„Wir führen eine musikalische Fernbeziehung“
Das Elektropop-Duo EAST OF MY YOUTH ist ein Spätzünder – während andere bereits als Teenager den Keller der Eltern in einen Proberaum umwandeln, gründeten die beiden Isländerinnen ihre Band erst, als sie mit der Uni fertig waren. Ihr Antrieb: die Liebe zur Musik und die Lust am Experimentieren. Ihr EP-Debüt wurde Anfang letzten Jahres veröffentlicht. Jetzt arbeiten sie an dem Nachfolger und lassen sich Zeit, ihren Sound auszubauen.
Die beiden Isländerinnen Thelma Marín Jónsdóttir und Herdís Stefánsdóttir kennen sich schon lange. Sie haben in derselben Nachbarschaft gewohnt, die gleiche Schule besucht und an der Akademie der Künste in Reykjavik studiert. Doch erst 2013, als beide frisch nach dem Studium nach Berlin gezogen waren, freundeten sie sich an. Ein Jahr später, in einer Bar in Neukölln, fiel der Entschluss, gemeinsam Musik zu machen. Der Grundstein für EAST OF MY YOUTH war damit gelegt. Den Namen haben sie einem Zitat aus Jack Kerouacs Roman „Unterwegs“ entnommen: „I was halfway across America, at the dividing line between the EAST OF MY YOUTH and the West of my future“; eine symbolische Beschreibung einer Lebensphase, die nicht selten von einem Gefühl der Verunsicherung und Befreiung zugleich begleitet wird.
Ihr warmer Elektropop ist vielschichtig und beatlastig. Herdís schreibt die Musik und verleiht ihr einen eingängigen Sound. Ihre Kompositionen baut sie um Thelmas tiefe, nuancierte Stimme, die an Florence Welch erinnert. „Thelma erzählte mir an jenem Abend in der Bar, dass sie unbedingt singen will“, erinnert sich Herdís. „Da hatte ich noch keine Ahnung, wie toll ihre Stimme ist. Als ich sie dann zum ersten Mal singen hörte, war ich total beeindruckt.“ Aus gemeinsamen Sessions entwickelte sich ihre erste Single „Lemonstars“. Dass ihre Musik elektronisch werden würde, war nicht geplant. Herdís’ Spezialgebiete waren eigentlich Orchester und Streichquartette; ausgebildet ist sie in klassischer Komposition. Sie besorgte sich ihre erste Software und begann „Lemonstars“, das ganz klassisch am Klavier komponiert wurde, als elektronisches Lied zu arrangieren und zu produzieren. Vier Monate tüftelte sie – für Herdís der Beginn einer kreativen Entdeckungsreise. „Ich habe die elektronische Musik als meine Ausdrucksform gefunden, die mir Spielraum lässt“, erklärt die 31-Jährige. Beats, Bässe und große Töne, das zieht sie an. Die englischen Lyrics schreibt überwiegend Thelma. Eine besondere Herausforderung für die Musikerin, die gleichzeitig neue Perspektiven eröffnet: Englisch ist weniger komplex als Isländisch, die Fremdsprache ermöglicht eine gewisse Distanz, um frei und flexibel mit ihr umzugehen. Ohnehin würden sich EAST OF MY YOUTH nicht unbedingt als isländische Band bezeichnen. „Wir gehören nicht zur typischen isländischen Szene, da wir als Band nie dort gewohnt und auch nicht viel gespielt haben. Rap dominiert in Island, aber weil die Texte auf Isländisch sind, bleibt die Musik lokal und wird nicht über Landesgrenzen hinaus gehört. Es gibt viele Künstler*innen, die in Island keine Aufmerksamkeit bekommen, aber im Ausland Erfolg haben.“ Ihr Heimatland ist Herdís etwas zu klein. In Reykjavik begegnet man ständig Bekannten auf der Straße, sie schätzt die Anonymität der Großstadt. „Als ich das erste Mal in Berlin war, wusste ich sofort: Das ist meine Stadt. Ich denke, wo auch immer es mich zukünftig hinziehen wird, ich werde Berlin niemals ganz den Rücken kehren.“
Wenn man auf YouTube nach EAST OF MY YOUTH sucht, wird schnell klar, wie wichtig den beiden auch die visuelle Komponente ihrer Musik ist. Kein Wunder, wenn man den Background der beiden Isländerinnen betrachtet: Thelma ist ausgebildete Schauspielerin und visuelle Künstlerin, Herdís komponiert unter anderem für Filme. Entsprechend kreativ und anspruchsvoll sind ihre Videos, die oftmals in Kollaboration mit befreundeten Filmemacher*innen produziert werden. Ein Aufwand, der sich lohnt: 2017 gewannen sie mit „Broken Glass“ den Ja Ja Ja Music Video Award.
Dieser unerwartete Ansporn war Grund genug, um weiter durchzustarten, auch wenn das Tempo zwischendurch immer mal wieder gedrosselt werden muss. Doch die beiden haben im Laufe der Zeit gelernt, sich den Rahmenbedingungen anzupassen: Nachdem „Lemonstars“ rauskam, zog Herdís für ein Jahr nach New York, um dort ein Masterstudium anzufangen. East of My Youth lag solange brach, doch das Duo hatte Blut geleckt. Mit der Rückkehr von Herdís, machten sie sich direkt wieder an die Arbeit und schrieben ihre erste, selbstbetitelte EP. „Wenn ich mir die Platte heute anhöre, hat sie für mich einen naiven Charme“, erzählt Herdís. „Wir hatten keine Ahnung, was wir da machen, haben viel ausprobiert und hart gearbeitet. Als Frau gibt es nicht so viele Produzentinnen, an denen man sich orientieren kann. Wir wollten beweisen, dass wir alles selbst machen können, ohne irgendwelche Hilfe.“
Alles selbst machen – der DIY-Gedanke ist im Tun von EAST OF MY YOUTH fest verankert. Mit der Veröffentlichung ihrer ersten EP im Januar 2017 gründeten sie auch gleich ihr eigenes Label, West of My Future Ltd. Herdís schließt nicht kategorisch aus, bei einem etablierten Label zu unterschreiben, doch war dies nie ein angestrebtes Ziel der Band: „Wir experimentieren und lernen beim Machen. Ich bin froh, dass wir es auf diese Weise angegangen sind. Es ist sehr schön, alle Rechte zur eigenen Musik zu besitzen und machen zu können, was man will.“
Herdís lebt weiterhin in Berlin, verfolgt neben EAST OF MY YOUTH auch ihr Solo-Projekt, das sie beim ersten LIBERTINE GLOW Event präsentiert, während Thelma letzten Herbst für ein Masterstudium in visueller Kunst nach Los Angeles gezogen ist. Im Zeitalter von Skype und WeTransfer ist zwar selbst der Atlantik eine überbrückbare Distanz, doch Herdís und Thelma arbeiten am liebsten analog zusammen. „Ich bin die technische Person und Thelma die Performerin. Unsere besten Momente entstehen, wenn wir uns sehen und einfach jammen, nur wir zwei. Wir haben versucht, uns Material hin und her zu schicken, aber mittlerweile arbeiten wir nur, wenn wir uns treffen, das funktioniert für uns einfach am besten.“ So sind sie erprobt darin, EAST OF MY YOUTH als Fernbeziehung zu führen. Über die letzten Jahre haben sie gelernt, das Projekt entspannter anzugehen und die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Das Veröffentlichungsdatum für ihre erste EP mussten sie zehn Mal verschieben – für die zweite, an der sie gerade arbeiten, haben sie einfach keins gesetzt. Vor dem Hintergrund ihres mit den Jahren gewachsenen Erfahrungshorizonts ist es ihnen diesmal wichtiger als noch bei ihrem Debüt, einen einheitlichen Sound zu schaffen. Trotzdem, räumt Herdís ein, setzt sie sich normalerweise gerne Fristen, um ihren Perfektionismus auszubremsen. „Auf diese Weise gibt man zur Deadline ab und dann ist es vorbei, man muss das Projekt loslassen. Ohne feste Termine würde ich wahrscheinlich nie fertig werden.“ Für sie ist das die größte Herausforderung und zugleich das größte Glück – zufrieden sein, die eigene Arbeit wertschätzen, gut zu sich zu sein. Mit EAST OF MY YOUTH sollte ihr das gelingen.
Herdís live erleben könnt ihr am 15. September bei GLOW – North Edition in der Kantine am Berghain. Alle Infos dazu findet ihr hier.
Text: Assunta Alegiani Foto: Pauline Batista