Alle Farben des Lebens
Seit Neuestem werden – zum Glück – immer mehr Geschichten über den Kampf von Transpersonen um den Einklang von Fremd- und Selbstwahrnehmung auf der Leinwand erzählt. „Alle Farben des Lebens“ erzählt sozusagen das Best-Case-Szenario: Ray, als Ramona geboren, lebt mit seiner verständnisvollen und liebevollen Mutter, seiner lesbischen Großmutter und deren Lebenspartnerin in einem schicken Townhouse in New York City und wartet sehnsüchtig auf seine Hormontherapie. Aber schnell wird klar: Egal, wie gut die Voraussetzungen scheinen – es ist niemals einfach.
Ray ist der typische 16-jährige: Er hängt mit seinen Freunden im Skate-Park ab, himmelt das schönste Mädchen der Schule an, ist impulsiv und pubertär. Und er wurde als Mädchen geboren. „Seit wann ich wusste, dass ich ein Junge bin? Seit ich vier war“ sagt Ray in seine Handykamera, mit der er seine Geschichte festhält. Nichts will er mehr, als endlich Testosteron zu nehmen. Seine Mutter hat zwar ihre Zweifel, unterstützt Ray aber dennoch. Aber: Er braucht auch die Unterschrift seines Vaters, um mit der Hormontherapie zu beginnen – und der ist seit vielen Jahren von der Bildfläche verschwunden. Um ihrem Sohn seinen größten Wunsch erfüllen zu können, muss Maggie sich ihrer Vergangenheit stellen – und es stellt sich bald heraus, dass diese Patchwork-Familie aus noch viel mehr Flicken besteht als gedacht.
„Alle Farben des Lebens“ – zu kitschig übersetzt, im Original heißt der Film „Three Generations“ – ist ein Feel-Good-Comedy-Drama über Familie, Identität, Stolz, Toleranz. Irgendwie glaubt man zu spüren, dass ein Großteil der Crew (inklusive Regie, Drehbuch und Produktion) aus Frauen bestand – denn leider ist eine derart facettenreiche Darstellung von Frauencharakteren immer noch die Ausnahme. Der Film ist gespickt mit schlauen, witzigen Dialogen und neuen Perspektiven auf ein Thema, das erstens viel zu selten und zweitens viel zu eintönig aufgegriffen wird. Das Milieu der Charaktere ist so weltoffen wie nur irgend möglich, quasi der Inbegriff der künstlerischen, großstädtischen Filterblase – inklusive veganer Kokosnuss-Eiscreme im Designer-Kühlschrank. Und trotzdem kommen die Frauen an die Grenzen ihres Verständnisses: So fragt Rays Großmutter zum Beispiel, wieso er nicht einfach hätte lesbisch werden könne. Immer wieder werfen sie Pronomen durcheinander, wenn sie mit oder über Ray sprechen und Maggie fragt sich, was sie tun soll, wenn Ray sich irgendwann mit Vollbart zu ihr umdreht und sagt, er habe einen Fehler gemacht. So wird nicht nur die Perspektive der Transperson beleuchtet, sondern auch die ihrer Familie. Dabei ist Ray von seinem Ziel so überzeugt, wie man es nur sein kann und überfordert damit alle seine Familienmitglieder – inklusive seinem Vater, den er gerade erst kennenlernt. Mit dem Auftauchen des leiblichen Vaters erscheinen nicht nur alte Intrigen wieder auf der Bildfläche – es prallen auch Welten aufeinander: Alternativer Frauenhaushalt trifft auf spießbürgerliche Vorzeigefamilie. Dass auch aus dieser Konstellation etwas Schönes entstehen kann, stellt sich erst später heraus.
Elle Fanning spielt den aufmüpfigen Teenie mit einem Flackern in den Augen, Naomi Watts überzeugt mal wieder in ihrer Paraderolle als überforderte Mutter und Susan Sarandon gibt die sarkastische Großstadt-Diva. Das Trio funktioniert: Es wird deutlich, dass Familie Familie bleibt, egal wie unkonventionell sie auf den ersten Blick scheint und wie vielen Konflikten sie sich stellen muss – solange man am Ende aufeinander aufpasst und zusammen (oder übereinander) lachen kann. Der Spagat zwischen Comedy und Drama gelingt allerdings nicht immer: Einige Momente, inklusive dem Ende, wirken zu dick aufgetragen, obwohl der schwarze Humor immer wieder für interessante Momente sorgt. Das macht das Ganze dann auch verzeihlich, und am Ende bleibt: Eine Liebeserklärung an die Vielfalt, und wie der Titel sagt – an alle Farben des Lebens.
ALLE FARBEN DES LEBENS erscheint am 07. April 2017 auf DVD und Blu-ray.
Text: Johanna Warda
Bild: TOBIS/WVG