KAPITEL
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Tanz‘ dich frei!

Ob freudiges Geflatter beim queeren Vogelball in Hamburg, liebevolle Details bei der Wilden Möhre oder feministische Statements beim Female Future Festival: Wir haben für euch die freigeistigsten und charmantesten Open Airs des Jahres zusammengetragen.

Sacred Ground Festival

Das Sacred Ground Festival gilt noch immer als Geheimtipp in ländlicher Idylle. Neben handverlesener Musik von renommierten DJs, Bands und Live-Artists wie beispielsweise Jennifer Cardini, Tired Eyes Kingdom, Jalen N’Gonda, Dapayk & Padberg und Marsmobil setzen die Kuratoren RY X, der selbstverständlich auch auf der Bühne stehen wird, und Frank Wiedemann den Schwerpunkt auf außergewöhnliche Kunst- und Lichtinstallationen sowie auf kulinarische Genüsse. Es gibt keine Sponsoren, keine VIP- oder Backstage-Bereiche und die Ticketanzahl ist sehr limitiert. Alles, um ein intensives persönliches Festivalerlebnis zu schaffen und die Künstler*innen und das Publikum näher aneinander zu bringen. Anliegen der beiden Initiatoren ist es, die Gäste für neue und unkonventionelle Musik zu begeistern. Viel Liebe zum Detail kennzeichnet die kreative Gestaltung des Festivals. Auf dem Gelände finden sich eine Mainstage, eine Zeltbühne, wo man bis in die Morgenstunden tanzen kann, eine kuratierte Ambient-Area und eine Dorfkirche, die eine Location für kleine musikalische Highlights wie intime Acoustic-Sessions ist. Dank der engen Verbundenheit unter den auftretenden Künstler*innen kann man an den verschiedenen Bühnen einzigartige Symbiosen, Kollaborationen und Jam-Sessions erleben.
Sacred Ground Festival, 13. bis 15. Juli 2018, Trampe in der Uckermark, sacredground.de

VOGELBALL [LIBERTINE Kooperation]

Die Schwarmzeit beginnt – und damit auch der VOGELBALL! Die größte Piep-Show des Nordens lässt den 4. August zum schillerndsten Samstag des Jahres werden. Der queere Maskenball versammelt alljährlich eine kunterbunte Vogelschar zu elektronischen Klängen und bittet ein achtes Mal zum wilden Balztanz.
Das diesjährige Federkleid, das Artwork des Festivals, wurde von der kanadischen Fotografin Laurence Philomène kreiert, es stammt aus der Serie „Me vs. Others“. Sie legt sich nicht auf ein Geschlecht fest, genauso wenig wie die Menschen, die sie porträtiert. Ihre lebhaft dynamischen, ästhetischen Porträts passen wie angegossen zum Line-up des Vogelwalzers. Das für Offenheit und Akzeptanz stehende Festival vereint zahlreiche queere, lesbische, schwule und transsexuelle Künstler*innen auf der Bühne. Die Paradiesvögel von RSS Disco, die ordentlich Love and Happiness in ihrer musikalisch schwebenden Leichtigkeit verströmen, sind dem gefiederten Partyvolk schon bekannt. Die britische Musikerin Nabihah Iqbal, die erst vor Kurzen den Namen „Throwing Shade“ ablegte und jetzt unter ihrem echten Namen produziert, sich auf ihre britisch-asiatischen Wurzeln rückbesinnend, seziert in ihrem neuen Album „Weighing of the Heart“ den britischen Wave- und Elektropop der Achtziger.
Doch damit nicht genug; zwei weitere queere Ikonen lassen den Vogelschwarm strahlen: Neben Honey Dijon, einer der aktuell gefragtesten House DJs, wird auch Kim Ann Foxman mit ihren ekstatischen Ballroom-Hymnen zu hören sein.
Voodoohop hingegen verspricht mystische Heilung auf dem Dancefloor: Die DJs des in Brasilien gegründeten Kollektivs bringen rituelle Elemente, Ursprünglichkeit und Besinnlichkeit in den Kontext von langsamem Ethno-House, der böse Geister vertreiben soll.
Der moderne Sound der aus Tel Aviv stammenden Sängerin Noga Erez vertritt die Stimme einer jungen israelischen Generation, die den Ideen Netanjahus widerspricht. Ihre wirkmächtigen, unbehaglichen Sounds runden das diesjährige elektronische Vogelgezwitscher ab. Inmitten von Goldkehlchen, Nachteulen und anderen Piepmätzen, bunten Federn, üppigem Glitzer und extravaganten Schnabelmasken wird mit dem VOGELBALL ein Spielraum erweitert, in dem sich jede*r ausleben kann. Auch im großen Zelt, dem Tentakel-Floor, der von LIBERTINE bespielt wird, flattert es wieder ausgelassen: Nach einem Talk mit der Aktivistin und Politikwissenschaftlerin Kristina Lunz von Centre for Feminist Foreign Policy, Marcel Wicker von Pinkstinks sowie die Regisseurin Denise Stellmann („Touched“) und LIBERTINE-Herausgeberin Juliane Rump zum Thema #metoo wird neben den DJs BRUNA, SUZé und HĒI das isländische Synth-Pop-Duo EAST OF MY YOUTH mehr zu den beiden auf Seite 68) ein Konzert spielen. Wir piepen jetzt schon ganz aufgeregt vor Vorfreude.                     VOGELBALL Hamburg, 4. August 2018, Hamburg-Wilhelmsburg/Dockville Gelände, facebook.com/VOGELBALL

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Sziget Festival

Dass das Festival den Untertitel „The Island of Freedom“ trägt, ist kein Zufall. Dort ereignet sich tatsächlich jedes Jahr Außergewöhnliches – ein vielfältiges Programm aus Musik, Theater, Kunst oder auch Sport. 400.000 Fans schlagen ihre Zelte auf und gestalten ihre Zeit dort wie einen Abenteuerurlaub.
Für das einwöchige Festival wird eine der drei Stadtinseln von Budapest, „Óbudai“ oder auch „Hajógyári-sziget“ genannt, wird im Sommer als Location genutzt. Mehr als 1000 Musiker und Künstler auf rund 60 Bühnen treten auf. Vom unbekannten Theaterensemble bis zum internationalen Superstar der Musikbranche bieten die Macher alles zwischen partytauglichem Mainstream und Anspruch: Bunt und abwechslungsreich, so präsentiert sich das Sziget auch in diesem Jahr. Von Cigarettes after Sex über Liam Fever Ray bis hin zu Fink.
Sziget Festival, 08.-15. August, Budapest, szigetfestival.com

Wilde Möhre Festival

Noch relativ jung ist das Wilde Möhre Festival, das seit 2014 jedes Jahr im August in der Nähe von Cottbus stattfindet. Eine treue Fangemeinde haben die Möhren recht schnell gefunden, was zum einen natürlich an dem ausgewählten Booking und zum anderen zweifelsfrei an der entspannten Atmosphäre und der schönen Location liegt, die von den Veranstaltern liebevoll gestaltet wird. Verwunschene Leuchtlabyrinthe mitten im Wald, ein kleiner Sekretär samt alter Schreibmaschine am Wegesrand – bei der Wilden Möhre gibt es ständig charmante Details zu entdecken. Der besondere Zauber, den dieses Festival umgibt, könnte viel mit der Philosophie des Möhren-Kollektivs zu tun haben. Ihr Anspruch ist es, ein ganzheitliches, faires und klimafreundliches Festival zu gestalten, bei dem die Bedürfnisse aller Beteiligten gleichermaßen berücksichtigt werden. „Möhrekonformes Handeln“ nennen die Initiatoren das. So gibt es auf dem gesamten Festivalgelände nur vegetarische und vegane Küche und das Rahmenprogramm beinhaltet viele Workshops zum Thema Nachhaltigkeit.
Wilde Möhre Festival, 09. bis 13. August, Göritz, wildemoehrefestival.de

Øyafestival

Keine Lust auf siffiges Ambiente? Dann seid ihr beim Øyafestival richtig. Kaum fällt mal ein Becher auf den Boden, sammelt ihn ein freiwilliger Helfer ein. Beim Øya kann man in seinen besten Klamotten auf Decken unter Bäumen sitzen – Exzesse finden woanders statt. In all den Festivaljahren gab´s keine einzige Festnahme, was auch daran liegt, dass hier kein Komasaufen angesagt ist – dafür ist nicht nur der Alkohol zu teuer, sondern die Menschen zu entspannt und wirklich gewillt, ausgewählte Musiker und Bands bewusst mitzubekommen. Von den fünf Bühnen werden parallel immer nur drei bespielt, was den Vorteil hat, dass man viel mehr Konzerte sehen kann als bei anderen Festivals. In den Pausen locken Biogerichte an den Essensständen und diverse Shops für Schallplatten, stilsichere Klamotten und Comics. Das Line-up hält bekannte Größe wie Patti Smith, Fever Ray, Lykke Li und Charlotte Gainsbourg bereits, gleichzeitig gibt es viele neue Acts, die in Norwegen bereits Superstars aber hierzulande noch unbekannt sind, zu entdecken!
Øyafestival 9.-13. August 2016 in Oslo, oyafestivalen.no/en

Female* Future Festival [LIBERTINE Kooperation]

Die Studie der weltweiten Plattform female:pressure hat 2017 wieder einmal mit Zahlen untermauert (mehr dazu LIBERTINE 06), was ein Blick auf die alljährlichen Festivalplakate ahnen lässt: Lediglich 15,7 % der Buchungen fallen auf Frauen. Mit dem Argument „man würde ja lediglich Bands buchen, die die Leute sehen wollen (und die bestehen eben überwiegend aus Männern)“, machen es sich viele Booker nach wie vor sehr einfach.
Das Problem sitzt weitaus tiefer als im Programmaufbau der (meist männlichen) Booker: Es ist eine Frage von Nachwuchsförderung, von Selbstverständnis und von Medienarbeit. Doch wie durchbricht man tiefsitzenden Sexismus, der sehr weit unten bzw. sehr früh beginnt? Indem man einen Gegenentwurf kreiert und all die talentierten weiblichen Acts auf die Bühne holt, so der Ansporn der Initiator*innen des Female* Future Festivals. Ihr Ziel ist es, ein Zeichen zu setzen und gleichzeitig ein herausragendes Festival zu etablieren. Live-Acts wie SOOKEE, Schnipo Schranke, Lovespells und Klitclique beweisen, dass sie ihren männlichen Kollegen in nichts nachstehen und die Crowd zum Glühen bringen. Neben den Auftritten erwartet die Gäste ein feministisches Leseprogramm; unter anderem lassen Margarete Stokowski und Stefanie Sargnagel die Blätter rauschen.
Female* Future Festival, 2. bis 3. November, Hamburg/Uebel & Gefährlich und Resonanzraum, female-future-festival.de

Wir haben für euch nicht nur die charmantesten und markantesten Freiluft-Partys des Jahres zusammengetragen, sondern wissen auch, wie ihr für euch und eure Freund*innen eine paar florale Accessoire basteln könnt. Eine DIY-Anleitung für blumige Haarkränze findet ihr hier.

Text: LIBERTINE Fotos: Pablo Heimplatz (Vogelball)