KAPITEL
LowRes 1

Dem Überfluss überdrüssig

Fünf Jahre ist es her, da entstand in einer ideentrunkenen Nacht auf St. Pauli ein Konzept, das es sich mit einer Portion subversiver Energie und munterer Beharrlichkeit mitten in der Konsumgetriebenheit unserer Breitengerade gemütlich gemacht hat. Mit einem System, das zum Neu-, Nach- und Überdenken einlädt und mit dem die beiden Gründerinnen Pola Fendel und Thekla Wilkening zugleich selbst die Antwort liefern: Kleiderei. Das Credo: Kleider leihen, statt sie zu kaufen.

Mode ist vieles – und für jeden Menschen etwas anderes. Sie kann funktional sein, erfindet sich mit Trends neu, bedeutet ihren Träger*innen Mittel zum Selbstausdruck. Müssen wir Kleidungsstücke aber, nur weil wir zu ihr mal tiefere, mal oberflächlichere Beziehungen pflegen, auch immer besitzen? Die Antwort, die das in Hamburg gegründete Projekt Kleiderei darauf gefunden hat, ist mehr als ein ideologisiertes „Nein“, sondern holt mindestens auch die Menschen ab, die hier zögerlich mit einem „Jein“ antworten. „Jein“, weil ein „Nein“ als gänzliche Absage an die Mode missverstanden werden könnte. „Jein“, weil die Liebe zur wechselnden Garderobe, zum Experimentieren und Spielen mit ebenjener Expressionsform eben nicht nur verwerflich ist. Ihr zumeist dahinter waltendes System hingegen schon: das des Überflusses, des Konsumwahns, der Ausbeutung. Eine Antwort darauf: Kleidung nunmehr zu leihen, nicht mehr zu kaufen – aus dem neverending Kleiderschrank, gefüllt mit ausgewählten Vintages-Pieces, mit Designs von kleinen oder bereits etablierten nachhaltigen Labels und Jungdesignern wie Black Velvet Circus, Ethel Vaughn, fremdformat, JAN ’N JUNE, Lanius, Lies in Layers, Musswessels oder Nusum, mit textilen Geschenken von Unterstützer*innen. Kurzum: aus der Kleiderei, kurz für die neu gedachte Bücherei für Kleider.

Thekla

Thekla

Die Idee hinter Kleiderei ist so simpel wie smart: Ein Monatsbeitrag wie auch ein zu Beginn ausgefüllter Fragebogen besiegeln nicht nur die Mitgliedschaft, sondern Letzterer ist gemeinsam mit einer Love List zudem Basis für die spätere Zusammenstellung des kuratierten Outfit-Pakets, das jedes Mitglied individuell aus dem Kleiderei-Sortiment zugeschickt bekommt und nach vier oder weiteren Wochen wieder zurückgibt, um dann im nächsten Monat ein neues Paket zu erhalten. Vielfältige Kleidung auf Zeit bei einer Person, bis sie zurück- und weitergesendet wird – so das Prinzip, das es auch weiterhin ermöglicht, immer anders auszusehen, allerdings ohne zu kaufen, zu horten, zu verschwenden. Stattdessen wird ein System geschaffen, das nutzt, was schon da ist, und damit Ressourcen schont. Denn Kleider zu leihen, ist natürlich der nachhaltigste Weg, Mode zu konsumieren. „Wir verlängern die Lebensdauer eines Produktes bis ins Maximum und sorgen so dafür, dass dessen biologischer Fußabdruck immer kleiner wird“, heißt es bei Kleiderei. Das gilt auch für die Versandprozesse, die mit der Eröffnung der virtuellen Türen im November 2014 hinzukamen. Denn Pakete werden recycelt und nur auf recyceltem Papier gedruckt; jede Kundin bekommt nur ein Paket im Monat, in dem sie schließlich auch alle Teile gebündelt zurückschicken muss.

Kleiderei hat jedoch noch einen größeren Beitrag geleistet, zumal 2012 in Deutschland der entsprechende Diskurs noch leise, das Prinzip des Kleiderverleihs fernab teurer und oft nur Stylisten zugänglicher Kostümverleihe oder Theaterfundus sogar ungesehen war: Mit ihr haben Pola Fendel und Thekla Wilkening eine Diskussion befeuert, eine, die heute immer lauter, nachdrücklicher, kreativer geführt wird. In deren Zentrum stehen Fragen wie die, wie Mode „slow & sexy“ sein kann. Wurden diese lange Zeit vor allem an Labels und Unternehmen gerichtet, bringt Kleiderei neue Gedanken und die Konsumenten selbst ins Spiel. Denn zur Nachhaltigkeit der Mode gehören eben „nicht nur“ eine faire, nachhaltige Produktion von Kleidung, sondern ebenso auch ein nachhaltiger Konsum. Und für den sind wir verantwortlich.

Text: Teresa Köster Fotos: Denys Karlinskyy