KAPITEL
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Get Gurls Talking

Tagsüber Laufsteg und abends von einer VIP-Party zur nächsten? Von diesen Klischees will Adwoa Aboah nichts wissen. Viel lieber nutzt das international gehypte Model seine Bekanntheit, um junge Mädchen zu bestärken und zu unterstützen. Mit ihrer Initiative Gurls Talk hat die Londonerin einen Raum geschaffen, in dem sich die Teenager öffnen und über eigene Ängste und Zweifel austauschen können. It’s empowerment through sharing! 

Längst bilden die sozialen Netzwerke eine Parallelwelt, in der wir uns täglich bewegen. Insbesondere für die junge Generation gehören diese Kanäle zum selbstverständlichen Teil des Alltags. Seien es Facebook, Tumblr, Instagram oder Snapchat, überall werden visuelle Inhalte generiert, geteilt, gelesen, die einen großen – und nicht unbedingt immer guten – Einfluss auf das Selbstbild haben können. Studien zeigen, dass, je stärker ein junges Mädchen den neuen Medien ausgesetzt ist, desto größer ist die Gefahr, dass es ein negatives Selbstbild entwickelt.
Eine, die ihren Instagram-Account nicht zum Bewerben der nächsten Thigh Gap Challenge, sondern vielmehr im Namen der Frauensolidarität gebraucht, ist Adwoa Aboah. Mit ihrer Initiative Gurls Talk spricht die 26-Jährige vor allem Teenagerinnen an und macht ihnen Mut, über ihre eigenen Probleme, Ängste, Zwänge und Erfahrungen zu sprechen.

Dabei ist die Unterhaltung über diese schwierigen Themen ganz klar eine Form von Female Empowerment. Denn wer sich bewusst dafür entscheidet, sich auszutauschen, der hält auch die Fäden in der Hand, was erzählt wird und vor allem wie. Das schützt vor Gerüchten und Wertung, aber auch vor Scham. Manche Themen sind vermeintliche Tabus, über die einfach nicht gesprochen wird. Wer es doch tut, kann viel über sich selbst erfahren und auch so manche eigene Wahrheit erkennen.

Die Idee für Gurls Talk kam Adwoa, als sie sich im Entzug mit sich selbst und ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzen musste. Selbstzweifel, Ängste und Schuldgefühle hatten sie früh dazu gebracht, sich mit Drogen zu betäuben. „Ich kam aus einem privilegierten Haushalt und hatte trotzdem all diese negativen Gefühle in mir. Ich war ständig traurig und fühlte mich in meiner Haut nicht wohl.“ Adwoa gestand sich diese negativen Emotionen aber nicht ein: „Wenn es dir gut geht und du alles hast, wenn deine Eltern dir alles ermöglichen, dann denkst du, dass es dir eigentlich nicht zusteht, dich so traurig zu fühlen. So vielen Menschen auf der Welt geht es schlecht, da hatte ich doch kein Recht, mich zu beschweren.“ Aus diesem Grund schwieg Adwoa lange, teilte ihre Probleme weder mit Freund*innen noch Erwachsenen.

Gurls Talk ist alles, was ich als Jugendliche gebraucht hätte“, sagt Adwoa heute. Die Plattform bietet jungen Mädchen die Möglichkeit, sich über ihre Probleme auszutauschen. Sie macht ihnen auch klar, dass es in Ordnung ist, wenn man negative Gefühle hat und dass es keine Lösung darstellt, diese in sich hineinzufressen.
Die Dinge, die Adwoa während ihrer Schulzeit umtrieben, sind gar nicht so verschieden von denen der heutigen Jugendlichen. Noch immer geht es viel um Unsicherheiten im Umgang mit dem eigenen Körper, um Coolness und ums Dazugehören, aber auch um gestörte Selbstbilder, Selbstverletzung oder Magersucht. Auch Tabuthemen wie zwanghaftes Verhalten, psychische Störungen oder der Umgang mit sexuellem Missbrauch treiben die jungen Frauen um.

„Manchmal braucht es einen safe space, einen geschützen Raum, in dem man über diese Dinge sprechen kann, ohne Angst zu haben, bewertet zu werden“, sagt Adwoa. Mit Gurls Talk will sie genau diesen erschaffen. Denn die Probleme der Jugendlichen sind einander ähnlicher, als sie denken. Durch das gemeinsame Gespräch werden die Themen entindividualisiert. Die Mädchen erkennen, dass es da Muster gibt, strukturelle Probleme und dass sie nicht alleine sind.
Während ihres Entzugs machte Adwoa selbst die Erfahrung, wie wichtig und heilsam es ist, sich jemandem zu öffnen, dem man vertrauen kann. Hier traf sie auf eine Gruppe von Frauen, die sich gegenseitig voll und ganz unterstützten und sich ohne Wertung, dafür aber mit viel Verständnis zuhörten. Sie nahmen sich ihrer an. Adwoa brauchte das. Bis zu diesem Punkt hatte sich das junge Model noch nie jemandem ehrlich geöffnet und hatte sich auch selbst noch nie die Wahrheit über sich eingestanden. Hier im Entzug, ohne die Möglichkeit, sich zu betäuben, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit der Ursache ihrer eigenen Ängste, Zwänge und Gefühle auseinanderzusetzen. Der therapeutische Gesprächskreis mit den Frauen veränderte Adwoas Leben.

„Bis dahin hatte ich immer angenommen, meine eigenen Probleme, meine Gefühle, seien nicht wichtig genug. Darum habe ich mich auch nie danach gefühlt, sie mit jemandem zu besprechen.“ Adwoa prangert zudem an, dass sie in ihrer Jugend nie auch nur ein Wort über ‚seelische Gesundheit‘ bzw. psychische Krankheiten gehört hat. Auch Sucht und Drogen waren im Schulunterricht kein Thema. Ihrer Meinung nach ist das ein Versäumnis, das dazu führt, dass sich viel zu viele Teenager allein gelassen fühlen. Sie gehen davon aus, dass sie die einzigen mit ‚solchen‘ Emotionen sind und sie suchen sich ihre eigenen Wege, um mit dem Schmerz umzugehen. Teilweise auch mithilfe von Alkohol und chemischen Substanzen.

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Wer niemanden zum Reden hat, wird diesem Irrglauben auch weiterhin aufsitzen, davon ist Adwoa überzeugt. Daher setzt Gurls Talk an genau dieser Stelle an: It wants to get gurls talking. Neben der gleichnamigen Internet-Plattform und dem Instagram-Account will Adwoa sich auch ganz persönlich mit jungen Menschen unterhalten. Auf Augenhöhe. Dafür hat sie eine Tour geplant, im Zuge derer sie Workshops in verschiedenen Schulen abhalten will. Hier möchte sie sich mit Schülerinnen zusammensetzen und sich mit ihnen austauschen. Leicht wird das nicht werden, „denn damit sich die Mädchen öffnen, werde ich in Vorleistung gehen und mich auch ihnen öffnen müssen.“ Anders geht es nicht, denn solche Gesprächsrunden leben vom Vertrauen. Es wird also für beide Seiten therapeutisch werden: Adwoa und die Mädchen begeben sich trotz Altersunterschied auf ein und dasselbe Level und machen sich gleichermaßen verletzlich.

Ziel ist es, den Jugendlichen schon in der Schule zwei Erkenntnisse mitzugeben, die Adwoa erst im Entzug gehabt hat: Erstens, dass Austausch wichtig ist und hilft und zweitens, dass die eigenen Erfahrungen und Emotionen nichts sind, wofür man sich schämen muss. Das offene Sprechen über sogenannte Tabuthemen ist etwas, was der ganzen Gesellschaft gut tun würde, reduziert es doch Angst vor Wertung und damit Scham und Selbsthass. Nächstes Ziel für Adwoa? Am liebsten würde sie Gurls Talk als Unterrichtsfach in jeder Schule einführen!

@adwoaaboah

@gurlstalk

Text: Mae Becker Fotos: gizellehernandez