KAPITEL
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Durchbruch – Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen

Er verfasste jene Reportage im New Yorker, die wesentlich dazu beitrug, den Weinstein-Skandal aufzudecken und eine nie dagewesene gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit strukturellem sexuellem (Macht-)Missbrauch auslöste. Jetzt hat Ronan Farrow ein neues Buch gegen das Schweigen geschrieben.

Obwohl erst 32 Jahre alt, gilt Ronan Farrow schon lange als Überflieger: Uni-Abschluss in Philosophie mit 15 Jahren, anschließendes Jura-Studium, Zulassung als Anwalt in New York. Nebenbei engagierte er sich bereits für UNICEF und die UN, wurde 2009 Sonderberater der Obama-Regierung für humanitäre NGO-Angelegenheiten und reichte darüber hinaus in Oxford seine Doktorarbeit in Philosophie ein.
Gewiss startete Farrows Leben in einer extrem privilegierten Position – weiß, männlich, wohlhabend und in eine berühmte Familie geboren. Entscheidend ist jedoch, was er beschloss, mit diesen Privilegien zu tun.

Inspiriert von der philanthropischen Arbeit seiner Mutter, der Schauspielerin Mia Farrow, merkte er früh, dass er seine Stimme öffentlich wirksam nutzen wollte. Farrows investigative Beschäftigung mit sexuellen Übergriffen von mächtigen Männern in der Unterhaltungsbranche hat einen prominenten Familienhintergrund: Schon als Kind hat er erlebt, wie die Anschuldigungen seiner älteren Schwester Dylan gegen den gemeinsamen Vater Woody Allen, der sie als Siebenjährige missbraucht haben soll, in den schützenden Gräben des Patriarchats ohne ernsthafte Konsequenzen versandeten.

2016 schrieb Farrow, der öffentlich mit seinem Vater gebrochen hat, einen Artikel für den Hollywood Reporter, in dem er seiner Schwester beisteht und vor den Gefahren ungestellter Fragen mahnt. Bekannterweise beschloss er kurz darauf, diese Fragen selbst zu stellen: Zermürbende zehn Monate recherchierte er im Fall Weinstein, ermutigte dessen Opfer dazu, ihre Erfahrungen öffentlich mitzuteilen, und blieb auch dann an der Geschichte dran, als ihm der Rückhalt von seinem früheren Arbeitgeber NBC wegbrach. „Die Rolle eines Reporters ist nicht, Wasserträger für diese Frauen zu sein. Aber es ist unsere Verpflichtung, Fakten zu nennen und sie ernst zu nehmen. Manchmal sind wir die einzigen, die das tun können“, schrieb er im Hollywood Reporter.
Bemerkenswert ist auch, wie Farrow heutzutage wiederholt thematisiert, welche falsche Position er selbst früher eingenommen habe. So habe er Dylan öfter gebeten, des Friedens wegen nicht mehr über den Missbrauch zu sprechen, auch wenn er ihr stets geglaubt habe. Erst später erkannte er, dass es der Luxus Nichtbetroffener ist, Gewalterfahrung nicht weiter beachten zu können.

Ronan Farrow ist somit nicht nur ein bedeutender Wegbereiter für #metoo, sondern auch eindrucksvolles Beispiel für jemanden, der die eigene privilegierte Stellung in einem gesellschaftlichen System reflektiert, um dann etwas darin zu bewegen. Auch wenn das unter Umständen bedeutet, sich ernsthaften Risiken auszusetzen: Während seiner Recherche im Fall Weinstein drohte der einflussreiche Filmproduzent ihm nicht nur über Anwälte, sondern ließ ihn auch von Geheimagenten beschatten. Diese Story hinter der Story ist auch Teil des Themas im neuen Enthüllungsbuch „Durchbruch – Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen“. Eindringlich wird darin demonstriert, wie eine Kultur toxischer Komplizenschaft es ermöglicht, Sexualverbrechen straflos geschehen zu lassen. Zudem erzählt das Buch von den subtilen Einschüchterungstaktiken, mit denen Reporter zum Schweigen gebracht werden sollen. Ronan Farrow und die Frauen aber haben nicht mehr geschwiegen und uns allen einen unermesslichen Dienst geleistet, für den sie Anerkennung verdienen, die noch über den ihm schon zugestandenen Pulitzer-Preis hinausgeht. Als Journalist wird er weiterwirken. Doch erst mal wird es privat aufregend: Anlässlich der Buchveröffentlichung hat Farrow bekannt gegeben, mit seinem langjährigen Lebensgefährten Jon Lovett verlobt zu sein. Congrats

Ronan Farrow: Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen, Sachbuch, Rowohlt Verlag, 528 Seiten, ISBN 978-3-498-00114-8

Text: Ramona Raabe Foto: Brigitte Lacombe