KAPITEL
Togehther Cut

Vom Glück, Gesellschaft zu verändern

Oft sind es Krisen wie Gewalttaten, Übergriffe oder Provokationen, die nachfolgend Menschen aus ihrer teils jahrzehntelangen Ohnmacht holen und als Inititialzündung für soziale Bewegungen wirken. Über das Moment der Krise hinaus zeigt sich jedoch, dass Hoffnung uns im Aktivismus weiter bringen kann als Wut. Das hat viel mit Motivationsanreizen und Gruppendynamiken in Bewegungen zu tun. Und auch mit der progressiven Urgeschichte, welche Martin Luther King 1967 mit folgenden Worten beschrieb: „Der Bogen der Moral ist lang, aber er neigt sich der Gerechtigkeit zu.“

Damit wir Rechte, Gerechtigkeit und Mehrheiten für unsere Ideen des Zusammenlebens erreichen, brauchen wir einen Aktivismus der optimistischen vielen.

Gesellschaft verändern (können) macht glücklich

Wir sollten uns nicht blenden lassen: Es sind zwar rund 40 Prozent aller Deutschen ehrenamtlich aktiv, jedoch nur jeweils 3 bis 4 Prozent in Politik oder Umweltschutz. Wir erleben Zeiten simpler Erklärungen und politischer Ungewissheiten, welche die Marginalisiertesten unter uns als Erstes treffen, wie es sich z. B. in der Gesundheitsversorgung von trans*-Personen äußert. Die Auswirkungen der Präventivbefugnisse der Bayerischen Polizei für Muslim*innen sind ein weiteres Beispiel.

So können wir es uns nicht erlauben, die wenigen Aktiven zu vergrätzen. Unsere progressive Vision spaltet sich, wenn wir Demonstrationen gut finden, Hashtags aber klar ablehnen, wenn wir Stempel wie Klicktivismus verteilen oder Initiativen zu gleichberechtigter Sprache (Kundinnen und Kunden, Professor*innen) verlachen. Wann hören wir auf, Engagement in absteigender Reihenfolge zu kategorisieren? Wann hören wir auf, auf Impulse von Engagierten mit dem Zurechtstutzen ihrer Person zu reagieren? Wie schaffen wir es, dass sich nicht immer wieder nur Betroffene engagieren (müssen)?

Gesellschaft verändern (können) kann ein großes Glück sein. Für mich ergibt sich dieses Glück aus dem Ausleben meiner Überzeugungen und der Demut darüber, mit wem und in welcher Tradition ich dies gemeinsam tun darf. Wer das proaktiv macht, kann die Lust zum Engagement förmlich spüren. Wenn wir uns aktivistisch engagieren, kritisieren wir meist ungerechte Systeme: Wir prangern Rassismus, Homophobie oder Sexismus an. Wir kritisieren die Wirtschaft, weil gläserne Decken und homosoziale Selektion Diversität und neue Formen der Arbeit verhindern. Wir kritisieren Parteienpolitik, weil z. B. fehlende Quotierungen dazu führen, dass Frauen*, Menschen mit Behinderungen, Arbeiterkinder und Personen mit internationalen Wurzeln im Parlament dramatisch unterrepräsentiert sind. Und im Gegensatz zu diesen Systemen sollte Aktivismus ja gerade offen wie auch inklusiv sein sowie Lust darauf machen, loszulegen. Wir können optimistisch sein, jedoch nicht naiv. Wir werden nur dann die Gesellschaft bekommen, die wir wollen, wenn wir maximal offen sind und unserem Gegenüber zunächst wohlwollend gegenübertreten.

Privilegien erkennen und intersektional arbeiten

Natürlich kommt allen Aktiven eine Verantwortung für ihren Aktivismus zu: sich der Errungenschaften unserer Vorgänger*innen bewusst zu werden, welche für unsere Grundrechte kämpften. Und sich auch Unterdrückungsmechanismen sowie der eigenen sozialen Positionierung bewusst sein – damit wir eben keine ungerechten Dynamiken unbewusst weiter zementieren. If the feminism isn’t intersectional, we don’t want it. Denn im Umgang mit unseren Privilegien zeigt sich die Qualität unseres aktivistischen Handelns. Wer tritt nach vorne, wer macht Platz? Wir können unsere Ziele häufig nur erreichen, wenn wir im Verständnis eines Ökosystems arbeiten statt vieler Egosysteme. Das heißt, wenn wir uns bewusst machen, dass uns mehr vereint im Gegensatz dazu, was uns trennt. Wir brauchen belastbare Unterstützungsnetzwerke und -plattformen, die Widersprüche und divergierende Schattierungen in der Bewegung aushalten können und mehr Energie aus dem Tun ziehen als aus der Kritik.

Wir dürfen uns und einander nicht ausbeuten

Denn auch das ist wahr: Die Aktiven zeigen Ermüdungserscheinungen. Im Aktivismus wird unter den Fachbegriffen self care, mental health und activist burnout wiederkehrend das Phänomen des Ausbrennens diskutiert. Jedoch gibt es nur geringes Wissen und täglich gelebte Gegenstrategien in der Bewegungsarbeit und dem Netzaktivismus. Zudem dringen die Taktiken der Dauererregung von Populist*innen auf die Ermattung der Progressiven. Beispiele finden sich in jedem Tweet von Donald Trump, gern auch in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen garniert. Auch in Deutschland versucht sich der mittlerweile amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit immer neuen hanebüchenen Provokationen zu profilieren: Hatte er im Rahmen einer Einführung der rezeptfreien Pille danach bereits 2013 gemutmaßt, diese würde schlussfolglich von Frauen wie Smarties konsumiert werden, überbietet er sich nun mit Aussagen wie Hartz IV sei nicht gleichzusetzen mit Armut und tat außerdem seine Sorge um Recht und Ordnung in Arbeitervierteln oder tanzende Menschen an Karfreitag kund. Es geht nicht nur darum, die Rechtspopulist*innen in Schach zu halten. Der Status quo ist geduldig. Ihm genügt es, wenn wir nichts tun, wenn der change fatigue eintritt oder die Demontage der Aktiven die optimistischen vielen verhindert.

Die optimistischen vielen haben gerade jetzt eine Chance: Wir können unsere Energie aufs Handeln dirigieren, wir können die Aufgaben, die vor uns liegen, auf viele Schultern verteilen. Wir stehen gerade erst am Anfang des sogenannten Big Organizing, des Einbindens von Freiwilligen. Advokat*innen der ersten Reihe können Optimist*innen nachziehen und vortreten lassen. Expert*innen können mit Noviz*innen arbeiten. Betroffene Aktivist*innen können noch stärker mit Alliierten zusammenfinden. Menschen mit wenig Zeit können sich mit Spenden der finanziellen Selbstausbeutung von Aktiven entgegenstellen.

Dass die Arbeit zur Veränderung unserer Gesellschaft glücklich machen kann, ist ein Privileg. Dessen bin ich mir bewusst. Dass wir mehr und unterschiedlichen Menschen dieses Privileg zuteil werden lassen können, muss uns gelingen. Sonst erreichen wir vielleicht einige unserer Ziele, doch wir verlieren die Bewegung.

Foto: Jule Müller

Über die Autorin: Die Kampagnenmanagerin, Gründerin und Aktivistin Jeannette Gusko will die Dinge nicht hinnehmen, wie sie sind, sondern kämpft für soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Mut, Demut und Optimismus sind die Zutaten, auf die sie setzt, damit sich was bewegt. Wie ein hoffnungsvoller Aktivismus in polarisierten Zeiten aussehen kann und wie wir bei all der Veränderung nicht ausbrennen, erklärt Jeannette hier.