I want your click!
Die digitale Klickwirtschaft hat uns voll im Griff, doch wir bemerken es kaum. Eingebettet zwischen süßen KatzenGIFs und den 10 romantischsten Liebeserklärungen, schweifen wir im Netz umher und vergessen, nach was wir eigentlich gesucht haben. Oder welche Informationen tatsächlich wichtig sein könnten. Dass Facebook mehr und mehr zu einer Plattform des Clickbaiting (dt.: Klickköderei) wird, registriert man häufig erst, wenn man ihm überdrüssig wird – dasselbe Montag-Morgen-GIF schon zum zehnten Mal gesehen hat und alle Beiträge im Feed mit „noch nie“ oder „unglaublich“ locken.
Liebe und Sex geht immer – das weiß jede Redaktion, ob online oder Print. Vor allem aber der Medienmarkt im Internet ist ein harter Konkurrenzkampf, in der jedes Magazin um die 5 Sekunden Aufmerksamkeit kämpfen muss. Dabei sind kleine Informations-Häppchen bei den potenziellen Leser*innen sehr beliebt, denn diese lassen sich schneller mal in der Mittagspause verspeisen. Text-Content ist was für Leute mit Zeit und wer hat die schon? Lieber die Bildgalerie der 11 schlimmsten Fehler beim ersten Date durchklicken und erheitert werden. Woher aber kommt dieses gefundene Fressen? Dieses Fastfood in der vielversprechenden Verpackung?
Seiten wie heftig.co und BoredPanda waren lange die primären Bezugsquellen für sogenannten „Clickbait-Content“ – über Facebook und Co. gingen die lustigen Bildstrecken und Listicles viral, dann zogen auch die seriösen Medien mit sogenannten „information gaps“ hinterher. Die Titel und Teaser wecken durch das gezielte Auslassen von Informationen das Bedürfnis, diese Wissenslücken zu schließen, sei der Beitrag auch noch so uninteressant. Denn eines haben alle Clickbait-Verbreiter*innen gemein: sie machen Geld damit, möglichst wenig Inhalt zu bieten. Jeder Klick auf ihre Seite führt zu höheren Ratings und somit zu einer besseren Sichtbarkeit und gesteigerten Attraktivität für Werbekunden.
Schnell geschluckt, doch wenig nahrhaft
Clickbait an sich ist ein Social-Media-Phänomen, doch es bedient sich der traditionellen Marketing-Technik des „Marktschreiens“, die auch für die Boulevard-Presse typisch ist. Kurz, prägnant und möglichst uninformativ wird für „unglaubliche“ Inhalte geworben. Die Erregung von Emotionen ist der Klickmagnet. Wir wollen und wir müssen unseren Informationsmangel befriedigen. Ein Klick führt zum anderen und bald schon ist die gesamte Timeline übersät mit dem „Spam der digitalen Medien“, wie Martin Potthast ihn nennt. Potthast ist Forscher im Digital Bauhaus Lab in Weimar und entwickelt mit seinem Team, gefördert von der „Google digital news innitiative“ einen Clickbait-Filter. Noch betreiben sie Grundlagenforschung und lassen 30.000 Twitter-Meldungen großer englischsprachiger Verlage von jeweils fünf Personen auf Clickbaiting untersuchen. Bei einem ersten Testlauf mit 3000 Tweets, stellte sich heraus, dass – wenn man nach der Mehrheitsmeinung geht – im Schnitt 25% aller von den Top20-Verlagen versendeten Tweets im englischsprachigen Raum Clickbait sind. Die begutachteten Tweets dienen dem maschinellen Lernverfahren dann als Filter-Beispiele. Damit das Verfahren nicht auf bestimmte „Trending“-Themen, wie zum Beispiel die starke Trump-Berichterstattung reagiert, sondern auf den grundlegenden Clickbait-Stil, müssen die Forscher Tweets aus einem längeren Zeitrahmen berücksichtigen.
„Hier geht es um Klicks, Klicks, Klicks“
Lena war eine Clickbait-Täterin, wenn auch keine leidenschaftliche. Sie ist angehende Journalistin und absolvierte ein Praktikum bei einem großen Onlinemagazin. Obwohl sie dem „Onlinejournalismus“ nicht naiv gegenübertrat, war sie doch schockiert von der Methodik, einfach alles zu verwursten, was nach vielversprechendem Klick-Content aussieht: „Möglichst wenig Text, denn der wird eh nicht gelesen. Keineswegs ziehen nur positive Themen, im Gegenteil. Gerne wird auch mal über einen skurrilen Mord oder irgendeinen fatalen Ausrutscher eines Promis ,berichtet‘.“ Dass die qualitativ hochwertige Recherche da hinten anstehen muss, ist ein Effekt, den auch Potthast bedauert. Ein Grund mehr für ihn, die Dringlichkeit seines Projektes aufzuzeigen: „Mit einem Clickbait-Filter könnte Druck auf die Verlage ausgeübt werden, sodass mehr Wert auf Qualität gelegt wird.“ Für Lena steht fest, dass Clickbaiting den Ruf des Journalismus früher oder später zerstören wird, denn dabei gehe es nicht um Inhalt, um konstruktive Kritik oder wissensbringende Informationen, sondern um Klicks, Klicks und nochmal Klicks.
Schluss mit Katzen-Spam
Doch selbst Facebook ist dieser aufmerksamkeitsstehlenden Maschinerie überdrüssig und arbeitet an der Entwicklung eines eigenen Filters. Nichtsdestotrotz ist Clickbait ein Internetweites Phänomen, dass sich bis auf die Portalseiten der einzelnen Verlage erstreckt und ein Filter ähnlich wie ein AdBlocker auf jeder Seite funktionieren müsste. Zwar untersuchen Potthast und sein Team derzeitig nur englischsprachige Inhalte auf Twitter, perspektivisch soll aber das Verfahren auch auf andere Sprachen und Plattformen übertragen werden. Im Zuge der eigens initiierten „Clickbait-Challenge“ wurde die internationale Forschergemeinde dazu aufgerufen, eigene Ansätze zu entwickeln und diese auszutauschen, sodass ein wissenschaftliches Crowdsourcing stattfindet, aus dem im Idealfall am Ende ein oder mehrere Prototypen oder Webdienste eines Clickbait-Filters hervorgehen. An der Challenge nehmen 40 Teams teil, die Ergebnisse, die Potthast und sein Team aus ihrer Studie gewinnen, werden mit allen geteilt, um den Prozess zu beschleunigen.
Wer weiß, vielleicht bringt die Zukunft des Online-Journalismus noch andere Erfindungen mit sich, zum Beispiel ein Gütesiegel für Qualitätsjounalismus? Martin Potthast ist sich aber sicher, dass Clickbait immer ein Teil der digitalen Ökonomie sein wird und ein Filter zumindest – ähnlich wie im Postfach – für einen aufgeräumten und qualitativ hochwertigen Informationsfluss sorgen kann.
Text: Laura Seime
Collage: Anne Haferung