KAPITEL
2raumwohnung 2 2017 (c) Astrid Grosser

Von Bildern zu Liedern

2raumwohnung kann man getrost als das Gegenteil einer Eintagsfliege bezeichnen. Seit nunmehr 18 Jahren steht das Electropop-Duo für euphorischen Sound und metaphernreiche Texte. Dabei schafft es die Berliner Band immer wieder, sich neu zu erfinden. Als jüngster Beweis ihrer Vielseitigkeit ist im Sommer ihr Album Nacht und Tag erschienen, das mit wechselnden Stimmungen und unterschiedlichen Instrumentierungen überzeugt und überrascht.

Es gibt Musiker*innen, die begleiten einen durch etliche Phasen des Lebens, wecken mit ihren Liedern Erinnerungen an rauschende Feste und längst verblassten Liebeskummer. 2raumwohnung ist so eine Band für mich. 15 Jahre mag es her sein, dass ich das Electropop-Duo bei einer Gay-Party auf der Hamburger Reeperbahn das erste Mal live erlebte. Damals ließ es sich Inga Humpe nicht nehmen, beim Song „Sexy Girl“ ein paar schwule Jungs auf die Bühne zu holen und das Lied kurzerhand umzudichten.

Heute, viele Jahre und unzählige Konzerte später, füllen 2raumwohnung zuverlässig die Musikclubs und gehören zu den bekanntesten Acts des Landes. Ihre Authentizität und Nahbarkeit haben sie auf dem Erfolgsweg glücklicherweise nicht verloren. Anstatt ein Album nach dem nächsten auf den Markt zu werfen, nehmen sich Inga Humpe und Tommi Eckart ausreichend Zeit, um wirklich Neues zu produzieren. Die Geduld, die die Fans aufbringen müssen, zahlt sich aus, denn das Duo schafft es tatsächlich immer wieder, musikalische Experimente überzeugend umzusetzen. So ist die achte Scheibe der Band gleichzeitig ihr erstes Doppelalbum. Der Clou: Jeder Song wurde in einer Nacht- und in einer Tagversion aufgenommen, mit entsprechend wechselnden Stimmungen und unterschiedlicher Instrumentierung. Vom Beat der Dunkelheit hinein in die schwebenden Gitarrenakkorde eines lichten Morgens – dieser spannende Perspektivenwechsel führt dazu, dass so manches Lied in der zweiten Fassung kaum noch wiederzuerkennen ist. Ebenfalls neu: Der Tradition von Falco und Kraftwerk folgend wechselt Inga von Deutsch nach Englisch – und wieder zurück. Ein für 2raumwohnung ungewöhnlicher Sprachmix, der ihre Texte im neuen Licht erscheinen lässt und die Ausdrucksvarianten erweitert.

Das Album wurde ausschließlich in Berlin produziert – also der Stadt, die so unverzichtbar zu 2raumwohnung gehört wie Inga Humpes metaphernreichen Texte. Hier, wo das Paar seit Ewigkeiten fernab von jeglichem Gentrifizierungswahn im tiefsten Osten zwischen Plattenbauten lebt, finden sich immer wieder neue Inspirationsquellen. Dazu gehören auch Ausflüge ins legendäre Berliner Nachtleben. „Natürlich gehen wir weitaus seltener feiern als früher. Das ist schon etwas, das ich vermisse, diese schwerelosen Nächte, in denen man einfach loslassen kann. Ab und zu verschlägt es uns daher ins ://about blank und ins Kater Blau“, bekennt Inga. Ein bisschen wie Nachhausekommen könnten sich diese Orte für das Duo anfühlen, das Anfang der 2000er seinen elektronischen Popsound bei gemeinsamen DJ-Auftritten in Berliner Clubs mit offenem Mikro entwickelte. Die deutschen Texte waren damals noch improvisiert. Inzwischen haben DJ-Größen wie Paul Kalkbrenner, Paul van Dyk, Ricardo Villalobos oder Westbam zahlreiche Remixes ihrer Musik produziert.

2raumwohnung 5_2017 (c) Astrid Grosser high2raumwohnung sind tief im Berliner Underground verwurzelt. Dass die Stadt irgendwann ihren freien und inspirierenden Geist verlieren könnte, darüber macht sich Inga keine Sorgen: „Auch wenn einige Viertel immer nobler und teurer werden, Berlin bleibt im Kern doch immer gleich und lädt zum Experimentieren und Grenzensprengen ein.“
Darum, Grenzen zu sprengen, geht es auch beim Songschreiben. Nicht ohne Grund sind 2raumwohnung für ihre kreativen, niemals plumpen Texte bekannt, die voller phantasievoller Bilder stecken und beim Zuhören so manches Fragezeichen hinterlassen. Ein durchaus gewünschter Effekt, denn wenn die Lieder eins nicht sollen, dann ist es, plakativ oder gar beliebig zu sein. Beim Texten immer den richtigen Spannungsbogen zu finden, ist auch für einen Profi wie Inga nicht immer einfach. „Es ist schon eine Herausforderung, die nötige Distanz zu sich selbst zu finden, um sich nicht dauernd zu wiederholen. Gleichzeitig muss man aber auch aufpassen, dass man sich nicht zu sehr von sich selbst entfremdet“, erklärt die 61-Jährige und fährt fort: „Das ist ein Prozess, der nicht immer schön, sondern oftmals sehr einsam ist und einen mit Selbstzweifeln und sehr viel Hinterfragen konfrontiert: Was ist für die Hörer*innen noch verständlich und wo liegt die Grenze des kreativen Spielraums? Wo wird es vielleicht so wirr, dass Menschen sich abwenden?“

Beim Songschreiben greift die Künstlerin auf einen großen Pool an Textfragmenten zurück, die sie im Laufe der Jahre wie kleine Schätze gesammelt und notiert hat und die nur noch auf ihren Einsatz warten. „Es fällt mir schwer, für ein großes vorgegebenes Thema die richtigen Worte zu finden. Vielmehr führe ich Bilder und Momente zusammen und forme sie zu einem Statement, wenn der richtige Rahmen gekommen ist“, erklärt die Künstlerin.
Natürlich spiegeln sich auch gesellschaftliche Strömungen und politische Entwicklungen in den Liedern des Duos wider. Mit großem Unverständnis beobachtet Inga, welch rückwärtsgewandte Despoten momentan die Macht ergreifen: „Ich hätte nie gedacht, dass es diese Sorte Mensch noch einmal so einfach haben würde.“ Auch wenn die Songs der Band immer noch Leichtigkeit versprühen, ist die aktuelle Scheibe deutlich weniger hedonistisch als frühere Alben. „In politisch angespannten Zeiten wie diesen ist es zwar wichtig, sich nicht depressiv zurückzuziehen“, findet Inga. „Nach großen hedonistischen Gesten ist mir momentan in Anbetracht der schwierigen Situation, in der sich viele Menschen befinden, aber nicht. Nacht und Tag ist daher auf seine Weise ein recht nachdenkliches Album geworden.“
Dass sich Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit nicht ausschließen, haben 2raumwohnung in den letzten 18 Jahren mehr als bewiesen. Wer die Band jemals live erlebt hat, wird sich an die sprühende Euphorie und Energie erinnern, die Inga und Tommi verbreiten. Während manch andere Band monoton das Programm runterspielt, spürt man bei 2raumwohnung ein deutliches Wechselspiel zwischen Band und Publikum. Kein Konzert, bei dem nicht auf und vor der Bühne gehüpft und getanzt wird, als würde es kein Morgen geben. So auch beim krönenden Abschluss ihrer Tour am 1. November in Berlin! Da möchte man am liebsten einfach auf Repeat drücken.

Text: Juliane Rump Foto: Astrid Grosse