wenn man den Hasserfüllten Facebook überlässt, überlässt man ihnen die wichtigste Bühne unserer Zeit.

Meine erste Reaktion war Schock

Was sich mir an diesem unheilvollen Ort der Kommentarspalten darbot, war meist der blanke Hass. Nichts als einfache Antworten zu komplexen Problemen, dazu Aggressionen, Hetze, Gewaltandrohungen, verdrehte Wahrheit, dreiste Lügen, sogar Holocaustvergleiche. Meine erste Reaktion war Schock: Das Ausmaß des Problems wurde mir zum ersten Mal richtig bewusst. In einer großen, dunklen Ecke der Social-Media-Plattform, die inzwischen der Mittelpunkt unserer digitalen, sozialen Interaktion ist, floriert eine ganze Parallelgesellschaft aus wütenden Deutschen – zum Großteil übrigens Männer – die sich tagein, tagaus gegenseitig in ihrer verqueren Weltsicht bestätigen. Ich fing an, mit Fakten zu argumentieren, wenn ich das Gefühl hatte, etwas ausrichten zu können, und stieß meistens gegen Wände. Dann bat ich meine Freunde um Hilfe, gründete eine geheime Facebook-Gruppe und sagte Bescheid, wenn ich digitalen Rückenwind brauchte.

Der springende Punkt ist: Wenn man sich aus seiner eigenen Filterblase bewegt, holt man die andere Seite automatisch auch aus ihrer. Die Chance, jemanden wirklich vom Gegenteil zu überzeugen ist zwar gering, aber allein die Präsenz und das Darlegen wichtiger Fakten löst vielleicht den einen oder anderen Denkprozess aus. Und damit ist schon viel getan.

Natürlich gibt es hoffnungslose Fälle, zum Beispiel wenn jedes Argument einfach mit dem Ausruf „Lügenpresse!!!!!!“ zu entkräften versucht wird. Aber gerade unter Beiträgen von neutraleren Medien wie der Tagesschau, der Welt oder der FAZ tummeln sich Menschen, die man mit Fakten noch erreichen kann. Seit dem Start meines Experiments vor ein paar Wochen habe ich es genau einmal geschafft, jemanden von meinem Standpunkt zu überzeugen. Das war ein triumphaler Tag.

Das Verlassen der Filterblase bedeutet eine Kooperation mit der Wirklichkeit

Natürlich ist es weiterhin wichtig, auf Demos zu gehen, sich für Flüchtlinge zu engagieren und außerhalb des Internets aktiv zu werden. Aber es war auch niemals so einfach wie heute, vom eigenen Schreibtisch aus ein bisschen was zu verändern – in einen Diskurs zu treten, so primitiv er auch ausfallen mag. In den Kommentarspalten findet ein Austausch statt, es entsteht eine Schnittstelle, die es anders so nicht geben kann. Jeder Like ist eine kleine Solidaritätsbekundung.

Ich weiß nicht, ob man damit tatsächlich etwas bewirkt, aber trotzdem lautet mein Appell: Verlasst eure Filterbubble! Werdet lauter! Als Belohnung bekommt man garantiert ein dickeres Fell, ein fundierteres Wissen, wasserdichte Argumente und ein besseres Verständnis dafür, auf welche Art sich Hass verbreitet. Und am Allerwichtigsten: Man bekommt ein Gefühl für den Ernst der Lage. Erst wenn man den Status Quo als das akzeptiert, was er ist – nämlich ein Rechtsruck, den Deutschland seit den Dreißigern nicht mehr erlebt hat – dann fasst man auch den nötigen Mut, sich mit aller Kraft dagegenzustemmen. Und vielleicht, ganz vielleicht, schafft man es, jemanden zum Überdenken anzuregen.

Text & Bild: Johanna Warda