KAPITEL
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Berlinale 2019: Das Festival der Frauen?

Im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale finden sich verhältnismäßig viele Filme von Frauen. Ein Fortschritt im Vergleich zu den Vorjahren. Das Festival will sich in Zukunft noch mehr für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität einsetzen. 

Vor fast genau einem Jahr, im Januar 2018, stand Natalie Portman auf der Bühne der Golden Globes-Verleihung. Eigentlich sollte die Schauspielerin und Regisseurin zusammen mit ihrem Kollegen Ron Howard nur einen Award für die beste Regie übergeben. Doch Portman nutzte die Gelegenheit für eine kritische Anmerkung. Als Howard sagte „Wir freuen uns sehr, die Auszeichnung für den besten Regisseur zu präsentieren“, ergänzte Portman trocken: „Und hier sind die männlichen Nominierten“ (im Original: „Andhere are the all-male nominees“).

Ein klarer Seitenhieb auf die Hollywood Foreign Press Association, die die Golden Globesvergibt – und die weder die hochgelobte Greta Gerwig für deren Regie-Debüt Lady Bird nominierte, noch Patty Jenkins für Wonder Woman oder Dee Rees für Mudbound. Übrig blieben, nun ja, lauter Männer als Nominierte.

Schlechte Geschlechterquote

Deutschland ist nicht Hollywood, aber auch hier wird über die Benachteiligung von Frauen in der Filmbranche diskutiert: über Diskriminierung sowie mangelnde Repräsentanz und Diversität. Und welche Gelegenheit wäre dafür besser geeignet als die Berlinale, die in diesem Jahr vom 7. bis 17. Februar stattfindet? Bereits 2018 betonte der scheidende Berlinale-Chef Dieter Kosslick: „Als Festival möchten wir nicht nur Entwicklungen verfolgen, sondern auch ein Ort sein, wo Probleme gehört und diskutiert werden.“ Das Problem sieht so aus: Frauen sind in nahezu allen Schlüsselbereichen der deutschen Filmbranche – darunter Drehbuch, Regie und Produktion – unterrepräsentiert und benachteiligt, das zeigen Erhebungen der Initiative Pro Quote Film: Bei nur 15 Prozent der deutschen Kinofilme führen Frauen Regie. Frauen bekommen maximal 10 Prozent der Fördergelder, obwohl sie fast die Hälfte der Hochschulabschlüsse im Fach Regie ausmachen. Insgesamt haben Frauen, neben der geringeren Filmförderung, weniger Gesamtbudget zur Verfügung.

Zumindest in Sachen Frauen hinter der Kamera steht die diesjährige Berlinale gut da: Sieben der 17 Wettbewerbsfilme stammen von Regisseurinnen, das sind circa 41 Prozent – im letzten Jahr waren es nur 21 Prozent. Auf 400 Filme insgesamt (darunter Retrospektiven und historische Sonderprogramme) kommen 191 Regisseurinnen.

Eröffnet wurde das Festival mit The Kindness of Strangers, dem neuen Film der dänischen Regisseurin Lone Scherfig (Foto). Kein Wunder, dass Berlinale-Kurator Thomas Hailer sich zufrieden zeigt und von einer „guten Quote“ spricht. Viel zu tun bleibe trotzdem, schließlich würden sich die Berlinale-Verantwortlichen auch für die Geschlechterverteilung in anderen Bereichen wie Produktion und Drehbuch interessieren. Und da sieht es weniger gut aus: Der Bereich Kamera beispielsweise ist nur zu 18,5 Prozent weiblich besetzt.

Bewusstsein schaffen

Handlungsbedarf gibt es also – schließlich hat die mangelnde Beschäftigung von Frauen in kreativen Schlüsselpositionen hinter der Kamera direkte Auswirkungen auf Bilder, Charaktere und Geschichten vor der Kamera: Wie problematisch die Darstellung von Frauen im deutschen Film und Fernsehen ist, das zeigen verschiedene Studien. Bleibt die Frage, was getan werden kann. Initiativen wie Pro Quote Film, WIFTG (Women in Film and Television Germany) oder das Internationale Frauenfilmfestival kämpfen dafür, dass die Unterrepräsentanz von Frauen in Schlüsselpositionen der Filmbranche als strukturelles Problem anerkannt wird. Oft heißt es schließlich, Frauen seien selber schuld – vielleicht hätten ihre Filme einfach eine schlechtere Qualität als die von Männern, weshalb sie weniger Förderung bekämen, dadurch kleinere Budgets und schlussendlich weniger Aufmerksamkeit. So einfach ist es aber nicht: Eine Studie der Universität Rostock zeigt, dass Regisseurinnen trotz kleinerer Budgets proportional mehr Filmpreise gewinnen und ihre Filme häufiger auf Festivals zeigen als Männer.

Bewusstsein zu schaffen für strukturelle Diskriminierung in der Filmbranche ist der erste Schritt, konkrete Maßnahmen müssen folgen. Pro Quote Film hat auf der Berlinale nun die Kampagne #calltoaction gestartet, mit der die strukturelle Benachteiligung von Frauen vor und hinter der Kamera beseitigt werden soll. Die dazugehörigen Slogans, oder besser Aufforderungen, lauten unter anderem: „Create a female* character over 50 without a love interest“ oder „Give womenbig budgets“. Denn letztendlich, so ist es nun einmal, geht es um Geld. Geld ermöglicht, Geld ermächtigt. Deshalb, so fordert es Pro Quote Film, ist kontinuierliches Gendermonitoring wichtig, und zwar überall da, wo es um öffentliche Gelder geht: Wer bekommt die Gelder? Und wer nicht?

Ohne Quote geht es nicht

Aber Geld ist eben nicht alles. Schließlich müssen Frauen es überhaupt erstmal in bestimmte Schlüsselpositionen schaffen. Stichwort: Quote. Auf Initiative der WIFTI (Women in Film and Television International) und der Filmproduktionsfirma Chimney haben bereits die Festivalverantwortlichen in Cannes und Venedig eine Verpflichtung namens „5050×2020“ unterschrieben, die für mehr Geschlechtergerechtigkeit auf den jeweiligen Festivals sorgen soll. In diesem Jahr folgt die Berlinale. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk erklärteBerlinale-Chef Dieter Kosslick: „Ich finde eine Quote blöd. Aber um dahin zu kommen, um dieses Ziel zu erreichen, braucht man offensichtlich eine Quote, weil es nicht freiwillig geht.“ Die diesjährige Berlinale mit ihren sieben Regisseurinnen im Wettbewerb (darunter die Deutschen Angela Schanelec und Nora Fingscheidt) stehe besser da als die „großen Festivals der Frauen“ Cannes und Venedig. Mit „5050×2020“ setzt sich die Berlinale dafür ein, bis 2020 die Leitungen und Auswahlgremien paritätisch zu besetzen sowie Zahlen zur Geschlechterverteilung bei Filmeinreichungen und -auswahl zu veröffentlichen. Eine ausführliche Gender-Evaluation für dieses Jahr ist bereits erschienen. 

Man(n) gibt sich also Mühe, zumindest auf der Berlinale. Das zeigt sich auch an der Retrospektive, die in diesem Jahr Werkedeutscher Regisseurinnen in der Zeit von 1968 bis 1999 gewidmet ist. Unter dem Motto „Selbstbestimmt – Perspektiven von Filmemacherinnen“ wird ein Bogen gespannt von May Spils‘ Zur Sache, Schätzchen (1968), über Nina Grosses Der gläserne Himmel (1987), bis hin zu Martina Döckers und Crescentia Dünßers Mit Haut und Haar (1999). Ein Bewusstsein für die Benachteiligung von Frauen im Filmgeschäft scheint, zumindest bei den Berlinale-Verantwortlichen, da zu sein. Doch das allein reicht nicht. Immer noch werden auf dem Festival sehr viel mehr Filme von Regisseuren gezeigt als von Regisseurinnen. Der Goldene Bär für den besten Film ging in den letzten zehn Jahren nur dreimal an eine Frau: an Claudia Llosa für Eine Perle Ewigkeit (2009),  an Ildikó Enyedi für Körper und Seele (2017) und an Adina Pintilie für Touch me not (2018). Kein Wunder: Wenn weniger Frauen mit ihren Filmen im Wettbewerb vertreten sind, haben sie auch weniger Chancen, einen Preis zu gewinnen. Insgesamt wurde der Goldene Bär zwischen 2002 und 2018 an 13 Regisseure verliehen – und an vier Regisseurinnen. Bei der Eröffnungsgala der diesjährigen Berlinale am 7. Februar musste Moderatorin Anke Engelke zwar nicht die „all-male nominees“ präsentieren. Trotzdem: Wenn es um eine gendergerechte, gleichberechtigte und diverse Filmbranche geht, bleibt noch einiges zu tun. In Hollywood wie in Deutschland.

Text: Julia Korbik Foto: PR