KAPITEL
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Freundinnenschaft – die Kraft weiblicher Solidarität

Leseempfehlungen zum Tag der (Frauen-)Freundschaft: Heute rücken wir Beziehungen in den Mittelpunkt, die oft übersehen oder unterschätzt werden: Freundschaften zwischen Frauen. Sie sind emotionale Anker, Räume für Selbstermächtigung, Orte des Vertrauens. Und sie sind mehr als privat – in ihnen stecken kollektives Lernen, gelebter Widerstand und politische Kraft.

In diesem Beitrag stellen wir euch Bücher vor, die genau das feiern – literarisch, analytisch, autofiktional oder poetisch. Sie erzählen von Nähe trotz Unterschieden, von Alltagskämpfen und gemeinsamen Visionen. Und sie machen deutlich: Wenn Frauen sich verbinden, entsteht mehr als Gemeinschaft.

Julia Korbik: Schwestern

Was bedeutet Schwesterlichkeit heute – im Alltag, in sozialen Bewegungen, im persönlichen Miteinander? Julia Korbik widmet sich in Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs genau dieser Frage und zeigt, dass weibliche Verbundenheit weit über freundschaftliche Nähe hinausgeht. Für sie ist Schwesterlichkeit eine Haltung: aufmerksam, solidarisch, politisch.

Schwesterlichkeit ist ein radikales Konzept. Sie stellt sich der männlichen Hegemonie entgegen und widersetzt sich der patriarchalen Logik, der zufolge Frauen miteinander um begrenzte Ressourcen – Macht, Aufmerksamkeit, Raum – konkurrieren mussen: Es geht nicht darum, möglichst überhaupt ein Stuck vom Kuchen zu bekommen, sondern darum, einen anderen, einen größeren Kuchen zu backen. Schwesterlichkeit ist damit nicht nur ein Werkzeug, sondern eine ethische Haltung, ein ambitioniertes politisches Projekt – und mehr als nur ein Slogan. Sie ist ein gemeinsamer Kampf, und dieser Kampf nennt sich Feminismus. – Julia Korbik

Mit klarem Blick und persönlichem Ton verknüpft Korbik feministische Theorie mit historischen Vorbildern – von Olympe de Gouges bis Audre Lorde – und schlägt die Brücke in die Gegenwart: zu #MeToo, zu Protesten im Iran, zu Allianzen über Grenzen hinweg. Dabei spart sie Konflikte nicht aus, sondern benennt auch die Brüche innerhalb feministischer Bewegungen – etwa durch Rassismus oder Exklusion.

Schwestern ist kein klassisches Sachbuch, sondern ein feministischer Denkraum. Ein Plädoyer für echte Gemeinschaft, kritische Nähe – und für die politische Kraft weiblicher Beziehungen.

Daphne Palasi Andreades: Brown Girls

Was passiert, wenn die Stimmen junger Women of Color nicht vereinzelt, sondern gemeinsam erzählen? Brown Girls ist kein gängiger Roman über einzelne Figuren – es ist ein literarisches Kollektivporträt. In einer vielstimmigen, poetischen „Wir“-Erzählung begleitet Daphne Palasi Andreades eine Gruppe von Mädchen aus Queens, New York, durch Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden.

Ihre Erfahrungen mit Herkunft, Migration, Rassismus und Erwartungen sind individuell – und doch verbunden. Die Freundschaft zwischen ihnen wird zur Kraftquelle, zur Schutzgemeinschaft, zum Raum für Träume und Reibung zugleich. Der Text verdichtet Nähe, Unsicherheit, Selbstermächtigung und Solidarität zu einem vielschichtigen Bild davon, was es heißt, als junge Frau of Color aufzuwachsen – und sich nicht unterordnen zu lassen.

Brown Girls ist ein poetischer, kraftvoller Roman über Freundinnenschaft als kollektive Erfahrung. Und darüber, wie sich in Verbundenheit Identität und Widerstand formen lassen.

Franziska Schutzbach: Revolution der Verbundenheit

Was wäre, wenn wir unsere Gesellschaft nicht auf Konkurrenz und Vereinzelung, sondern auf Beziehung und Fürsorge gründen würden? In Revolution der Verbundenheit entwickelt Franziska Schutzbach eine eindrucksvolle Vision von Zusammenleben, das auf gegenseitiger Verantwortung, Empathie und Solidarität basiert – mit einem besonderen Blick auf weibliche Perspektiven und Erfahrungen.

Das Buch ist analytisch und zugleich zutiefst persönlich. Schutzbach denkt über patriarchale Strukturen, Machtverhältnisse und neoliberale Entfremdung nach – und zeigt, wie eine Politik der Verbundenheit dem etwas entgegensetzen kann: Beziehung statt Beherrschung, Sorge statt Ausbeutung. Besonders eindrücklich ist, wie sie feministische Kämpfe in den größeren Zusammenhang von Care-Arbeit, Ökologie und kollektiver Resilienz stellt.

Revolution der Verbundenheit ist ein engagiertes, kluges Buch, das Mut macht – weil es zeigt, dass Solidarität keine Schwäche ist, sondern eine revolutionäre Kraft.

Beatrice Frasl: Entromantisiert euch

In Entromantisiert euch räumt Beatrice Frasl mit gesellschaftlichen Vorstellungen von Liebe, Paarbeziehungen und romantischem Glück auf – und stellt dabei eine radikale Frage: Was, wenn nicht die romantische Zweierbeziehung, sondern Freundschaften die stabileren, ehrlicheren und tragfähigeren Verbindungen sind?

Mit scharfem Blick und feministischer Analyse zeigt Frasl, wie patriarchale Normen die romantische Liebe überhöhen – oft zulasten anderer, ebenso bedeutender Beziehungsformen. Gerade für Frauen, so betont sie, können Freundschaften Orte echter Nähe, Fürsorge und Solidarität sein. Sie geben Halt in einer Welt, die weibliche Autonomie oft als Bedrohung liest.

Freundschaft ist ein Rahmen, in dem Frauen einander lieben und stützen, in der sie bedeutungsvolle Bindungen erleben, abseits männlichen Zugriffes und abseits männlicher Zuschreibung. Freundschaft ist auch ein Rahmen, in dem Frauen entdecken können, wie unwichtig Männer für sie sind und wie abträglich die Beziehungen zu ihnen für sie. Freundschaft ist dem Patriarchat also nicht ganz ungefährlich – schließlich finden Frauen in ihr einen Rahmen, in dem sie sich verbünden können. – Beatrice Frasl

Entromantisiert euch ist ein vielschichtiges, provokantes Buch, das die vermeintliche Natürlichkeit der romantischen Liebe hinterfragt – und den Wert von Freundschaft nicht nur betont, sondern politisiert. Frasl macht deutlich: Wer Liebe neu denken will, muss auch Freundschaft neu würdigen.

Eine ausführliche Rezension zu Entromantisiert euch findet ihr hier.

Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt

Was passiert, wenn Frau einfach nicht mehr kann? Die Wut, die bleibt beginnt drastisch und ohne Umwege mit dem Suizid einer Mutter. Von hier aus entfaltet sich mit beeindruckender Intensität ein Roman über Erschöpfung, strukturelle Ungerechtigkeit und das radikale Potenzial weiblicher Solidarität. Im Zentrum stehen drei Frauen – darunter Lola, die 15-jährige Tochter der Verstorbenen, die nach dem Schock eine neue Form von Zusammenhalt erlebt.

Lola und ihre Freundinnen bilden ein kraftvolles Bündnis: Sie verbünden sich, sie organisieren sich, sie stützen sich. Ihre Freundschaft wird zum Schutzraum – und zugleich zum Ort des Widerstands gegen eine Welt, in der Mädchen funktionieren sollen. Sie stellen Fragen, sie verweigern sich, sie experimentieren mit Nähe, Loyalität und Wut – und entwickeln im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsame Schlagkraft.

Ohne Pathos, aber mit großer Wucht zeigt Mareike Fallwickl, wie aus weiblicher Freundschaft etwas Größeres entstehen kann: ein kollektives Bewusstsein, das Grenzen verschiebt.

Die Wut, die bleibt ist ein dringliches, kluges Buch über weibliche Erschöpfung – und über das, was möglich wird, wenn Frauen und Mädchen beginnen, einander wirklich zu sehen und gemeinsam laut zu werden.

Tamar Noort: Der Schlaf der Anderen 

Was hält uns wach – und was verbindet uns, wenn alles andere still wird? In Der Schlaf der Anderen erzählt Tamar Noort die Geschichte zweier Frauen, die sich in einem Schlaflabor begegnen: Sina, eine erschöpfte Mutter, und Janis, die ihren Pflegejob verloren hat. Aus dieser zufälligen Begegnung entsteht eine stille Nähe – geprägt von gegenseitigem Verständnis, geteilter Erschöpfung und einer zarten Form von Solidarität.

Freundschaft ist in diesem Roman kein erklärtes Thema – und doch durchzieht sie das Geschehen wie ein feiner Faden. Ohne große Worte, ohne feste Definition entsteht zwischen den beiden Frauen eine Verbindung, die entlastet, stärkt und auffängt. Es ist diese Art von Beziehung, die sich nicht über Etiketten definiert.

Noorts Roman verwebt gesellschaftliche Themen wie Überforderung, Care-Arbeit und Einsamkeit mit persönlicher Verbundenheit. Es geht um weibliche Lebensrealitäten, die oft übersehen werden – und um das, was möglich wird, wenn Frauen einander wirklich zuhören. Ohne große Worte, ohne Drama, aber mit feinem Gespür erzählt Noort von einer Freundschaft, die nicht laut sein muss, um zu tragen.

Der Schlaf der Anderen ist ein leises, kraftvolles Buch über Sorge, Nähe und Verbundenheit – und darüber, wie viel politisches Potenzial in einer einzigen Geste des Mitgefühls liegen kann.

Audre Lorde: Sister Outsider

Ein Klassiker, der in dieser Liste nicht fehlen darf: Mit Sister Outsider liegt seit 2021 eine kraftvolle Sammlung von Essays und Reden der afroamerikanischen Autorin und Aktivistin Audre Lorde erstmals vollständig auf Deutsch vor. In ihren Texten spricht Lorde über Rassismus, Sexismus, Homofeindlichkeit – und immer wieder über die politische Bedeutung von Verbundenheit unter Frauen. Für sie ist Solidarität kein Gefühl, sondern eine Handlung. Und Freundschaft: ein Raum für Wahrhaftigkeit, Fürsorge und gemeinsame Verantwortung.

Lorde schreibt aus der Perspektive einer Schwarzen, lesbischen Frau – und fordert dazu auf, Differenz nicht zu fürchten, sondern als Grundlage für kollektive Stärke zu begreifen. Ihre Worte sind wütend, zärtlich, analytisch und unbequem. Sie denkt Freundinnenschaft nicht nur als emotionale Beziehung, sondern als eine Form von Widerstand, die sich gegen patriarchale Spaltungen stellt.

I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own. – Audre Lorde

Für Lorde bedeutet Freundschaft unter Frauen nicht nur emotionale Nähe, sondern eine Verpflichtung: Wenn eine Frau ungerecht behandelt wird, kann keine andere wirklich frei sein. Diese Verbindung – sprichwörtlich und politisch – bildet die Grundlage eines intersektionalen Feminismus, der persönliche Beziehung und gesellschaftlichen Wandel zusammendenkt.

Sister Outsider ist ein fundamentales Buch, das zeigt, wie tief politisch weibliche Verbundenheit sein kann – und wie viel Kraft in der ehrlichen Begegnung zwischen Frauen liegt. Ein Klassiker, der aktueller nicht sein könnte.

Fazit

Diese Bücher zeigen auf ganz unterschiedliche Weise: Freundinnenschaft ist kein schmückendes Beiwerk im Leben von Frauen – sie ist Fundament, Schutzraum, Resonanzboden. Sie ist politisch, weil sie Gegenerzählungen zu Isolation, Konkurrenz und Vereinzelung schafft. Und sie ist heilsam, weil sie Verbundenheit nicht als Schwäche, sondern als Stärke versteht.

Ob literarisch, essayistisch oder theoretisch – all diese Werke feiern weibliche Beziehungen als Kraftquelle und Ausgangspunkt für Veränderung. Denn wenn Frauen einander halten, herausfordern, stärken und begleiten, entsteht mehr als Nähe. Es entsteht die Möglichkeit, die Welt gemeinsam anders zu denken – und anders zu leben.

Text: Juliane Rump Foto: babi/unsplash