KAPITEL
Aminata Touré, Buendnis 90/Die Gruenen, Vizepraesidentin Des Schleswig-Holsteinischen Landtages

Aufruf zum Aufmischen: Vielfältige Perspektiven in die Parlamente!

Obwohl jede*r vierte Deutsche einen Migrationshintergrund hat, spiegelt sich dies kaum in der Politik wider. Und auch sonst fehlt es den Parteien an Diversity. Genau die ist nach Meinung von Aminata Touré jedoch der Schlüssel zu einer gleichberechtigten Gesellschaft. Mit ihrem Buch „Wir können mehr sein“ ermutigt die Grünen-Abgeordnete junge und diverse Menschen, Verantwortung zu übernehmen und politische Räume zu erobern.

Politik und Politiker*innen sollten die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Stattdessen scheitern die Parteien oftmals bereits an der Genderdiversität: Der Frauenanteil im aktuellen Bundestag liegt gerade mal bei 31,3 Prozent. Große Bemühungen, politische Räume für vielfältige Perspektiven zu öffnen, lassen sich bisher kaum erkennen. Im Gegenteil: Wie gut die Machterhaltungsstrategien der Boys Clubs noch immer funktionieren, zeigt nicht zuletzt der aktuelle Wahlkampf, der vor allem eins ist: weiß und männlich.

Umso drängender wirkt der Appell von der Grünen-Politikerin Aminata Touré, die bestehenden Machtverhältnisse zu verändern. Sie fordert alldiejenigen auf, politische Verantwortung zu übernehmen und Diskurse mitzugestalten, die bisher in den demokratischen Institutionen kaum zu finden sind: also bspw. Frauen, BPoC, Queers und Menschen mit Fluchthintergrund.

Dass der Weg in die Politik insbesondere für marginalisierte Gruppen ein steiniger ist, weiß die Tochter geflüchteter Eltern aus eigener Erfahrung – auch wenn sich ihre politische Laufbahn heute wie eine einzige Erfolgsstory liest: Mit gerade mal 24 Jahren wird Aminata 2017 für die Grünen in den Landtag von Schleswig-Holstein gewählt. Bereits zwei Jahre später übernimmt sie das Amt der Landtagsvizepräsidentin – nicht nur als die Jüngste in solch einer hohen politischen Position, sondern auch als die erste Afro-Deutsche.

Die Schleswig-Holsteinerin sieht darin bis heute eine wichtige Signalwirkung für alle Menschen mit Migrationshintergrund, denen es hierzulande noch viel zu häufig an Repräsentanz, aber auch an Vorbildern fehlt. Denn obwohl jede*r vierte Deutsche einen Migrationshintergrund hat, spiegelt sich dies kaum in der Politik wider. Eine Tatsache, von der sich Aminata glücklicherweise nie abgeschreckt, sondern eher angetrieben fühlte. Schon als Teenager wollte die Afro-Deutsche, wie sie sich selbst bezeichnet, etwas bewegen und war unter anderem Schulsprecherin bei dem Projekt SORSMC – Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Mit Anfang zwanzig wurde Aminata Mitglied und Sprecherin der Grünen Jugend in Kiel. Heute ist sie Landtagsvizepräsidentin, Sprecherin für Migration, Antirassismus, Frauen und Gleichstellung, Kinder und Jugend sowie Queerpolitik und darüber hinaus stellvertretendes Mitglied des Innen- und Rechtsausschusses, des Sozialausschusses und des Petitionsausschusses des Landtages.

Als Kind malischer Flüchtlinge sind für Aminata die eigenen Erfahrungen nicht nur Motivation, etwas zu verändern, sie nutzt die eigene Biografie auch, um zu verdeutlichen, wie es um Menschen bestellt ist, die heute Ähnliches erleben und durchmachen. So handelt ihr kürzlich erschienenes Buch „Wir können mehr sein“ unter anderen vom Aufwachsen in einer Gesellschaft, die Sexismus und Rassismus allzu gerne unter den Teppich kehrt. Aminata kann sich nicht nur vorstellen, wie sich Diskriminierung anfühlt, sie weiß es aufgrund persönlicher Erlebnisse. Das Leben in einer Flüchtlingsunterkunft kennt sie ebenso wie die Ungewissheit, im Land bleiben zu dürfen oder nicht: Ganze zwölf Jahre dauerte es, bis ihre Familie eine Aufenthaltsgenehmigung erhielt.

Aminata geht offen und emotional mit ihrer eigenen Geschichte um und zeigt sich nahbar. Ihr ist es wichtig, dass sich Bürger*innen wahrgenommen und verstanden fühlen, dass sie Vertrauen gewinnen. Dazu gehört für die 28-Jährige eben auch, Gefühle und Erlebnisse zu teilen. Eine Haltung, die man von wenigen Politiker*innen kennt und die umso beeindruckender ist, wenn man mitverfolgt, welche offen rassistische Haltung durch die AfD in die Politik eingezogen ist.

Statt sich entmutigen zu lassen, zeigt die Schleswig-Holsteinerin klare Kante und tritt selbstbewusst und rhetorisch sicher im Parlament auf. In der Flüchtlings- und Integrationspolitik hat sie sich längst einen Namen gemacht und nutzt ihre Vorbildfunktion, um andere Women of Color und Menschen mit Fluchthintergrund zu bestärken, sich das Recht zu nehmen, Politik mitzugestalten. Denn sie ist sicher: Um wirklich gesellschaftlich etwas zu verändern, braucht es vielfältige Perspektiven an den entscheidenden Verhandlungstischen. Nur so werden die Lebensrealitäten der Menschen, die von den Gesetzen direkt betroffen sind, bei Entscheidungen wirklich berücksichtigt. Nur so lassen sich die bestehenden Machtverhältnisse verändern.

Ob auf den politischen Bühnen oder zwischen zwei Buchdeckeln – Aminata Tourés Message ist klar: In diesem Land gibt es noch viel zu tun. Jede Generation hat die Aufgabe, Gesellschaft mitzugestalten und zu verändern. Und jede*r hat das Recht dazu.

Nutzen wir es!

Aminata Touré: Wir können mehr sein. Die Macht der Vielfalt, Sachbuch, KiWi Verlag, 272 Seiten, ISBN: 978-3-462-00061-0

Text Juliane Rump Foto Imke Lass