KAPITEL
Lesbische Berlinale

Berlinale: Mangel an lesbischen Perspektiven

Berlin wäre nicht Berlin, wenn sein Filmfestival nicht auch einen eigenen Preis für den besten queeren Film vergeben würde: Seit 1987 zeichnet die Berlinale als einziges Filmfest weltweit Filme mit LGBTIQ-Themen aus. Der Teddy Award wird traditionell am Vorabend der Verleihung des Goldenen Bären vergeben. Berühmte Regisseure wie François Ozon und Pedro Almodóvar haben den Preis für den besten queeren Spielfilm (die anderen Rubriken sind Kurz- und Dokumentarfilm) bereits mit nach Hause genommen.

Where are the lesbians?

Was auffällt, wenn man sich die Liste mit allen Teddy Award-Gewinner*innen ansieht: Es finden sich nur wenige Filme darunter, die sich thematisch mit weiblicher Homosexualität beschäftigen. Die großen Ausnahmen sind Filme wie Lukas Moodyssons Raus aus Åmål (1998), der von einer heimlichen Liebe zwischen Freundinnen erzählt, oder Lisa CholodenkosThe kids are alright (2010) über ein verheiratetes lesbisches Paar, das mit dem anonymen Samenspender seiner Kinder konfrontiert wird. Und mit Eine fantastische Frau von Sebastián Lelio gewann im letzten Jahr erstmals ein Film den Teddy Award in der Kategorie Spielfilm, in dem eine Transfrau die Hauptrolle spielt.

Dass Filme mit einem Fokus auf männlicher Homosexualität sehr viel häufiger den Teddy Award gewinnen als solche mit Fokus auf weiblicher Homosexualität, verwundert nicht, schließlich werden die Bewerber*innen für den Preis unter allen Filmen aus dem Berlinale-Programm ausgewählt  – und auch da gibt es traditionell mehr Filme mit schwuler als mit lesbischer Thematik. Allerdings: Dieses Jahr finden sich im Programm der Berlinale mehrere Spielfilme, in denen Geschichten von lesbischen Frauen erzählt werden.

Beiläufige Queerness

Manchmal geschieht das ganz beiläufig – die sexuelle Orientierung der Protagonist*innen gehört selbstverständlich zu ihrem Charakter und bildet nicht den Ausgangspunkt der Handlung. So wie in Marie Kreutzers Wettbewerbsbeitrag Der Boden unter den Füßen: Unternehmensberaterin Lola ist mit einer Frau zusammen, vielmehr geht es aber um das komplizierte Verhältnis zu ihrer älteren Schwester. In House ofHummingbird von Kim Bo-ra kommt Achtklässlerin Eunheesich in ihrer Heimat Seoul wie ein Fremdkörper vor. Ihr Bruder schlägt sie, die Eltern streiten sich. Doch durch die Begegnung mit der neuen Chinesisch-Lehrerin verändert sich in Eunhee etwas. Eher beiläufig queer ist auch Thomas Moritz Helms Heute oder Morgen, in dem zwei Berliner*innen, Maria und Nils, sich in eine unbekümmerte ménage à trois mit der Britin Chloë stürzen und sich durch den Berliner Sommer treiben lassen. 

Ganz im Fokus des Geschehens steht lesbische Liebe in Elisa y Marcela: Isabel Croixet erzählt in ihrem Wettbewerbsbeitrag in schnörkellosen Schwarz-Weiß-Bildern die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte von Elisa Sánchez Loriga und Marcela Gracia Ibeas, die sich 1901 in der Kirche San Jorge im spanischen A Coruña das Jawort geben. Es ist die Geschichte zweier Frauen, die sich Ende des 19. Jahrhunderts als Schülerinnen in der spanischen Provinz ineinander verlieben. Marcelas Eltern werden misstrauisch und schicken ihre Tochter auf ein Internat nach Madrid. Jahre später begegnen Elisa und Marcela, nun beide Lehrerinnen, sich wieder – und beschließen, ihre Liebe zu leben. Die katholischen Mitbürger*innen betrachten die beiden Frauen argwöhnisch und so beschließt Elisa, sich als Mann auszugeben und Marcela zu heiraten. Doch damit fangen die wahren Probleme erst an. 

Liebe ist Liebe

An manchen Stellen rutscht der Film vielleicht zu sehr in eine sanfte Soft-Porno-Ästhetik ab, ist dabei aber nie voyeuristisch. Der Blick auf Elisa und Marcela bleibt stets liebevoll. 2005 wurde Spanien zum weltweit dritten Land, das die gleichgeschlechtliche Ehe einführte – für Elisa Sánchez Loriga und Marcela Gracia Ibeas kommt das über hundert Jahre zu spät. Und doch: Ihre Ehe wurde nie annulliert, obwohl die Kirche sehr bald herausfand, dass Bräutigam Mario in Wahrheit Elisa war. So sind und bleiben Elisa und Marcela offiziell das erste homosexuelle Paar, das in Spanien kirchlich getraut wurde. 

Liebe ist Liebe. Auf der Berlinale – und überhaupt.

Text: Julia Korbik Foto: Netflix