„Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Liebe das Wichtigste in meinem Leben ist.“
CAT POWER alias Chan Marshall spielte im Juli drei Solo-Shows in Deutschland. Ein neues Album wird voraussichtlich im Januar 2017 erscheinen. Während einer Aufnahme-Session in Los Angeles erzählt sie Christiane Falk begeistert von der Zusammenarbeit mit Mike D von den Beastie Boys und Pharrell Williams, mit denen sie für die Band Cassius im Studio stand. Ansonsten dreht sich das Gespräch um das große Thema Liebe.
Christiane Falk: Du singst und schreibst schon immer über Liebe. Wann hast Du angefangen, Texte zu verfassen?
Chan Marshall: Als ich in der Mittelstufe war, das waren dunkle Kriminalgeschichten. Ich war sehr stolz darauf und habe sie im Deckenventilator meines Zimmers versteckt, das ich mir mit meiner Schwester teilen musste. Ich habe die Tex- te vor langer Zeit verloren, aber ich weiß, dass sie gut waren. Ich denke, durch sie habe ich mein Trauma verarbeitet, das ich damals zu Hause erlebte. Diese Geschichten haben mir geholfen, mit starker innerer Unruhe und extremer Angst klarzukommen. In späteren Highschool-Jahren habe ich hauptsächlich Gedichte in ein Tagebuch geschrieben. Damals fühlte ich mich völlig verloren. All diese kleinen Wörter haben sich zu zerbrochenen Sätzen und dann in Poesie ver- wandelt und waren so was wie Zeugen für die Traurigkeit, die ich bis ins frühe Erwachsenenalter spürte. Mit 18 begann ich statt Gedichten Songs zu schreiben, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Damals verkaufte ein Freund seine Silvertone-Gitarre. Dexter Romweber von The Flat Duo Jets spielte die gleiche. Ich hatte gar nicht vor, darauf zu spielen, sondern kaufte sie lediglich als Hommage an meinen damaligen Lieblingsmusiker.
DIE LIEBE ÄNDERT SICH NIE, DA BIN ICH MIR SICHER.
CF: War es eine Art Erleichterung, Dich über die Musik mit Liebe auseinanderzusetzen?
CM: Ich glaube schon, denn durch die Musik kam ich mit Fremden in Kontakt, die genauso empfanden, etwas Ähn- liches wie ich durchgemacht hatten und das, worüber ich singe, von sich selbst kannten. Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass mir diese Kameradschaft, die Erkenntnis, nicht allein zu sein, mein Leben gerettet hat. Ich fühlte plötzlich, dass da Menschen mit mir in einem Boot saßen, da war eine Verbundenheit, weil auch sie sich von ihrer Familie oder wem auch immer ausgestoßen fühlten. Es war, als habe man einer Blinden Augenlicht geschenkt.
CF: Du bist mittlerweile Mutter eines kleinen Jungen. Inwiefern hat das Deine Art, Texte über Liebe zu schreiben, verändert?
CM: Ich würde nicht sagen, dass sich da was verändert hat. Mein Sohn ist im April ein Jahr alt geworden, ich bin also noch keine besonders erfahrene Mutter, habe noch Jahre vor mir, diese neue Art der Liebe kennenzulernen. Aber ich fühle mich geehrt, eine Mutter zu sein, und bin neugierig und sehr glücklich.
CF: Was bedeutet Dir Liebe?
CM: Die Liebe ändert sich nie, da bin ich mir sicher. Wenn ich als Kind ein jüngeres Kind gesehen habe, hat mich das immer berührt. Heute ist das noch genauso. Die Unschuld in den Augen eines kleinen Kindes raubt mir immer noch den Atem. Das Wissen, dass noch so viel Schmerz auf dieses kleine Wesen zukommen wird. Wenn ich jemand Fremdem begegne und diesen Schmerz spüre, dann möchte ich immer sofort helfen, ihn zumindest zum Lächeln bringen. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum ich mal Comedian werden wollte und Stand-up-Comedy wirklich liebe. Die sind so nah dran an den menschlichen Empfindungen und an der Wirklichkeit. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Liebe das Wichtigste in meinem Leben ist, wobei es mir nicht darum geht, nonstop Liebe zu fühlen, aber ich habe eine romantische Vorstellung davon. Ich sehe Liebe in den Bäumen, wenn der Wind durch sie streicht, wenn die Vögel über dem Meer aufsteigen, ich sehe Liebe in den Augen meiner Freunde, aber auch bei Fremden, die vor- beigehen, oder wenn mein Sohn morgens noch verschlafen schmusen oder meine drei Hunde gestreichelt werden möchten.
CF: Was bedeutet Dir in der Kunst, die sich mit dem Thema Liebe auseinandersetzt, am meisten?
CM: Darüber habe ich noch nie nachgedacht, weil es so viel gäbe. Spontan würde ich sagen, die Figur des kleinen Mädchens in dem Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ von Carson McCullers. Dieses Kind hat ein großes Herz und ist so selbst- los gegenüber ihrem tauben Nachbarn. Eine sehr wahrhaftige und rührende Figur.
CF: Welche sind Deine Lieblingslieder über die Liebe?
CM: Bob Dylans „Sara“, Jerry Jeff Walkers „About Her Eyes“, „A Song For You“ von Gram Parsons, „I’ve Got The Blues“ von den Rolling Stones, „Black Is The Color Of My True Love ́s Hair“ von Nina Simone und Billie Holidays „My Man“.
Interview: Christiane Falk Fotos: Austin Conroy