KAPITEL
Femimism 7

FEMINISMUS GOES POP GOES DIGITAL

Wenn Feminismus eine Celebrity wäre, dann wohl am ehesten Beyoncé: Beliebt, gefragt und jemand, auf die sich alle einigen können. Feminismus hat einen Imagewechsel vollzogen, ist nun hip, tragbar, eigentlich das stilsicherste politische Accessoire der letzten Jahre. Und auch auf den Bühnen unserer Zeit – den sozialen Medien – ein Star. Wir fragen uns: Wie geht’s dem Feminismus zwischen Popkultur und Internet? Und wie geht’s weiter? Versuch einer Bestandsaufnahme.

Feminismus ist in. Was das heißen soll? In der Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch wie hat die ehemals belächelte graue Maus, mit der kein Hipster etwas zu tun haben wollte, das geschafft? Durch das Besetzen von Räumen und Zusammenhängen, die im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, durch den Einzug in Mode, Musik und Film, kurz: durch das Einwandern in die Popkultur. Und auch mit Hilfe der Digitalisierung: Dank des Internets kommen wir leichter an Informationen und unser digitales Habitat lässt sich gänzlich unseren persönlichen Interessen und Vorlieben anpassen. Feministische Filterblase kreieren: easy. Doch wie verändert diese Präsenz den Feminismus? Und wie gestaltet sich feministischer Aktivismus im Zuge der Digitalisierung? Wenn jemand eine Antwort darauf weiß, dann die, die selbst schon länger mitmischen: Nadia Shehadeh, Bloggerin, Soziologin und Netzfeministin der ersten Generation, und Paula Irmschler, Journalistin, Buchautorin und Facebook-affine Netzfeministin der zweiten Generation (die so aber eigentlich nicht genannt werden will).

Feminismus ist Pop – so what?!

Popfeminismus ist schlechter, weil nicht radikaler Feminismus – nein, so einfach geht die Gleichung nicht. Einen positiven Effekt des feministischen Hypes sieht Paula in dessen „einfacher Sprache und den zugänglichen Themen“, die ein guter Türöffner für Personen sein können, die bislang politisch wenig involviert waren. Gleichzeitig ist aber die Kritik am Popfeminismus berechtigt, die sich auf sein den Kapitalismus affirmierendes Moment bezieht und Kritik am bestehenden System vermissen lässt. Eine solche Light-Version des Feminismus fordert lediglich einen „besseren“ Kapitalismus. Die Ungleichbehandlung der Geschlechter ist im kapitalistischen System aber schon angelegt, zum Beispiel in der Spaltung von unbezahlter, durch Frauen verrichteter Reproduktionsarbeit von bezahlter Lohnarbeit. Daher muss Feminismus, der auf die Gleichbehandlung aller Menschen abzielt, eine umfassende Kapitalismuskritik stets mitdenken.

Neue Möglichkeiten im digitalen Raum – Netzfeminismus 1.0

Als Nadia Shehadeh 2011 zum Bloggerkollektiv der Mädchenmannschaft dazustieß, war dieses noch weit davon entfernt, sich Sorgen über eine zu große Beliebtheit feministischer Belange machen zu müssen. Als eines der ersten deutschsprachigen Formate seiner Art stellte der Blog eine Web-Alternative zu den gängigen Printmedien dar und setzte sich auch inhaltlich deutlich von diesen ab. Das Internet bescherte den Blogger*innen die Freiheit, sich nicht für ein bestehendes Magazin entscheiden und unter den strengen Gesetzen des Marktes agieren zu müssen. So konnten sie weitestgehend unabhängig über das schreiben, was für sie relevant und interessant war und in den Mainstreammedien nur wenig Beachtung fand. Die Mädchenmannschaft war eine Art Geekgruppe; spezielles Interesse: Feminismus.

In den darauffolgenden Jahren differenzierten sich die unterschiedlichen Themen bei der Mädchenmannschaft, aber auch in anderen Webformaten immer weiter aus. Hier sind im deutschsprachigen Raum die Anfänge dessen zu verorten, was seitdem unter dem Titel „Netzfeminismus“ gehandelt wird und für viel Kontroversen und Diskussionen, unter anderem mit konservativeren feministischen Medien, gesorgt hat.

Mit Instagram, Twitter & Co. zum Netzfeminismus 2.0

„Für diese ersten netzfeministischen Aktivitäten war ein eigenes Medium, wie zum Beispiel ein Blog, unabdingbar“, so Nadia. Er stellte einen relativ geschützten virtuellen Ort dar, der den Aktivistinnen Raum und Freiheit zum Schreiben und Diskutieren ohne Zensur des Printmarktes oder einer männlich dominierten Redaktion gab. Diese Form des traditionellen Bloggings sieht die Journalistin in Zukunft jedoch immer mehr abgelöst von Formen des sogenannten Mikrobloggings, sprich einer Verlagerung auf soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Co. Auf Twitter haben die in dieser Hinsicht bis heute aufsehenerregendsten Aktionen stattgefunden: Feministische Hashtag-Initiativen wie #aufschrei, #ausnahmslos oder #neinheißtnein wiesen auf Probleme wie Alltagssexismus und sexualisierte Gewalt hin. Dass durch solch einen Twitter-Aktionismus nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit generiert, sondern auch neue Mitstreiterinnen gewonnen werden können, weiß die Journalistin Paula Irmschler aus eigener Erfahrung: „Ich glaube, mein feministisches Bewusstsein habe ich erst so richtig durch #aufschrei erlangt, als ich begriff, dass die Dinge, die mir, seit ich 13 bin, auf der Straße mit Männern passieren, nicht mein persönliches Pech sind.“ Durch die neue Öffentlichkeit lassen sich bestimmte Zusammenhänge erst erschließen: Zum Beispiel, dass Alltagssexismus und sexualisierte Gewalt keine Einzelerfahrungen sind, sondern strukturelle Diskriminierungsformen darstellen und im herrschenden System, dem Patriarchat, verwurzelt sind. Doch auch die anderen Formen des Mikrobloggings sind laut Nadia den Netzfeminismus gut geeignet: „Ich könnte mir auch vorstellen, dass sich zukünftig die Angebote immer stärker auf andere Plattformen verlagern, wie zum Beispiel auf Instagram – einfach, weil das schnellere Medien sind, die auch erlauben, quasi ‚live‘ zu berichten.“

Da kommt es darauf an, wie sich die nachrückenden Feministinnen aufstellen. Ich glaube, wir stehen da gerade an einer Schwelle zu einer weiteren Version des Netzfeminismus, dessen Ausgestaltung aber noch sehr offen ist.“ Der Wechsel der Plattformen – vom Makro- zum Mikroblogging – wirkt sich auch auf die Diskussionsform aus: Ein Thema kann in 140 Zeichen bei Twitter anders verhandelt werden als in ausführlichen Artikeln auf einem Blog. Ein Facebook-Status ist zwar schneller geschrieben und veröffentlicht, wird aber auch leichter übersehen und vergessen. Dafür ermöglichen Plattformen wie Facebook und Instagram mehr Interaktivität. Autorinnen- und Leserinnenrollen werden zunehmend aufgelöst und politische Einmischung wird einfacher und niedrigschwelliger: Beim Netzfeminismus 2.0 kann jeder mitmachen. Sowieso scheint das Wort „Netzfeminismus“ überholt, nicht weil es ihn nicht mehr gibt, sondern weil es ihn nur noch gibt. Das Konzept des digitalen Dualismus, also die Annahme einer digitalen und somit von der „echten“ getrennten Welt, ist spätestens seit Etablierung des Smartphones hinfällig. Digitale Techniken und soziale Medien sind ganz selbstverständlich Bestandteil unseres Alltags und so auch unseres feministischen Aktionismus. Feminismus ist schon digitalisiert – wie viele andere Lebensbereiche auch.

Wir sind viele – jede Einzelne von uns

Unsere Ausdrucksformen sind also flexibler geworden, vielseitiger und lauter. Das ist eine große Chance: Für Stimmen, die vorher nicht gehört wurden, für Personen, die durch Lohn- oder Care-Arbeit keine zeitlichen Ressourcen für politische Teilhabe hatten, für Menschen, die auf Grund ihrer materiellen Verhältnisse ausgeschlossen waren. Redaktionen großer Zeitungen und Nachrichtendienste – traditionell überwiegend von Männern besetzt – verlieren ein Stück Macht an den digitalen Äther, die wir uns aneignen und für unsere Zwecke einsetzen können. Gerade die sozialen Medien empfindet Paula hier als Bereicherung: „Für mich selbst ist es ein Segen. Ich weiß nicht, ob ich vor Facebook die Möglichkeit gehabt hätte, öffentlich zu schreiben und zu publizieren. Für Frauen ist es schwieriger in Redaktionen reinzurutschen, auch heute noch.“ Durch die positive Resonanz auf Facebook seien die Verantwortlichen größerer und einflussreicher Medien – häufig Männer – dann eher bereit gewesen, sie für sich schreiben zu lassen. Neben den Plattformen hat sich aber auch die Bewegung selbst diversifiziert, wir reden nicht mehr von dem Feminismus, sondern von verschiedenen Feminismen. Die Spannweite reicht von intersektionalen über queerfeministische bis hin zu marxistisch-feministischen Ansätzen. Die digitalen Medien ermöglichen, dass diese verschiedenen Stimmen auch Gehör finden. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass aus den Einzeläußerungen ein Stimmengewirr entsteht, in dem Wichtiges untergeht. Paula findet „diese neue Pluralität zwar super“, fügt aber an: „Ich möchte, dass wir nicht vorrangig darüber reden, wer welches Pronomen trägt und warum, sondern auch das System dahinter beleuchten, das die Abwertung des Weiblichen ermöglicht. Die Prioritätenentwicklung, die ich da gerade sehe, finde ich sehr gefährlich.“

No woman is an island – innerfeministische Debatten

Mit dieser Ausdifferenzierung gehen auch innerfeministische Auseinandersetzungen einher. Die größten Kontroversen sieht Nadia beim „Thema Kopftuch“ und allgemein bei religionskritischem Feminismus, bei der Diskussion um Sexarbeit und Pornos und bei queer- und transfeministischen Bewegungen. Hier werden diskursive Grabenkämpfe geführt, die Lager sind oft tief gespalten. Häufig finden wir uns als Feminist*innen in Situationen wieder, in denen wir uns scheinbar für eine von beiden Seiten entscheiden müssen. Dieser Positionierungszwang sei anstrengend und nicht zielführend: „Mich nerven diese Entweder-oders, dieses ‚Bist du nicht für uns, bist du gegen uns‘, wie es bei den Themen Islamismuskritik, Sexindustriekritik und Queerfeminismus der Fall ist. Ich kann und muss Entwicklungen im Queerfeminismus kritisieren können, aber ich kann auch bestimmte Ansätze gut finden. Ich kann Islamismuskritik vollziehen, aber ich kann antimuslimischen Rassismus auch kritisieren. Ich kann das System der Sexindustrie kritisieren, ohne dass ich allen Sexarbeiterinnen ihre Mündigkeit abspreche und Pornos ablehne“, meint Paula. Das häufig dogmatische und unreflektierte Hochhalten einer Position führt zu Vereinzelung, zur Zersplitterung der feministischen Bewegung. Die Konsequenz könne aber auch nicht sein, dass die verschiedenen Gruppen von ihren Ansprüchen und Forderungen zurücktreten, betont Nadia. Anstatt sich für eine Strömung entscheiden zu müssen, sei doch „der Austausch von Argumenten viel besser, von mir aus auch Streit – aber eben ohne Verleumdungen untereinander“, konstatiert Paula.

Gegenwind aus allen Richtungen

Die neuen Kommunikationskanäle stehen natürlich nicht nur Feministinnen offen: Auch antifeministische Akteure informieren, vernetzen und organisieren sich heute besser. Nicht selten sind die beiden Journalistinnen mit beleidigenden Kommentaren unter ihren Artikeln und polemischen Nachrichten in der Inbox konfrontiert. Doch nicht ausschließlich Antifeministinnen und Konservative fühlen sich von politischem Aktivismus und journalistischem Output angegriffen: „Wenn man szeneinterne Probleme anspricht, kommen Angriffe nicht selten auch aus linken Kreisen. So zum Beispiel von Antideutschen, deren Misogynie ich immer mal wieder thematisiert habe. Da gab es richtige Verleumdungen und Mobbing“, erzählt Paula. Noch wichtiger wird da der feministische Schulterschluss, um den reaktionären Gruppierungen entschieden entgegenzutreten. Auch von unterschiedlichen Standpunkten aus können wir uns, wenn es möglich und nötig ist, zusammentun, um gemeinsam stärker zu sein. Und wie sollte solch eine Vernetzung spezialisierter feministischer Einheiten heutzutage besser funktionieren als über das Internet?

Bildet Blasen Dank digitaler

Medien können wir uns mit Mitstreiterinnen in der ganzen Welt verbinden und so auch mit Menschen jenseits unserer westlichen Lebenskontexte solidarisch sein. Paula sieht hier das ganz spezielle Potential eines digitalisierten Feminismus: „Das Netzwerken geht wunderbar, auch für Leute wie mich, die bisher von solchen Themen unberührt waren. Sie können sich informieren und austauschen, sich belesen und mitteilen. Es gibt Erfahrungsberichte, Hilfeschreie, Unterstützung, es gibt Debatten, es gibt Organisationen – und es gibt den Austausch mit oder die Information über Frauen außerhalb von Westeuropa. Es ist ein gutes Mittel, um sich zu wehren und zu empowern.“ So kann Feminismus lokal und global, digital und analog und vor allem individuell und kollektiv stattfinden. Wir können neue Strukturen auf- und bereits bestehende ausbauen und Twitter kann uns ebenso wie die Klassiker der feministischen Theorie ein Werkzeug sein. Wie das praktisch aussehen soll? Zum Beispiel mit Hilfe der von Anne Wizorek und Mitstreiterinnen ins Leben gerufenen Online-Plattform Feministisches Netzwerk. Hier können sich sowohl Gruppen als auch Einzelpersonen miteinander vernetzen und weiterbilden. Die Plattform bietet Hilfe bei Orientierung und Vernetzung von Akteur*innen und der Organisation feministischer Aktionen.

So leistet sie einen Beitrag dazu, dass der Protest aus dem Netz auch immer wieder auf die Straße getragen wird, dass direkte politische Teilhabe durch die Digitalisierung nicht verringert, sondern vermehrt wird und dass sich Feminist*innen aus der Öffentlichkeit nicht verdrängen lassen: weder aus den digitalen Räumen des Internets noch aus den physischen Räumen der Straße und Institutionen. Wir sind viele und werden immer mehr: Feminismus hat mehr Follower als du!

Paula Irmschler, arbeitet als Journalistin unter anderem für neues deutschland, den Musikexpress und die Intro, steht auf Popkultur und Politik und ist zusätzlich Feministin, weil sie findet, dass das „alternativlos ist“. Ihr digitales Zuhause ist ihre Facebook– und ihre Instagram-Seite, wo man sie abonnieren kann. Kürzlich ist ihr lesenswertes Buch „Superbusen“ erschienen.

Nadia Shehadeh, generiert 1-a-Content für Printmedien wie zum Beispiel das Missy Magazine, wenn sie nicht gerade für die maedchenmannschaft.net oder ihren eigenen Blog shehadistan.com schreibt. Wer seine Freunde mit den neuesten Trends aus der feministischen Filterblase beeindrucken will, folgt ihr einfach bei Twitter (auch für Hummus-Rezepte und Qualitätsmemes geeignet).

Text: Kristin Böschen

Dieser Text ist erstmals in LIBERTINE 06 #digital erschienen. Alle bisherigen Printausgaben sind hier erhältlich.