KAPITEL
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Mehr Frau. Mehr Nachhaltigkeit?

Um Frauen und Nachhaltigkeit ranken sich viele Mythen. Doch nicht immer ist die weibliche Nachhaltigkeit intrinsisch motiviert. Frauen unterliegen viel zu oft Anforderungen, Rollenklischees und sozialem Druck von außen. Ein Text über die unmoralische Feminisierung der Umweltverantwortung.

Frauen wird ein stärkeres Umweltbewusstsein nachgesagt. Sie sind insgesamt sensibler für Umweltprobleme, engagierter im Naturschutz und legen ein stärkeres Augenmerk darauf, was wir den nachfolgenden Generationen hinterlassen. Würden sich alle etwas weiblicher verhalten, wäre das doch besser für die Umwelt, oder nicht? Jein, so einfach ist das nicht.

Ja, Frauen handeln nachhaltiger. Tatsächlich fahren Frauen weniger oft Auto, legen geringere Wege zurück, kaufen Waren, die mit BIO-Siegeln ausgestattet sind, ernähren sich häufiger fleischlos oder gar vegan und engagieren sich im Tier- und FahrradUmweltschutz. All das ist zunächst positiv. Doch die Gründe für den hohen Frauenanteil an vermeintlich nachhaltigem (Konsum-)Verhalten liegen nicht immer in der weiblichen Eigenmotivation, sondern leider sehr häufig in noch immer vorliegenden Rollenklischees.

Zwei gesellschaftliche Umstände scheinen ganz besonders ausschlaggebend dafür zu sein, dass Frauen nachhaltiger konsumieren: und zwar die geschlechterbasierte Arbeitstrennung, die auch in Deutschland noch nicht überwunden ist, und der soziale Druck, dem Frauen ausgesetzt sind.

So werden Konsumentscheidungen in den meisten Familien von Frauen getroffen und zwar weil Hausarbeiten wie Einkaufen, Putzen und Waschen noch immer Frauensache sind. In vielen Haushalten scheren sich Männer einfach nicht darum, was auf den Tisch oder woher die saubere Wäsche kommt. Sehr viele Frauen sind auch allein für die Mülltrennung zuständig. Die Arbeitsteilung führt dazu, dass die Entscheidung für oder wider biologisch erzeugte Nahrungsmittel bzw. für oder wider ein phosphatfreies Waschmittel in der überbordenden Zahl der Fälle bei Frauen liegt. D.h. (gebundene) Frauen kaufen schon allein statistisch gesehen nachhaltiger ein, eben weil ihre Männer wenige bis keine Einkäufe tätigen.

Die tatsächliche Entscheidung im Geschäft, zum nachhaltigen Produkt zu greifen, liegt laut Politikwissenschaftlerin Dagmar Vinz aber vor allem am sozialen Druck, dem viele Frauen ausgesetzt sind. Da Frauen traditionell häufiger Verantwortung für andere Menschen tragen, seien es Kinder oder ältere Personen, sind sie nicht nur an eigenen, sondern auch an fremden Konsumentscheidungen maßgeblich beteiligt. Diese Schlüsselrolle – der Mutter wird eine Versorgungspflicht für Partner, Kinder, Großfamilie zugeschrieben – wirkt sich auf das Kaufverhalten maßgeblich aus. Plötzlich gibt es da den ‚richtigen‘ oder ‚falschen‘ Griff ins Regal.

‚Richtig‘ oder ‚falsch‘, das sind Kategorien, die für viele Frauen nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern die durch ihr soziales Umfeld mitgeprägt werden. Für junge Mütter etwa besteht dieses Umfeld oft aus anderen Müttern, die vorgeben, welches Konsumverhalten angebracht ist. Ist eine Frau für die gesunde Ernährung der Familie zuständig, für Essensplanung, Zubereitung und Entsorgung, für unbehandelte Spielsachen, pestizidfreie Wäsche und hygienische Bedingungen im Wohnraum, so koppeln sich viele Kaufentscheidungen an diese sozialen Vorgaben der Gruppe.

Zwar gibt es natürlich auch Personen, die sich selbst in ihrem Konsumverhalten beschränken, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern: Diese Menschen kaufen bestimmte Dinge nicht, um Klimagase zu sparen oder um die Einleitung grundwasserbelastender Stoffe zu vermeiden. Umweltschutz ist ihr direkter Beweggrund: Sehr gut! Nicht selten ist der Griff zu einem bestimmten Produkt aber auch eine Lifestyle- Entscheidung, wie die BIO-Bewegung der letzten Jahre sehr deutlich gezeigt hat. Einerseits werden BIO-Produkte gekauft, weil sie gesünder sind – also besser für das eigene Wohlbefinden. Andererseits schafft das Kaufverhalten auch hier Gruppenzugehörigkeit, denn wer BIO kauft teilt mit den anderen BIO-Konsumenten nicht nur das Verständnis für den Wert unbehandelter Kost, sondern meist auch eine bestimmte soziale Klasse. BIO muss man sich leisten können. Das schafft Gemeinschaft. Und Gemeinschaft schafft Regeln und damit Druck.

Wenn neben das Einkaufen und Zubereiten der Speisen auch noch andere ökologische Pflichten, wie Mülltrennung oder Recycling, treten, wird Frauen der Großteil der privaten Umweltverantwortung zuteil. Damit gehen aber auch Zusatzbelastungen einher, die Zeit beanspruchen und Frauen allgemein weniger flexibel machen.

Dagmar Vinz kritisiert, dass gerade im Bereich Haushalt die Umweltverantwortung auf Frauen abgewälzt wird: „Dabei dominieren vor allem in Bezug auf die Haushalte […] Umstellungs- und Sparsamkeitsvorschläge, die sich nicht in gleicher Weise an die Industrie richten.“ Etwa in der Forderung auf elektrische Geräte (elektrischer Dosenöffner, elektrischer Wäschetrockner) zu verzichten, um sich energiebewusst zu verhalten. Das mögen kleine Forderungen sein, aber auch sie erhöhen den sogenannten „Ökostress“ auf Frauen und erwecken den Anschein, Privathaushalte könnten mit Energieeinsparungen viel im Hinblick auf den Klimawandel bewirken. Wahr ist jedoch, dass für positive Effekte vor allem staatliche Regulierungen für die Industrie vonnöten sind.

Ebendies gilt auch für das Ernährungsverhalten von Frauen oder für ihre Mobilität im Raum. Frauen neigen auch beim Lebensmittelkauf zu gesünderen Entscheidungen. Sie ernähren sich häufiger ausgewogen und achten auf den Kaloriengehalt der Nahrung, während Männer essen, was ihnen schmeckt. Laut Deutschem Vegetarierbund  leben 13% der deutschen Frauen mindestens vegetarisch, in der Altersgruppe zwischen 18 und 24 Jahren sind es sogar 16%. Neben der Überzeugung, gesünder zu leben und etwas für die Umwelt zu tun, mag das größere weibliche Empathievermögen als Erklärungsansatz herangezogen werden. Frauen sehen, wie Tiere leiden und treffen eine emotionale, ja moralische Entscheidung, wenn sie vegetarisch oder vegan leben.

Männliches Essverhalten ist dahingegen eher genussgeprägter, was von Vinz mit einer „Orientierung an Rollenvorgaben“ und der „symbolischen Bedeutung von Nahrungsmitteln“ erklärt wird. Alte Rollenmuster und patriarchale Wertzuschreibungen kommen hier unerwarteterweise zum Tragen: So überträgt sich der gesellschaftliche Hierarchieunterschied von Mann und Frau auch auf das Essen. Während Fleisch mit Stärke und Potenz assoziiert wird, gilt Salat als weiblich und schwach. Bei solchen Aussagen ist zwar von Verallgemeinerungen abzusehen, denn natürlich hat die Ernährungsweise auch immer etwas mit sozialer Schicht, Milieu und  peer pressure sowie Bildungsstand und Wohnsituation zu tun, aber die Statistiken sprechen für sich: Nur 3% aller Männer ernähren sich vegetarisch.

Auch in Sachen Mobilität sind Frauen ökologischer. So besitzen Frauen im Durchschnitt weniger oft ein Auto als Männer und legen auch geringere Kilometerzahlen zurück. Zwar hatten 2015 74% der volljährigen Frauen in Deutschland einen Führerschein (gegenüber 86% der Männer), allerdings nur die wenigsten ein eigenes Auto. 68% der PKW-Eigner sind männlich, nur 32% photo-1437623889155-075d40e2e59fweiblich. Das liegt aber wohl weniger an der bewussten Entscheidung zur Einsparung von Klimagasen, sondern oft schlichtweg an der anderen Arbeitsbiographie vieler Frauen. Während der Mann das Auto für den Arbeitsweg benötigt, bewegen sich viele Frauen in einem eingeschränkten Radius und legen eher Kurzstrecken zurück. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie Kinder haben. Frauen sind häufiger zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs als Männer. Erst mit Zunahme der täglichen Verpflichtungen und damit der Wege steigt die Motivation, sich ein eigenes Fahrzeug zuzulegen, insbesondere an Orten mit unzureichender Verkehrsinfrastruktur.

In den Bereichen Ernährung und Mobilität haben Rollenklischees, die Trennung in „Frauen- und Männerarbeit“ und der soziale Druck, ökologisch zu sein, ebenfalls Auswirkungen auf das weibliche Verhalten. Vor allem im Bereich Mobilität sind Frauen also gerade durch die noch immer bestehende Ungleichheit der Geschlechter (Kurzarbeit, Betreuungsaufgaben, Pflegeaufgaben, Niedriglohnsektor, Hausarbeit) in ihrem Verhalten ökologischer. Männer entziehen sich häufiger ihrer Verantwortung mit Verweis auf ihre historische ‚Ernährerfunktion‘.

Aber kann es denn sein, dass derzeit Umweltbewusstsein nur dadurch funktioniert, dass bestimmte Gruppen nicht vollends am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen System partizipieren können?! Nein. Die australische Ökofeministin Ariel Salleh prangert genau diese Hierarchien zwischen Mann und Frau an. Sie sieht in der Ungleichheit der Geschlechter die Basis für den westlichen Kapitalismus und alle mit ihm einhergehenden Probleme: Über die Vorstellung vom Mann als „Herrscher“, dem sich alles Weibliche unterordnet – also sowohl die Frau als auch die als weiblich imaginierte Natur – rechtfertigt man seit Jahrhunderten die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen. Der soziale Ökofeminismus erschöpft sich daher nicht nur in Kapitalismuskritik, sondern fordert die Auflösung des Systems der Unterdrückung von Grund auf.

Vielleicht hat Salleh da Recht. Immerhin prägen Dichotomien wie Mensch/Natur oder auch Mann/Frau bis heute unser Denken, unsere Sprache und unser Handeln, ja gar die Regeln unseres Zusammenlebens. Anscheinend sogar soweit, dass wir nicht hinterfragen, wieso gerade der männliche Teil unserer Gesellschaft so stark aus der Verantwortung genommen wird, wenn es um Nachhaltigkeit und Umweltschutz geht. Erst wenn die Dichotomien zwischen den Geschlechtern aufgelöst sind, kann sich ein neues System etablieren. Und zwar ein „faires, dezentralisiertes und ökologisch wirklich nachhaltiges“, das verantwortliches, nachhaltiges Handeln erstens nicht mehr länger nur privatisiert, sondern wieder politisiert, und zweitens nicht mehr länger nur feminisiert, sondern generalisiert.

Text: Mae Becker