KAPITEL
Foto Animal Equality

Fleischkonsum: Jenseits von Schönmalerei

94 % aller Europäer*innen ist das Wohl der sogenannten Nutztiere wichtig. Doch mit Tierrechten sieht es weltweit alles andere als gut aus. Auch in Deutschland herrschen katastrophale Zustände. Eine, die dies ändern möchte und einen beeindrucken Beitrag für den Tierschutz leistet, ist die 30-jährige Ria Rehberg.

Zwei Minuten einer realistischen Dokumentation zu sogenannter Nutztierhaltung reichen aus, um tagelang alptraumartige Bilder in mir hervorzurufen. So hat sich auch das Schlüsselerlebnis, das mich zur Vegetarierin machte, tief in mein Gehirn eingebrannt. Damals hatte ich ein Pflegepony auf einem Hamburger Reiterhof, auf dem auch Kälber gezüchtet wurden. Eines Tages kam ich genau in dem Moment auf den Hof geradelt, als die jungen Kälber brutal auf einen riesigen Transporter geprügelt und zusammengepfercht wurden. Damit war es für mich für alle Zeit vorbei mit dem unschuldigen Fleischgenuss.

Für Ria Rehberg gehört die Konfrontation mit Tierleid und -quälerei zum Alltag. Die 30-Jährige, die sich schon während ihres Studiums für den Tierschutz einsetzte und früher in verschiedenen Aktivist*innen-Gruppen aktiv war, ist Mitbegründerin des deutschen Ablegers der internationalen Tierrechtsorganisation Animal Equality. „Irgendwann kam ich an den Punkt, wo mir Initiativen im persönlichen Rahmen nicht mehr reichten. Natürlich bringt es eine Menge, sich vegan zu ernähren und sich einer lokalen Tierschutzgruppe anzuschließen. Meine Mission war und ist es aber, die Zustände nachhaltig zu ändern“, erklärt die Aktivistin. Und genau hier setzt Animal Equality an: Indem sie Missstände in der Massentierhaltung aufdeckt und die Recherchen durch qualitativ hochwertige Videoaufnahmen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht, trägt die Tierschutzorganisation im hohen Maße dazu bei, dass sich Konsument*innen mit den Bedingungen für sogenannte Nutztiere auseinandersetzen und anfangen, umzudenken.

„Um die Zustände in der Nutztierindustrie aufzudecken, schleusen wir Undercover-Ermittler in Schlacht-, Zucht-, und Mastbetriebe ein und dokumentieren, welche Qualen die Tiere dort erleiden müssen. Natürlich gewährt uns kein Betreiber freiwillig Zutritt, aber die meisten Ställe stehen offen, sodass wir hier nachts filmen können,“ erklärt Ria.

Zu den erfolgreichsten Aufdeckungen in Deutschland gehört die Enthüllung der Missstände beim Tierschutzsiegel Gutfleisch. Über die Medien erreichte Animal Equality 60 Millionen Zuschauer*innen, die sich die Videoaufnahmen ansahen. Ein toller Erfolg, denn auch wenn nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen zukünftig die Ernährung umstellt, ist damit schon sehr vielen Tieren geholfen.

Betäubungslos getötete Schweine; Puten, die unter ihrem Mastgewicht zusammenbrechen; Milchkühe, die sich kaum bewegen können und niemals in ihrem Leben eine Wiese zu sehen bekommen; Hühner, die vor lauter Stress ganz kahl gerupft aussehen – das sind leider keine Ausnahmen, sondern ganz normaler Alltag in der Nutztierindustrie. „Die Bilder und Videos, die wir aufzeichnen, wirken oft sehr schockierend auf die Betrachter*innen. Unser Ziel ist es, möglichst vielen Menschen einen realistischen Einblick in die Nutztierhaltung zu geben, sodass sie daraufhin die eigenen Konsumentscheidungen überdenken und solche Zustände nicht mehr finanzieren“, so die Aktivistin.

Ria Rehberg bei einer ANIMAL EQUALITY-Protestaktion vor dem Brandenburger Tor.

Für die 30-Jährige bedeuten ihre Arbeit und die tägliche Konfrontation mit dem Leid der Tiere aber auch, regelmäßig an die Grenzen des Ertragbaren zu kommen. „Ich glaube, viele Menschen machen sich keine Vorstellungen davon, wie grausam die Zustände wirklich sind. Mir hilft es, zu wissen, dass das, was wir tun, etwas bewegt und dass wir durch unsere Recherchen und Filme viele zum Umdenken bringen. Wir bekommen täglich Nachrichten, in denen Leute uns schreiben, dass sie einen unserer Filme gesehen haben und ab sofort keine Tiere mehr essen. Das sind die Erfolgserlebnisse, die mich das Ganze ertragen lassen.“

Rund 58 Kilo Fleisch und 217 Eier isst jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr. Insgesamt werden hierzulande rund 754 Millionen sogenannte Nutztiere geschlachtet, wobei Hühner den traurigen Spitzenplatz einnehmen. „Wir sind damit aufgewachsen, dass wir Fleisch brauchen. Dieser Trugschluss ist sehr tief verankert in uns und es dauert eine Weile, bis sich die Menschen davon lösen können. Ich habe gelernt, dass die die Hauruck Methode, andere missionieren zu wollen, nicht funktioniert und man weiter damit kommt, wenn man Menschen Verständnis entgegenbringt und sie dabei unterstützt, ihre Essgewohnheiten umzustellen, auch wenn das nur in kleinen Schritten passiert“, räumt Ria ein.

Die Tierschützerin freut sich über jede*n einzelne*n, der oder die sich dafür entscheidet, auf eine vegane oder vegetarische Ernährung umzusteigen. Rund 150 Tieren erspart dieser Schritt jährlich den Tod. Flexitarier*innen möchte die Wahl-Berlinerin besonders ans Herz legen, auf den Verzehr von kleineren Tieren wie Hühnern, Puten oder Fischen zu verzichten. „80 % der gehaltenen Nutztiere in Deutschland sind Hühner. Viele Menschen, die anfangen, ihren Fleischkonsum zu reduzieren, gehen erst einmal den Weg, kein rotes Fleisch mehr zu essen, sondern nur noch Geflügel. Das ist natürlich ein toller Schritt, allerdings bewahrt man damit nur wenige Tiere vor dem Tod. Rinder sind im Vergleich große Tiere und man könnte rein theoretisch recht lange von einem Rind essen. Wenn man sich aber für Geflügel entscheidet, isst man am Ende sogar mehr Tiere als vorher – auch wenn man ja eigentlich gute Absichten hatte. Gerade kleinere Tiere werden in unfassbar großen Mengen getötet. Gleichzeitig gibt es für sie häufig die wenigsten Tierschutzvorschriften. So werden beispielweise Puten innerhalb kürzester Zeit unter großen Schmerzen auf ihr Schlachtgewicht gemästet“, erklärt die Aktivistin.

Auf dem Lebenshof im Bayrischen Wald können gerettete ehemalige Nutztiere ein würdevolles Leben verbringen.

Ob kleine Schritte oder große Erfolge: Ria Rehberg verfolgt ihre Vision konsequent und zeigt, dass man Missstände nicht hinnehmen muss, sondern mit Mut und Überzeugung Veränderungen bewirken kann.

Trotz der schrecklichen Zustände, mit denen sie täglich in Berührung kommt, gibt sie sich optimistisch: „Das Interesse an den Zuchtbedingungen ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Immer mehr Menschen leben als Flexitarier*innen, Vegetarier*innen oder Veganer*innen. Diese positive Entwicklung prägt die Gesellschaft und wird mittelfristig auch dazu führen, dass sich in der Politik etwas ändert. So kann jede*r von uns, einen Beitrag zu mehr Tierwohl leisten.“

Wie viele Tierleben kostet eigentlich Fleischkonsum? Und werden Umwelt und Klima entlastet, wenn Fleisch durch vegetarische Alternativen ersetzt wird? Antworten liefert der Fleisch-Rechner: https://www.blitzrechner.de/fleisch/

Text: Juliane Rump Fotos: Timo Stammberger

Dieser Text ist erstmals in der LIBERTINE Printausgabe 03 #Courage erschienen, die hier bestellt werden kann.