KAPITEL
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I Heart Girl – Der andere Blick

Die New Yorker Fotografin und Filmemacherin Jessica Yatrofsky stellt in ihren Werken die großen Fragen: nach Körperlichkeit, Schönheit, Verletzlichkeit und Gender. 2010 brachte sie ihren Bildband I HEART BOY heraus, 2015 folgte I HEART GIRL. Ein Gespräch über den Wandel zur genderfluiden Gesellschaft und darüber, wie die Zukunft der Weiblichkeit in der Kunst wohl aussieht – insbesondere in Zeiten von Trump.

Jessica Yatrofsky ist Fotografin und Regisseurin und lebt seit 2006 in Brooklyn. In ihren Bildern und Filmen fokussiert sie sich auf den menschlichen Körper, der in Amerika noch immer sehr stark tabuisiert ist. Begonnen hat sie ihre Arbeit mit der Frage grha20160428-001danach, wieso männliche Nacktheit in der Öffentlichkeit so stark zensiert wird, während nackte Frauen in der Werbung und anderswo häufig objektifiziert werden. Ist es tatsächlich nur Prüderie? Oder hat es nicht doch mit dem Machtgefälle in männerdominierten Gesellschaften zu tun? Ihre Portraits, die sie über viele Jahre zum Thema produzierte, veröffentlichte sie 2010 in dem Band I HEART BOY. Er zeigt junge nackte Männer in minialistischen Settings und wurde von der Presse vor allem als „provokant“, aber „nötig“  aufgenommen.

2015 erschien der Nachfolgeband des Projekts unter dem Titel I HEART GIRL, für den Jessica über einhundert Frauen porträtiert hat. Die Modelle fand Jessica zunächst in ihrem Freundeskreis. Später kamen mehr und mehr Frauen aus ihrem Netzwerk hinzu. Das Ergebnis ist ein wunderbar zartes Buch, das in seiner Vielfalt verschiedene Spielarten und Formen von Weiblichkeit aufzeigt und die Leser*innen anstiftet, zu fragen, was Frausein heutzutage eigentlich bedeutet und welche Definition von „Schönheit“ noch Gültigkeit hat.

Körper, Schönheit, Gender, Politik – das sind die Themen, die Jessica umtreiben. Ihre einfachen Bilder fangen Stärke und Verletzlichkeit gleichermaßen ein und verschieben dabei langsam die Grenzen zwischen „maskulin“ und „feminin“. Das Thema Androgynität durchzieht Jessicas Gesamtwerk ebenso, wie das Nachsinnen über Grenzen und Restriktionen, die die Gesellschaft, die Gemeinschaft und wir selber uns setzen. Jessicas Œuvre ist Teil der Dauerausstellung im Leslie Lohman Museum of Gay and Lesbian Art in SoHo. Ihre Fotografien wurden zudem international ausgestellt, ihre Filme auf internationalen Film Festivals gezeigt. In Libertine 1 und 2, #Freiheit und #Love, sind euch die Bilder von Jessica Yatrofsky vielleicht schon ins Auge gesprungen. Im Rahmen unserer Release Party in Hamburg könnt ihr euch ausgewählte Porträts aus Jessicas Reihe I HEART GIRL im Großformat ansehen.

Mae: Was war der Ursprung von I HEART BOY bzw. dem Nachfolger I HEART GIRL?

Jessica: Der menschliche Körper hat mich schon immer fasziniert. Er ist das Thema, das ich seit meiner Jugend immer wieder künstlerisch bearbeitet und dokumentiert habe. Erst zeichnerisch, dann mithilfe einer einfachen Handkamera, die mir mein Vater gegeben hatte. Im College – ich war eigentlich für Malerei und Grafik eingeschrieben – begann ich mit Fotographie zu experimentieren. Als ich dann nach New York kam, fokussierte ich mich auf den männlichen Körper.

Ich habe mich gefragt, was wohl geschichtlich passiert sein könnte, dass der Körper des Mannes heute so pervertiert wird und man ihn außer im Museum – in Form alter römischer oder griechischer Kunst – nie zu sehen bekommt. Er ist immer verhüllt und wird stark tabuisiert. Während ich versuchte dem mit meinem Projekt „Performance on a Male Nude“ auf den Grund zu gehen, fing ich an, Menschen um mich herum zu fotografieren. Freunde, Bekannte, Paare. Viele von ihnen empfahlen mir dann weitere Modelle, sodass ich bald eine große Kollektion zusammen hatte, die später dann zu I HEART BOY werden sollte. Während dieser Zeit fotografierte ich natürlich auch Frauen.

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Wieso hast du die Geschlechter getrennt und nicht alle Bilder in einem Band veröffentlicht?

Ich wollte beide Geschlechter getrennt voneinander präsentieren, um die individuelle Stärke bzw. Verletzlichkeit eines Geschlechts zu zeigen. Oft – zum Beispiel bei Youth Culture Photography – werden Männer- und Frauenkörper zusammen gezeigt. Ich finde aber, dass das die Aussage und die Stärke der Bilder verwässert. Ein nackter Männerkörper scheint leichter verdaulich, wenn er neben einem Frauenkörper steht. Und das wollte ich nicht kommunizieren. Es ging mir bei meinen Bildern um einen absoluten Fokus auf den verletzlichen Körper, die menschliche Form und darauf, was durch sie repräsentiert wird.

„I’m capturing a current shift towards a more open genderfluid society.“

Kannst du in Worte fassen, was dich am menschlichen Körper, an der menschlichen Form fasziniert?

Sieht man Nacktheit in der Öffentlichkeit, dann meist im Kontext von Pornographie oder Gay Culture. Diese Verortung in bestimmten Milieus macht den Körper zu einer Projektionsfläche, pervertiert und sexualisiert ihn. Bei der Darstellung von Frauen in der Werbung oder in den Medien hingegen wird der Körper oft so manipuliert, dass er gar nicht mehr realistisch aussieht. Mit beidem kann ich nichts anfangen: Weder mit den pervertierten, pornographischen noch mit den schlichtweg falschen, manipulierten Körperbildern. Wo ist denn der echte Körper?

Es ist interessant für mich, die reellen Körper zu sehen, außerhalb dieser beschränkten Räume. Körper, mit denen ich mich auch identifizieren kann und in denen sich auch die Betrachter*innen meiner Bilder wiedererkennen. Vor diesem Hintergrund stellen für mich sowohl das Fotografieren bzw. Fotografiertwerden als auch das Betrachten der Bilder Formen von Empowerment dar. Daher produziere ich meine Bilder auch nicht nur aus Spaß oder Interesse, sondern ich empfinde es als meine Aufgabe als Künstlerin.

Glaubst du, dass unser Blick für Ästhetik abstumpft, weil wir täglich von tausenden (überarbeiteten) Bildern und sehr viel Nacktheit überschwemmt werden?

Ja, wenn du auf die Kunsthochschule gehst, lernst du die Techniken, mit denen man die Bilder verändern und manipulieren kann. Aber während ich auf den ersten Blick sehe, welche Bilder echt und welche nachbearbeitet sind, sehen viele Menschen ohne dieses spezifische Vorwissen das nicht. Sie nehmen dann an, dass die Bilder die Realität wiederspiegeln. Was sie aber natürlich nicht tun.

Insbesondere für die jungen Generationen ist das problematisch. Sie wollen sich dann dem unrealistischen Bild anpassen, ihm nacheifern. Es beunruhigt mich, denn diese Mädchen (und auch Jungs natürlich) verlieren ein Gespür für ihre eigenen Körper. Sie distanzieren sich von ihrer physischen Erscheinung. Das ist das Gegenteil von Empowerment.

Außerdem ist nicht nur die Erwartungshaltung an den eigenen Körper total unrealistisch, sondern auch an den der anderen – der potenziellen Partner*innen nämlich. Wer sich an den manipulierten Bildern orientiert, sucht die „Perfektion“. Was noch einmal einen verstärkenden Effekt auf die Mädchen hat. Ich vergleiche das gern mit Menschen, die übermäßig Pornos schauen: Deren Sinn für Zärtlichkeit, reelle Körper und Intimität ist auch zerrüttet. Ihre Erwartungen an Sex haben sich ungesund verschoben.

Gerade deswegen ist sind Menschen wie Lena Dunham  so starke Kräfte in der Debatte. Sie bekommt viel Gegenwind, muss viele Beleidigungen wegen ihres Körpers aushalten, aber sie ist ein wichtiges Vorbild. Wir bräuchten noch viel mehr Menschen wie sie in der Öffentlichkeit, dann gäbe es mit Sicherheit mehr Selbstakzeptanz und Liebe.

„In my pictures I have to lock out the New York City vibe.“

Ich sehe diese realistischeren Körperbilder häufig in Indie-Produktionen vertreten, die tatsächlich ihren Ursprung in New York haben. Man denke nur an die Filme von und mit Greta Gerwig  (Frances Ha, Mistress America, Wiener Dog etc.), an Lena Dunhams Serie „Girls“ oder an „Broad City“ mit Ilana Glazer  und Abbi Jacobson. Alle diese Produktionen stehen im krassen Kontrast zu dem, was in Hollywood passiert. Empfindest du das auch so? Startet der Wandel hin zu einem realistischeren Frauenbild in den Medien in New York City?

Ich stimme dir zu. In L.A. sind die Looks mehr wert als der Intellekt. Im Gegensatz dazu kommst du in New York gut voran, wenn du motiviert bist, schlau und kreativ. Diese Sachen sind hier viel wert. Die Looks sind nicht so wichtig. Natürlich muss man in die richtigen Netzwerke kommen. Lena, Greta und auch beispielsweise Chloe Savigney nehmen sich in ihren Projekten Frauentypen an, die als unpopulär oder unsympathisch gelten. Ich liebe das. Davon sollte und wird es mehr geben. Denn sie transportieren in ihren Erscheinungen schon Kraft und Stärke und sie haben etwas Transgressives an sich. Sie überschreiten im wahrsten Sinne des Wortes bisher gesetzte Grenzen.

Wo wir gerade bei New York sind. Inwiefern spielt die Stadt eine Rolle in deinen Bildern?

Ich mag nichts, was unordentlich ist. Und die Stadt strahlt eine große Unordnung aus. Daher mag ich es gerade, eine Umgebung künstlich zu erschaffen, wo nichts vor sich geht. Wo Ruhe ist. Mit meinen Settings schließe ich die Stadt und ihren Vibe quasi aus. Da ist nichts, was vom Eigentlichen ablenkt.

Ich liebe die niederländische Malerei. Bei ihr liegt auch der Fokus auf einer Figur, und obwohl ringsum teilweise viel vor sich geht, scheint alles von dieser zentralen Figur auszugehen. So fotografiere ich auch: Was mir wichtig ist, wird auch dir beim Betrachten wichtig sein: nämlich der Körper. Ich mache meine Fotos daheim oder in Studios, wo ich alle Möbel fortschaffen kann. Ich will nur die Person sehen: ihre Position, einem Ausdruck im Gesicht, ihre natürliche Körperhaltung, ihre Körpersprache.

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Ich hatte angenommen, dass sich New York ganz unwillkürlich in deine Bilder einschleicht. Nämlich als „Safe Haven“ vieler deiner Modelle, die ja häufig nicht die gängigen Gendernormen oder die tradierten Schönheitsideale erfüllen. Viele haben sich doch sicher in der Stadt eingefunden, weil sie deren Offenheit und Anonymität schätzen und gerade hier ganz sie selbst sein können. Ist dieser Umstand für dich wichtig?

Doch. Natürlich. Dafür bin ich hier her gezogen. Allein schon, weil mir die Stadt die Möglichkeit gibt, mit diesen Personen in Kontakt zu treten. Hier habe ich ein großes Netzwerk an Menschen, mit denen ich arbeiten und mich austauschen kann. Ich kann jemanden bitten, heute ins Studio zu kommen. Und es wird passieren. Das ist, wie ich andernorts lernen musste, nicht selbstverständlich. Aber die Leute hier sind so großartig und so offen, kreativ und künstlerisch und bereit an meiner Kunst zu partizipieren.

„All they have are their bodies and their voices.“

Das ist toll. Auch, dass deine Künstlerkolleg*innen sich nicht scheuen, dir Modell zu stehen.

Ja. Das hat auch viel mit dem politischen Klima hier zu tun. Viele haben in den letzten Jahren begriffen, dass alles was sie haben, um sich für oder gegen etwas einzusetzen, ihre Körper und ihre Stimmen sind. Egal in welchem Alter. Sie nutzen diese beiden Sachen, um sich auszudrücken oder sie erlauben jemand anderem, mit ihren Körpern und Stimmen etwas auszudrücken. Das ist unglaublich! Ich bin sehr gespannt, wohin das mit der jetzigen Regierung noch führt.

Ich finde es sehr interessant, was du als Künstlerin, zur Trump-Regierung zu sagen hast. Und wie du die Rolle der Kunst einschätzt.

Es ist eigentlich lächerlich, dass es Menschen gibt, die Trump überhaupt erst nehmen. Er ist so aus der Zeit gefallen. Es ist, als würde man seinem senilen Großvater zuhören, der seine rückwärtsgewandten Meinungen kundtut. Gleichzeitig ist es gruslig, weil er eben jetzt an der Macht ist und uns alle repräsentiert. Es ist alles so peinlich. Man muss sich wirklich permanent schämen.

Schlimm ist, dass das Moralverständis vieler Leute angegriffen wurde, denn sie werden von jemandem regiert, der so misogyn, rassistisch und antisemitisch ist. Nun fühlen sich die Neo-Nazis berufen und bestärkt, dabei gibt es das „weiße Amerika“ dieser Leute gar nicht und das hat es auch nie gegeben. Es ist schrecklich, insbesondere für die Minderheiten, für die LGBTQI-Community und für Frauen.

Jetzt ist es die Pflicht einer*s jeden Künstler*in aufzustehen, laut zu sein und sich am Dialog zu beteiligen. Wir brauchen einen Diskurs über die Fakten: Wer wir sind, was wir wollen, was unsere Werte sind. Das hier ist keine Reality Show, es ist Realität. Und genauso ernsthaft müssen wir die Probleme auch angehen.

In letzter Zeit haben wir viel von den Protesten und Märschen gehört. Wie nimmst du die Situation für Frauen wahr?

Gerade der Wahlausgang hat hier den Frauen enormen Auftrieb gegeben. Überall sprießen Frauengruppen nur so aus dem Boden. Gestern war ich bei einem Frauen-Meeting. Da saß ich und dachte: „Diese Frauen sind alle so intelligent, organisiert, präsent und motiviert, die Welt zu verbessern. Dieser Moment hier, das muss der Albtraum eines jeden misogynen Typs sein!“ Und solche Meetings laufen gerade im ganzen Land ab, vielleicht auch auf der ganzen Welt. Frauen formieren sich, um die Zukunft aktiv zu gestalten und zu verbessern! Diese Wahl war wie ein Ruf zu den Waffen für uns.

Das hat mich dann wieder zu I HEART BOY und meiner Performance-Kunst am männlichen Körper zurückgebracht. Denn Amerika ist so strategisch darin, den männlichen Körper zu zensieren, während der weibliche Körper überall sichtbar ist. Ich denke, dass man dem männlichen Körper seine Macht nimmt, sobald man beginnt, ihn zu entblättern und zu porträtieren. Solange er verdeckt bleibt, hat er etwas Mystisches oder Heiliges an sich. Wenn man den männlichen Körper nackt sieht, nimmt man ihm seine Geheimnisse und zeigt ihn als das, was er ist: verletzlich und weich. Das schwächt ihn.

Zurzeit ist es doch so: Ein Körper, der männliche, wird zensiert und ein Körper, der weibliche, wird konsumiert. So war es schon immer. Man denke nur an Musikvideos mit angezogenen Sängern und halbnackten Frauen. Solange das so ist, wird sich nichts ändern. Erst der Blick auf den männlichen Körper, wird ihm seine Stärke nehmen.

„It’s unpopular now to be inauthentic.“

Es ist doch interessant, wie viele Sachen eigentlich nur für und durch den männlichen Blick existieren. Nehmen wir einmal die Ikonographie der Frau in der Kunst. Über Jahrhunderte haben männliche Künstler sie als Projektionsfläche genutzt und sie so porträtiert, wie sie wollten. Vornehmlich als Heilige oder Hure. Ich habe das Gefühl, dass diese Projektionsfläche erst im Laufe des letzten Jahrhunderts mit anderen Inhalten gefüllt wurde. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem du deine eigene Ikonographie angehst.

Ja, was ich nun einfangen möchte, ist der momentane Wandel, den wir als Gesellschaft durchmachen. Die Geschlechtergrenzen lösen sich auf, alles wird mehr und mehr fluide.

Was glaubst du, wohin die Ikonographie der Frau in der Zukunft steuern wird?

Ich glaube tatsächlich, dass Frauen in Zukunft ihre Darstellung selbst in die Hand nehmen werden. Der männliche Künstler als Vermittlungsinstanz wird wegfallen. Durch soziale Plattformen haben Frauen schon heute die Möglichkeit, sich selbst so zu porträtieren, und zwar so, wie sie gesehen werden wollen. Sie können sich ein Publikum generieren und selbst anderen folgen, deren Inhalte ihnen wichtig sind. Unmittelbarer geht es nicht. Damit bestimmen Frauen Angebot und Nachfrage auf dem Markt: Sie wollen den Content realistischer, authentischer, einzigartiger Personen sehen. Hier sieht man, wie die kulturelle Praxis sich langsam verlagert! Die unauthentischen Darstellungen von Frauen in Magazinen und den Medien verlieren immer mehr an Bedeutung, während die authentische Darstellung an Popularität gewinnt. Natürlich gibt es noch Leute, die sich gern Hochglanzmagazine ansehen, aber „in“ sind diese unauthentischen Darstellungen nicht mehr. Es ist eine gute Zeit für Künstler*innen. Aber eine schlechte Zeit für misogyne Künstler.

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Ja, Fotografie ist nun eben auch ein Werkzeug, das der Authentizität dienen kann. Sie kann die Realität festzuhalten. Beweismittel erzeugen. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklung in den USA ist das spannend.

Ja, ich produziere Inhalte, die für uns und unsere Gemeinschaft wichtig sind. Sie unterstützen das weibliche Image, den weiblichen Körper, die weibliche Stimme. Seit der Wahl bekommt meine Kunst aber eine vollkommen neue, politische Seite, die ich eigentlich nicht intendiert hatte. I HEART WOMEN porträtiert Frauen nun einmal anders als Trump es gerne hätte. Und zwar, weil Frauen heute tatsächlich anders sind. Ich zeige die Realität auf und kann damit den Alternative Facts entgegenhalten. Man kann beispielsweise noch so vehement behaupten, Amerika sei weiß. Meine Bilder sprechen eine andere Sprache. Ich erlebe ein anderes Amerika.

„I create content that supports the female image, the female body and female voices.”

Von den Medien wurde dein erstes Werk I HEART BOY, in dem du ja die Verletzlichkeit nackter Männerkörper zeigst, als „gewagt“ und „provokant“ aufgenommen. Bekamst du bei I HEART GIRL das gleiche Feedback? Also wurde es noch immer als Provokation aufgefasst oder konntest du anhand der Reaktionen schon einen Wandel im Umgang mit Gender feststellen?

Die Reaktion auf beide Bücher waren in der Tat sehr unterschiedlich. I HEART GIRL wurde eher als „mutig“ wahrgenommen, nicht so sehr als „provokant“. Interessanterweise war die erste Reaktion von Männern, die das Buch in die Hand nahmen, dass sie die porträtierten Frauen nicht attraktiv fanden. Sie meinten, ich würde eine anthropologische Studie durchführen, wie Frauen aussehen können, dabei habe ich nur einfach die Frauen fotografiert, die mich tagtäglich umgeben.

Ist es nicht komisch, dass auch hier schon wieder die Befriedigung des „männliche Blicks“ bzw. der „männlichen Ästhetik“ das Kriterium ist, an dem ein Bildband voller Frauenkörper bewertet wird.

Ja, eben. Wieso war das die erste Frage: „Finde ICH sie attraktiv?“ Männer scheinen sich Kunst so zu nähern. Auch bei I HEART BOY waren Männer die Hauptrezepienten. Bei I HEART GIRL blieben männliche Käufer allerdings aus. Das Buch spricht dafür Frauen stark an.

Zum Schluss noch eine Sache noch für dich zum Nachdenken: I HEART BOY wurde vom Verlag damals unter „Male Erotica“ gelistet, I HEART GIRL unter „Kunst“. Denn Male Erotica geht erstaunlich gut über den Ladentisch. Während meine weiblichen Models wohl nicht als erotisch aufgefasst wurden: Was Männer erotisch finden, verkauft sich. Was sie nicht erotisch finden, ist dann eben Kunst.

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Interview: Mae Becker

Fotos: Jessica Yatrofsky