Altes Loslassen – Warum es sich lohnt, endlich Ballast abzuwerfen
Es nützt alles nichts: Wer sich nach mehr Leichtigkeit sehnt, muss loslassen. Das ist oft einfacher gesagt als getan, denn der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier – mit Faible für Kontinuität. Möchte ich Altes Loslassen, beginne ich am besten mit einer gefühlten Bestandsaufnahme und Spurensuche: Was an „Altem“ ist längst vorbei und belastet mich auch heute noch? Oder: Was von dem, was mich aktuell belastet, kenne ich schon lange, vielleicht sogar aus meiner frühesten Kindheit? Ein Gastbeitrag von Ina Rudolph
Bitte denke nicht angestrengt darüber nach. Wenn du dir erlauben kannst, mit einem Fühlen auf diese Suche zu gehen, kommst du sicher zum Ziel. Denn am Ende von allem Forschen wollen wir uns auf eine bestimmte Weise FÜHLEN, oder? Wir wollen bestimmte Emotionen wie Hilflosigkeit, Ärger, Angst, Neid, Wut oder Verzweiflung nicht mehr spüren. Lieber möchten wir mit Freude, Inspiration, Gelassenheit, Liebe und Kreativität unser Leben verbringen. Das ist nur zu natürlich.
Erste Lösung zum Loslassen und zur Selbstfürsorge: Wie geht es dir, wenn du bestimmte, dir unangenehme, Gefühle ausschließen willst und ausschließlich angenehme spüren möchtest? Welche Lebenssituationen musst du dafür vermeiden, welchen Menschen darfst du nicht mehr begegnen, wie oft musst du dich verstecken, wegducken und dich von möglichen Auslösern fernhalten? Das könnte sich ganz schön unlebendig anfühlen, oder?In meiner zwanzigjährigen Arbeit als Coach (und auch aus meinen persönlichen Erfahrungen) habe ich hunderte Male erlebt, dass Gefühle, wenn sie auf eine bestimmte Form erlaubt werden, schnell durchgefühlt sind. Wenn ich mich ihnen zuwende, anstatt sie weghaben zu wollen, bemerke ich, dass sie sich in einem andauernden Prozess befinden. Nichts bleibt, wie es ist. Wenn ich den Gefühlen keine dramatische Benennung gebe („das ist eine Katastrophe“, „ich halte das nicht aus“, „ich fühle eine tiefe Wunde“) und sie nur als das bemerke, was ich im Körper tatsächlich spüren kann, dann ist es gleich weniger dramatisch. Spüren kann ich zum Beispiel:
- es ist irgendwo kalt oder warm
- es zieht oder drückt
- es bewegt sich oder ist fest
- es pulsiert oder ist starr
Bleibe ich bei so einer Körperwahrnehmung, ist es nicht so schwer, das was ich fühle, zu erlauben und es durchzufühlen. Was ich fühle, ist ja in dem Moment sowieso da. Hast du das schon erlebt, dass du versuchst, gegen ungeliebte Gefühle anzukämpfen und erfahren, dass sie mit dieser Strategie nicht weggehen? In meiner Erfahrung bleiben sie sogar länger, wenn ich einen Kampf gegen sie eröffne. Ich bin ja in dem Moment gegen etwas, was bereits real da ist – diese Schlacht kann ich nur verlieren. Eine liebevolle Selbstfürsorge leistet keinen kraftraubenden Widerstand, sondern lässt das, was ist da sein. So, wie Jack Kornfield es so treffend benannt hat.
Jack Kornfield
„Die Dinge loszulassen bedeutet nicht, sie loszuwerden.
Sie loslassen bedeutet, dass man sie sein lässt.“
Gerade gestern habe ich es wieder selbst erlebt. Meine achtzehnjährige Tochter sagte beim Abendessen völlig überraschend zu mir, dass sie ausziehen will. Und zwar sofort. Nicht erst in ein paar Monaten, sodass ich Zeit hätte, mich an den Gedanken zu gewöhnen – nein, eine Freundin hat eine Wohnung gefunden, hat ein Zimmer frei und kann die Wohnung alleine nicht bezahlen. Sie sucht also jemanden, der mit einzieht. Also nächste Woche.
Als die Worte meiner Tochter und deren Ernsthaftigkeit bei mir ankamen, hatte ich einen deutlichen Stich in meinem Herzen. Aus dem Gesicht meiner Tochter sprang mir Freude und gespannte Neugier entgegen. Das tat nochmal zusätzlich weh. Hatte ich schon erwähnt, dass ich meine Tochter sehr liebe? Und dass wir uns nie streiten, und uns richtig gut verstehen? Ich sagte ihr aufrichtig, dass ich sie verstehe und dass es mir gerade schwerfällt. Ich verheimlichte ihr meine Gefühle nicht, was eine gute Möglichkeit ist, gar nicht erst Ballast anzuhäufen, den man dann später irgendwie loslassen müsste. Nachdem die wichtigsten Informationen ausgetauscht waren, zog ich mich zurück und erlaubte mir in Ruhe zu spüren, was in meinem Körper vor sich ging. Es brannte in meiner Brust und drückte in meinem Bauch. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit dorthin und war nicht dagegen, dass es sich so anfühlte. Ich verlangte nicht, dass es sich anders anfühlen sollte oder dass die Empfindungen verschwinden. Ich sagte sogar: Herzlich willkommen. Ich kämpfte nicht dagegen. Nach zehn Minuten lies der Schmerz nach. Ich blieb eine halbe Stunde sitzen und beobachtete weiter, was in meinem Körper vor sich ging und erlaubte alles, was auftauchte. Heute Morgen wachte ich auf und der Schmerz kehrte nicht zurück. Selbst, als ich ihn suchte und mit meiner Tochter Details des bevorstehenden Auszugs besprach, kam er nicht zurück. Diesen Effekt habe ich nun so oft erlebt, dass ich weiß: ich muss vor keinem Gefühl mehr ausweichen, sei es auch noch so stark. Selbst Schmerzen lassen sich damit verringern.
Zweite Lösung zum Loslassen und zur Selbstfürsorge: Kannst du dir gestatten, weniger zu denken, zu grübeln und überhaut so viel Zeit mit Nachdenken zu verbringen? Klar, unser Verstand denkt und das tut er automatisch. 60.000 bis 80.000 Gedanken haben wir pro Tag, sagen Gehirnforscher*innen. Allerdings entscheiden wir uns aktiv nur selten, etwas wirklich zu durchdenken, unser Denken also produktiv zu nutzen. Den größten Teil der Zeit denkt das Gehirn einfach. Oder besser gesagt: es recycelt die immer gleichen Geschichten. Ist dir das auch schon aufgefallen? Das Denken, welches von alleine auftaucht, wenn ich morgens die Augen aufschlage, hat immer ähnliche Gedanken und Geschichten. Alte Kamellen sozusagen. „Ich brauche mehr Geld“, „Ich bin nicht gut genug“, „Es wird etwas Ungünstiges passieren“, „Ich kann das nicht“ usw.
Die meisten Menschen identifizieren sich noch immer mit dem unaufhörlichen Strom der Gedanken, dem zwanghaften Denken, wovon das meiste sinnlose Wiederholungen sind.
Eckhart Tolle
Eine einfache und erfüllende Möglichkeit, diesem Gedankenkarussel zu entkommen ist, dem Leben mit geöffneten Sinnen zu begegnen. Wahrzunehmen, was in mir und um mich herum vor sich geht. Ich kann riechen, schmecken, tasten, spüren, sehen und hören. Durch meine Sinne kann ich das Leben in seiner Lebendigkeit erfahren, mehrdimensional. Und, bin ich im Wahrnehmungsmodus, kann ich sofort bemerken, in welcher Fülle ich schon lebe: Farben, Formen, Muster, Schattierungen, Geräusche, Töne, Wärme, Kälte, tastbare Oberflächen und vieles mehr.
Meine Gedanken sagen: „Bevor du Fülle erleben kannst, musst du erst noch dies und das tun, erreichen und absolvieren. Bis dahin musst du dich anstrengen. Du musst erst noch dies und das werden und verbessern. Erst dann bist du es wert, in Fülle zu leben.“
Die Wahrnehmung sagt: „Fülle sofort. Der ganze Reichtum, der dich umgibt und auch dein innerer Reichtum – all das ist immer da – du brauchst sie nur wahrnehmen.“
Das Denken führt mich vorwiegend in eine Vergangenheit, die längst vorüber ist und die ich nicht zurückholen kann, oder in eine Zukunft, die noch nicht da ist. Folge ich meinem Denken befinde ich mich nur in Erinnerungen oder in Vorstellungen. Nichts davon ist wirklich real da.
Wahrnehmen kann ich immer nur jetzt. Ich erlebe mich also lebendig in dem einzigen Augenblick, den es wirklich gibt: JETZT. Nur jetzt kann ich für mich selber sorgen, mich spüren und für mich da sein. Lebe ich im JETZT gibt es nichts loszulassen.
Magst du damit ein wenig experimentieren? Probiere es einfach mal aus, ob du mehr Zeit im Wahrnehmungsmodus verbringen kannst. Gedanken rutschen dann von selbst in den Hintergrund. Und kannst du die Frische bemerken, die sich sofort einstellt?
Du willst noch mehr und tiefer loslassen? Dann haben wir genau das Richtige für dich! Noch bis zum 14.02.2021 kannst du dich von mir persönlich in meinem Jahreskurs „Endlich loslassen“ für das Jahr 2021 coachen lassen. Wirf alles, das dich zurückhält ab, und lebe endlich ein Leben nach deinen Vorstellungen und Werten. Hier kommst du direkt zum Kurs.
Ina Rudolph ist Autorin und Schauspielerin. Sie arbeitete viele Jahre für Fernsehen und Kino und hat an Drehbüchern und Theaterstücken mitgeschrieben. Im Frühjahr 2008 erschien als erste Veröffentlichung der Erzählband „Sommerkuss“ mit sieben Erzählungen. Seit 2001 ist sie als Trainerin für The Work von Byron Katie tätig und hält dazu Vorträge, schreibt Bücher, gibt Seminare und bietet Einzelberatungen an. Hier geht es zu Ina Rudolphs Website.
Bücher von Ina Rudolph zum Thema „Loslassen“
Ina Rudolph: Ich will ja loslassen, doch woran halte ich mich dann fest?, Goldmann, 256 Seiten, ISBN: 978-3-442-22124-0
Ina Rudolph: Ich will mich ja selbst lieben, aber muss ich mich dafür verändern?, Goldmann, 256 Seiten, ISBN: 978-3-442-22207-0
Ina Rudolph: Loslassen – Dein Arbeitsbuch für ein ganzes Jahr, Goldmann, 256 Seiten, ISBN: 978-3-442-22332-9 (erscheint am 19. April)
Foto Markus Burke