KAPITEL
Judithholofernes Pressefoto6 Fotograf Marcosensche

Heldin der Wörter und Melodien

Judith Holofernes war schon in ihren Jahren als Frontfrau der Band Wir sind Helden für kluge, sowohl melancholische als auch irrwitzige Songtexte bekannt. Oftmals musste man ein zweites oder drittes Mal genau hinhören, um sie zu begreifen. Nach dem Ende der Band startete Holofernes eine Solokarriere, brachte 2014 ein erstes Album und im vergangenen Jahr ein Buch mit Tiergedichten („Du bellst vor dem falschen Baum“) heraus. Nun widmet sie sich wieder ausführlich der Musik und hat mit Hilfe des Färöer Musikers Teitur das Album „Ich bin das Chaos“ aufgenommen, das vor einer Woche veröffentlicht wurde. Nun ist Judith Holfernes mit Band auf Tour. Wie chaotisch sie tatsächlich ist und was sie am Chaos fasziniert, hat sie Christiane Falk erzählt.

Christiane Falk: Wie kam es dazu, dass Du gleich in mehreren Songs das Thema Chaos aufgreifst?

Judith Holofernes: Ich hab irgendwann die Eingebung gehabt, dass Chaos eigentlich ein zentrales Thema in meinem Leben ist und zwar seit frühester Kindheit. Früher habe ich zum Beispiel den Schulranzen im Bus liegen lassen und auch sonst ging einiges verloren. Meine Mutter ist heute ganz erstaunt, dass ich ein Leben mit Familie geregelt bekomme. Wobei ich in meiner Familie immer noch der stärkste Chaosagent bin. Und als mir all das bewusst wurde, wollte ich unbedingt einen Song drüber schreiben. Mir war sofort klar, dass eigentlich kaum ein Begriff so schillernd ist wie „Chaos“ und so unterschiedlich besetzt. Er ist gleichzeitig attraktiv und beunruhigend.

CF: Du hast bislang nicht mit anderen Musikern zusammen Musik geschrieben. Wie kam der Kontakt zu Teitur zustande?

JH: Sein Manager hat ein Livevideo im Internet entdeckt, in dem ich einen Song von Teitur auf Deutsch covere. Aus „Catherine, The Waitress“ habe ich „Jonathan, der Kellner“ gemacht und das Lied auf der Tour zum ersten Album aufgeführt. Daraufhin hat er mich kontaktiert und gefragt, ob ich Lust auf ein gemeinsames Treffen mit Teitur in Berlin hätte.

CF: Wie schnell war Euch denn klar, dass ihr zusammen arbeiten wollt?

JH: Sehr schnell. Wir saßen am Ufer in einem Café und sind wie diese Magnethunde aufeinander los. Das hat total geklickt, wie bei so verlorenen Geschwistern! Wir haben uns sofort zum Schreiben verabredet und innerhalb von vier Tagen in Berlin die ersten sieben Songs geschrieben. Vier Wochen später bin ich zu ihm auf die Färöer Inseln gefahren und dann sind nochmal neun Songs an sieben Tage enstanden. Er ist nun übrigens auch Teil meiner Liveband.

CF: Teitur schreibt auf Englisch, du auf Deutsch. Wie schwierig war es, das zusammen zu bringen?

JH: Insofern einfach, als dass ich einfach zugelassen habe, Dinge auszuprobieren, die ich mir vorher verboten habe. Ich habe durch die Tage mit ihm erstmal gemerkt, wie viele Songs ich in der Vergangenheit abgetrieben habe. Die haben sozusagen nicht das Welt erblickt, weil ich dachte: „Ich schreib ja nicht auf Englisch!“ Weil ich einen Filter hatte, was zu mir passt und durch das Schreiben mit jemand anderem zusammen, den ich so toll finde, hat sich das komplett aufgelöst. Teitur hat genau wie ich Fragmente mitgebracht, an denen haben wir dann gebastelt. Für das Album habe ich zum Beispiel manchen englischsprachigen Song zurück ins Deutsche übersetzt, denn am Ende wollte ich doch ein deutschsprachiges Album haben.

CF: Deine Formulierungen und Wortspiele sind phantasievoll und wirken sehr durchdacht. Sitzt du lange daran oder fliegen sie dir zu?

JH: An manchen Sachen feile ich sehr und bin da sehr genau. Anderes fliest aber auch sehr schnell aus mir heraus. Das liegt an meiner Leidenschaft für Sprache, das hat aber auch mit meinem Fan-Sein zu tun, meinem Interesse an anderer Leute Texte. Durch die und auch durch Filme und Fernsehen habe ich einen Fundus, auf den mein Gehirn dann halbbewusst zugreift.

CF: Neben dem Chaos und der Freude singst du häufiger über Ängste. „Der Krieg ist vorbei“ oder auch „Das Ende“ treffen nahezu perfekt den allgemeinen Zeitgeist, obwohl sie schon ein paar Jahre alt sind. Wie nahe empfindest du denn die Apokalypse, über die mittlerweile so viele reden?

JH: Ich zitiere mal kurz den Wir Sind Helden Song „Der Krieg kommt schneller zurück, als du denkst“: „Wie weit ist weit genug weg, wie weit ist weg nach warte, wie weit ist weit genug weg? Zehn Finger breit auf der Karte.“ Ich finde immer spannend, wie man sich die Welt erzählt. Im Moment erzählen wir uns alle Doomsday-Phantasien, und dass jetzt endlich mal die Welt untergeht, und alles im Chaos versinkt. Abe das stimmt ja nicht. Es wird ja nur sichtbar. Man kann also nicht mehr so richtig gut weggucken. Natürlich macht mir das auch Angst, aber man muss sich schon klar machen, dass das auch was Selbstgerechtes hat.

CF: Angst birgt ja auch immer Gefahren!

JH: Genau. Wenn man ängstlich ist, ist man einfach gut formbar und lässt sich allen möglichen Quatsch aufschwatzen. Und wenn es nur der richtige Studiengang ist, dem man sich für fünf Jahre verschreibt, um irgendwie hoffen zu können, dass danach dann alles in trockenen Tüchern ist. Was natürlich totaler Quatsch ist. Jetzt sind es eben ein paar Überwachungskameras mehr und irgendwelche Deals, die im Hintergrund gemacht werden, während zum Beispiel alle auf Trump schauen. Man sollte aber immer wachsam sein, wo man denn grade nicht hingucken soll!

CF: Im ersten Song „Der letzte Optimist“ heißt es „Nichts hieran ist gut“. Welcher Moment hat dich dazu animiert?

JH: Da war ich nachts unterwegs in Kreuzberg. Es war kalt, ich bin am Ufer entlang gelaufen, und der Mond hat sich im Wasser gespiegelt. Das Weltall war so greifbar in seiner Tiefe und auch seinem Schrecken, und da hatte ich einen Moment, in dem ich so eine ganz körperliche Erinnerung an tiefes Unglücklichsein hatte. Völlig ohne Anlass. Wenn man sich so elend fühlt, dass man sich wirklich eigentlich nur noch Hinlegen und verrecken möchte an diesem Unglück. Wenn man sich körperlich nicht mehr vorstellen kann, dass man sich nochmal anders fühlen wird. Und wie das bei mir so ist, denke ich dann natürlich sofort: „Oh, ein Lied!“

CF: Du verwendest in den Songtotel und auch in den Liedern selbst schon immer gerne Namen. Diesmal sind es zum Beispiel Charlotte, Lisa und Henry. Wieviel von dir steckt in diesen Figuren?

JH: Anfangs denke ich immer, da ist nichts von mir drin, sondern eher von anderen, die ich beobachte. Später merke ich, dass oft doch sehr viel meine eigenen Empfindungen einfließen. „Oh Henry“ ist für mich wohl der persönlichste und schwierigste Song auf dem neuen Album. Im Prinzip hab ich darin meine dunkelsten und ängstlichsten Momente aufgeschrieben. Er ist für mich das Herz der Dunkelheit. Ich habe ihn neulich nochmal gehört und interessanterweise dabei festgestellt: „Oh, schau mal, so ist es nicht mehr, oder zumindest nicht mehr so oft oder war lange nicht mehr so“. Ich habe gemerkt, dass ich im Schreiben mal wieder was hinter mir lassen konnte.

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Judith Holfernes live:

22.04.17 Stade, Hanse Song Festival

23.04.17 Berlin, Astra (Zusatzkonzert)

24.04.17Hannover, Pavillon

25.04.17Dresden, Scheune

27.04.17Bremen, Lagerhaus

 28.04.17 Stuttgart,Im Wizemann

29.04.17 Freiburg, Jazzhaus

Interview: Christiane Falk

Foto: Marco Sensche