KAPITEL
Metoo 1

#MeToo Debatte in Frankreich

Schauspielerin Catherine Deneuve ist in Frankreich so etwas wie ein Nationalheiligtum, und das seit Jahrzehnten. Momentan macht la Deneuve aber nicht aufgrund eines neuen Films oder ihrer glamourösen Roben Schlagzeilen – sondern weil sie zusammen mit anderen Frauen zu den Unterzeichnerinnen eines Meinungsbeitrags in der Zeitung Le Monde gehört. Darin fordern die Autorinnen die „Freiheit aufdringlich zu werden“. Die #MeToo Debatte (die in Frankreich unter dem Hashtag #BalanceTonPorc, Verpfeif dein Schwein, geführt wird) sei zu weit gegangen. Direkt im ersten Absatz heißt es: „Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber hartnäckiges oder ungeschicktes Flirten ist kein Delikt, und eine Galanterie auch keine chauvinistische Aggression.“

Zu den Unterzeichnerinnen des Beitrags gehören neben Catherine Deneuve auch Skandal-Autorin Catherine Millet (Das sexuelle Leben der Catherine M.) sowie Élisabeth Levy, Chefredakteurin des umstrittenen Magazins Causeur, das sich mit oft krawalligen Titeln gegen den medialen Mainstream, ob links oder rechts, wendet. MeToo, finden Deneuve, Millet und die anderen Frauen, habe zu einer „Denunziationskampagne“ gegen Männer geführt. Sie würden sich nicht in „diesem Feminismus“ wiedererkennen, „der über die Anprangerung von Machtmissbrauch hinaus“ für Hass gegenüber Männern und Sexualität stehe. MeToo würde nur Feinden der sexuellen Freiheit, Reaktionären und religiösen Extremisten in die Hände spielen.

Machotum als allgemein akzeptiertes Verhalten

Die Le Monde-Autorinnen warnen vor dem Ende der Erotik, davor, welche Folgen der von ihnen in der MeToo-Debatte identifizierte Puritanismus haben könnte. Diese Art der Diskussion ist typisch für ein Land, in dem Machotum und damit verbundene Verhaltensweisen wie sexistische Sprüche und Belästigung immer noch weithin akzeptiert sind. In dem Chauvinismus als normal und oftmals charmant gilt. Die französische Historikerin und Feministin Michelle Perrot stellt fest: „In Frankreich sind wir vergiftet durch diese Tradition der Galanterie. Sie ist ein brillanter Mythos, aber einer, der eine charakteristische Herrschaft der Männer über die Frauen verdeckt.“ Dabei steht Frankreich in der Eigen- und Fremdwahrnehmung doch für Freiheit und Gleichheit.

Aber, und das wird oft vergessen: Frankreich hat eben nicht nur Simone de Beauvoir hervorgebracht, die als eine der Ersten das biologische Geschlecht von der sozialen Rolle trennte und darauf hinwies, dass viele der vermeintlich natürlichen weiblichen oder männlichen Charaktereigenschaften anerzogen und erlernt sind („Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“). Sondern Frankreich ist auch ein Land mit einer starken differenzfeministischen Denktradition: Intellektuelle wie Julia Kristeva oder Hélène Cixous betonen die Wesensverschiedenheit von Mann und Frau sowie damit verbundene unterschiedliche Geschlechterrollen. Es geht ihnen darum, das Besondere sichtbar zu machen, das Frauen von Männern unterscheidet, unter anderem in der Sprache, und somit die „symbolische männliche Ordnung“ aufzubrechen.

Zwischen Gleichheit und Differenz

Das differenzfeministische Denken steht in der Tradition des allgemeinen französischen Denkens, welches in sich durchaus widersprüchlich ist: Es bewegt sich zwischen Universalismus und Partikularismus, Puritanismus und Libertinage, Gleichheit und Differenz, und ist generell stark individualistisch geprägt. Für das Thema Geschlechtergerechtigkeit bedeutet das, dass die angenommene natürliche sexuelle Differenz dem gleichzeitig herrschenden Gleichheitsideal widerspricht – und es sogar rechtfertigt, mit diesem Ideal zu brechen.

Das zeigt sich auch in der aktuellen Diskussion: Die Argumentation der Le Monde-Autorinnen bezieht sich zwar nicht explizit auf die angenommene Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen, implizit wird aber sehr deutlich, dass es genau darum geht. In einer Passage des Textes heißt es, nicht jeder Mann sei ein „Angreifer“, nur weil er mal „ein Knie berührt“ oder versucht habe, einen „Kuss zu stehlen“, nur weil er bei einem Abendessen über „intime“ Dinge gesprochen oder „Nachrichten mit sexueller Konnotation“ an eine Frau geschickt habe, die sich nicht zu ihm hingezogen fühlte. Dieses männliche Verhalten, so vermittelt der Text, ist normal und akzeptiert, rien de grave, nichts Schlimmes. Weil Erotik von Eroberung und Erobertwerden lebt, weil sie auf einem ungleichen Machtverhältnis basieren muss, um überhaupt zu funktionieren. Weil Männer anders sind, und Frauen auch. Wer Gleichheit zwischen den Geschlechtern fordert, der zerstört die Differenz, und damit verbunden die Erotik.

Alles in einen Topf

Das sieht Caroline de Haas, Mitgründerin der Organisation Osez le féminisme (Wagt den Feminismus), anders. In einem Beitrag für France Info, der von einer Reihe feministischer Aktivistinnen unterzeichnet wurde, schreibt sie, die Autorinnen des Le Monde-Artikels würden „bewusst ein Verführungsverhältnis, basierend auf Respekt und Lust, mit Gewalttätigkeit gleichsetzen. Alles zu vermischen ist praktisch. Es erlaubt, alles in einen Topf zu schmeißen. Wenn Belästigungen oder Aggressionen nur ‚unbeholfenes Flirten‘ sind, dann sind sie nicht so schlimm.“ De Haas weist außerdem darauf hin, dass es in der Diskussion eine Klassendimension gibt: Viele der Le Monde-Autorinnen würden problematisches Verhalten und Sexismus von Männern sofort kritisieren, wenn es um Männer in sozial schwachen Gegenden und Milieus ginge. Bei Männern aus ihrem eigenen Milieu seien sie zurückhaltender, dort gehöre sowas zum „Recht aufdringlich zu werden“.

Ein Vorwurf, den sich Catherine Deneuve gefallen lassen muss. Die nimmt ihren guten Freund, den wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen angeklagten Regisseur Roman Polanski, öffentlich immer wieder in Schutz – obwohl der sich schuldig bekannte. Als Feministin sieht Deneuve sich durchaus und unterzeichnete 1971 das Manifeste des 343 Salopes, das Manifest der 343 Schlampen, in dem französische Frauen das Recht auf Abtreibung forderten. „Ich mag sie gerne, die Frauen“, sagte Deneuve einmal in einem Interview, „in diesem Sinne könnte ich mich als Feministin bezeichnen.“ Geneviève Fraisse, Philosophin und Historikerin, kann allerdings nicht viel Feministisches in dem von Deneuve unterzeichneten Artikel finden: „Ihre Position ist es, nicht feministisch zu sein.“ Sie schlägt einen historischen Bogen: „Schon am Folgetag der Französischen Revolution stellte sich die Frage nach dem Verlust der Verführung mit der Vorstellung, dass Gleichheit Liebe und Sex unterdrücken würde.“ Manche Diskussionen kommen eben immer wieder. Auch in Frankreich.

Text: Julia Korbik