KAPITEL
Julia Korbik Wirtschaftskraft

Mehr Frau. Mehr Wirtschaftskraft?

Im Französischen gibt es den Ausdruck „métro, boulot, dodo“. Der stammt aus einem Vers des Dichters Pierre Béarn und verbreitete sich vor allem in den 1950er und 1960er Jahren. Übersetzt bedeutet er so viel wie „Métro, Arbeiten, Schlafen“ – der tägliche, stressige Arbeitsalltag, der vor allem für die Bewohner von Paris fast nur aus Arbeitsweg und Arbeit besteht.

Seit den 1950er Jahren hat sich vieles geändert: Arbeit ist flexibler geworden und vor allem digitaler. Arbeit lässt sich auch mal von zu Hause aus erledigen, im Café oder auf der Lieblingsbank im Park – die Übergänge zwischen Arbeit und Freizeit sind öfter fließend. Vielleicht schreiben bald Roboter journalistische Artikel und statt auf Handscanner und Pick-Listen setzen Briefträger auf Datenbrillen. Die Art, wie wir arbeiten, ändert sich also. Allerdings: Die Codes, nach denen wir arbeiten, halten sich erstaunlich hartnäckig. Und diese Codes sind meistens männlich.

Vor allem in den Führungsetagen. Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sagte 2011, natürlich bedauere er es, dass es so wenige Frauen in Führungspositionen gebe, auch in seinem eigenen Unternehmen: „Aber ich hoffe, dass das irgendwann farbiger sein wird und schöner auch.“ Frauen in Führungspositionen als bunte, hübsch anzusehende Farbkleckse. Tatsache ist, in den Chefetagen großer Industrienationen sieht es eher grau aus. In Deutschland liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei 29 Prozent. Zum Vergleich: In Lettland, dem EU-Spitzenreiter, sind es 44 Prozent, in Ungarn 40 Prozent und in Polen und Litauen jeweils 39 Prozent.

Seit Januar gilt in Deutschland eine verbindliche Quote von 30 Prozent für Aufsichtsräte von börsennotierten Unternehmen. Vorstände, mittelgroße und kleinere Unternehmen sollen sich selber Zielvorgaben setzen, um den Frauenanteil zu erhöhen. Im Oktober 2014 betrug der Anteil von Frauen in deutschen Vorständen 5,8 Prozent, der in Aufsichtsräten 18,9 Prozent. Obwohl das Quotengesetz im Januar 2016 nach einer Vorlaufzeit von einem dreiviertel Jahr in Kraft trat, haben es viele der betroffenen Unternehmen nicht geschafft, die Quote einzuhalten: Der Durchschnitt lag bei 23,7 Prozent. Die Initiative Frauen in Aufsichtsräte (FidAR) stellte außerdem fest, dass von den betroffenen 130 börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen nur 60 Prozent überhaupt Zielvorgaben für die Führungsetage festgelegt haben.

Aus unternehmerischer Sicht ist das ziemlich dumm: Verschiedene neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Frauen in Stress-Situationen bessere Entscheidungen treffen als Männer. Sie gehen weniger Risiken ein und nehmen lieber den kleineren, aber sicheren Gewinn, während Männer mehr Risiken eingehen und sich auf große, sogar unwahrscheinliche Gewinne konzentrieren. Unter Stress werden Frauen außerdem empathischer anderen gegenüber – für Männer gilt das genaue Gegenteil.

Frauen könnten in Führungspositionen also ein wirtschaftlicher Vorteil sein. Ein Bericht von Booz & Company zeigt, die deutsche Wirtschaftsleistung könnte um vier Prozent steigen, wenn das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in den Führungsetagen ausgeglichener wäre. Schon 2007 stellte McKinsey in der Studie Women Matter fest, dass sich sobald in Führungsgremien mindestens drei von zehn Mitgliedern Frauen sind, die Performance des Unternehmens messbar verbessert. Für eine aktuelle Studie des Peterson Institutes for International Economics haben Forscher Daten von fast 22.000 Unternehmen aus 91 Ländern auf der ganzen Welt untersucht und dabei einen Zusammenhang festgestellt: Ein um 30 Prozent höherer Frauenanteil in der Führungsetage geht mit einem um 15 Prozent höheren Netto-Umsatz einher. Hierfür gibt es zwei verschiedene, sich widersprechende Erklärungsansätze: Der erste besagt, dass bereits erfolgreiche Firmen eher dazu tendieren, Frauen in Führungspositionen zu berufen: erst der Erfolg, dann die Frauen. Der zweite Ansatz basiert auf Studien, die belegen, dass gemischte Teams bessere Ergebnisse erzielen – weil Frauen andere, zusätzliche Führungseigenschaften einbringen: erst die Frauen, dann der Erfolg.

Ist es also tatsächlich so, dass „weibliche“ Eigenschaften und Denkweisen erfolgsversprechender sind als männliche? Für ihr Buch The Athena Doctrine befragten John Gerzema und Michael D’Antonio Menschen danach, welche Eigenschaften sie als männlich oder weiblich bewerteten und als wie wichtig sie diese u.a. in Hinblick auf Führungsqualitäten einschätzten. Als männlich wurden Attribute wie „aggressiv“, „analytisch“, „dynamisch“ und „selbstbewusst“ eingeordnet; als weiblich Attribute wie „unterstützend“, „ehrlich“, „kooperativ“ und „selbstlos“. Das Ergebnis: Viele der Eigenschaften einer idealen modernen Führungsfigur gelten als „weiblich“. Die Befragten finden trotzdem, dass man sowohl weibliche als auch männliche Charakterzüge braucht, um in der heutigen Welt Erfolg zu haben. Die Autoren betonen, weibliche Eigenschaften sollten nicht als einem bestimmten Geschlecht zugehörig angesehen werden, sondern als eine Form der Innovation. Somit ist das von ihnen analysierte „Athena Model“ auch für Männer, die in einer sich stets verändernden Welt Erfolg haben wollen, nicht nur geeignet, sondern essentiell. Studien hatten gezeigt, dass Länder mit einem hohen Anteil „weiblichen Denkens und Verhaltens“ über ein höheres Bruttosozialprodukt und eine höhere Lebensqualität verfügten.

Doch so positiv das auch klingt: In der Realität haben es Frauen gerade aufgrund der ihnen zugeschriebenen weiblichen Eigenschaften oft schwer, überhaupt in eine Führungsposition zu gelangen. Die Unternehmenskultur ist meist männlich geprägt und es sind überwiegend „männliche“ Qualitäten gefragt. Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg sagte in einem ZEIT-Interview: „Wir lassen uns immer noch von Klischeevorstellungen dominieren. Diese Klischees verhindern (…), dass Frauen genauso stark wie Männer dabei unterstützt werden, Führungspositionen einzunehmen und einzufordern.“ Viele Frauen setzen deshalb auf Anpassung und verhalten sich männlich, wenn sie doch einen der Topjobs bekommen. Dann kann es allerdings ganz schnell passieren, dass sie als aggressiv und rechthaberisch gelten.

„Think manager, think male“ – der Mann als Norm, die Frau als Ausnahme. Das ist nicht nur auf der Führungsebene ein Problem. Die männlich geprägte Unternehmenskultur basiert auf der Vorstellung einer ununterbrochenen Erwerbstätigkeit. Es sind immer noch mehrheitlich die Frauen, die Elternzeit nehmen oder wegen des Nachwuchses längere Zeit aus dem Beruf ausscheiden. In vielen Fällen bringt das berufliche Nachteile mit sich: Zum Beispiel, weil der Wiedereinstieg in den Beruf einem nicht so leicht gemacht wird, wie zugesagt oder es keine Teilzeitoptionen gibt. Auch bei der Präsenzkultur, die in vielen, auch jungen Unternehmen noch gepflegt wird, sind Mütter raus – bis 22 Uhr vor dem PC Geschäftigkeit simulieren, damit die Kollegen beeindruckt sind, ist nicht drin, wenn zu Hause die Kinder warten.

Dieses männlich geprägte Modell der Arbeitswelt schadet nicht nur Frauen, sondern auch Männern – im Prinzip jedem, der sich nicht an die herrschenden Codes anpassen will. Das Gute ist: Immer mehr Menschen haben keine Lust mehr auf diese Codes. Ein vernünftiges und machbares Management von Berufs- und Privatleben ist längst nicht mehr nur ein Anliegen von Frauen, sondern auch von Männern. Indem Frauen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie fordern sowie eine andere Unternehmenskultur, verbessern sie die Arbeitswelt für alle. Das Families and Work Institute stellte 2011 fest, dass höhere Flexibilität positiv mit dem Engagement, der Zufriedenheit und der Gesundheit korreliert – und zwar bei allen Mitarbeitern, nicht nur den weiblichen. Der Think Tank Zukunftsinstitut sieht einen „female shift“: Unternehmen, die die männliche Unternehmenskultur hinter sich ließen, hätten einen großen Vorteil. Sie seien „attraktive Arbeitgeber für junge Frauen und Männer, die sich immer weniger für Dienstwagen und ein exorbitantes Gehalt und immer mehr für ein angenehmes Umfeld, eine sinnvolle Tätigkeit und eine vernünftige Work-Life-Balance interessieren.“ Diese Veränderung sei auch eine Folge der Finanzkrise: „Das männlich-industrielle Wachstumsmodell ist an seine Grenzen gelangt (…) Mit der Finanzkrise wurde klar, dass die Wachstumsraten des letzten Jahrzehnts auf männlichem Risikoverhalten beruhten.“

Letztendlich wird die Arbeitswelt dann eine andere, bessere, wenn sie sich nach den Bedürfnissen und Eigenschaften der einzelnen Menschen ausrichtet – männlich, weiblich und alles dazwischen. Wer beruflichen Erfolg haben will, will das heute zu seinen eigenen Bedingungen und deshalb braucht es gerade in den Führungsetagen Vorbilder die zeigen, dass Erfolg ganz unterschiedliche Gesichter haben kann. Denn die Veränderung der Unternehmenskultur passiert sowohl von oben als auch von unten.

Text Julia Korbik Foto Claudia Korbik

Als Bloggerin, Journalistin, Buchautorin („Stand up“) sorgt Julia Korbik regelmäßig für frischen feministischen Stoff.

Mehr von Julia u.a. unter juliakorbik.tumblr.comeaudebeauvoir.com und cafebabel.de