„Einfach nur Musikerin sein, das wäre richtig geil“
uon, das sind Anna Sharifi und Nina Branner aus Kopenhagen. Die beiden lernten sich 2015 zufällig an ihrem neuen Wohnort Berlin kennen und fingen an, zusammen Musik zu machen. Daraus sind mittlerweile zwei EPs und zahlreiche Konzerte geworden. Im Gespräch erzählen sie mir von ihren Anfängen, von ihrer neuen EP Catharsis, von Dänemark, Berlin und von Annas iranischen Wurzeln, vom Frausein in der Musikszene, von meditativen Club-Konzerten und nicht zuletzt von dem ambivalenten Verhältnis, das sie zum Thema Identität haben.
Als sich Anna Sharifi und Nina Branner 2015 bei einer open stage in Berlin-Neukölln begegnen, hatte Nina noch nicht viel mit elektronischer Musik am Hut. „Anna hat mir diese Welt gezeigt“, sagt sie, und sie scheint sehr glücklich darüber zu sein. Vorher hatte Nina in Dänemark vor allem in Folk- und Rock’n’Roll-Bands gespielt. Anna Sharifi war auch vor uon schon als Solokünstlerin in der elektronischen Musikszene unterwegs und produziert schon lange ihre eigenen Beats. Damit fing sie allerdings eher notgedrungen an, als sie 2009 aus Kopenhagen nach Berlin kam und noch niemanden kannte. „Ich hatte keine Leute, die mit mir Musik gemacht haben, also saß ich alleine in meinem Zimmer und habe selbst komponiert und Sachen ausprobiert. Ohne andere Bandmitglieder bleibt eigentlich nur elektronische Musik übrig“, sagt sie und lacht. Das ändert sich, als sie Nina kennenlernt. Sie spielen erst zwei Jahre in einer vierköpfigen Band, 2017 gründen sie dann uon. Das sei auch der Zeitpunkt, zu dem ihre Musik noch elektronischer geworden sei, sagen beide. Mittlerweile haben sie zwei EPs zusammen rausgebracht und bringen das Publikum regelmäßig auf Konzerten mit ihrem basslastigen, sphärischen Elektro zum Tanzen.
Nina liebt es, zu Annas Beats auf dem Klavier zu improvisieren: „Bei elektronischer Musik gibt es viel mehr unterschiedliche Ausdrücke, die ich wählen kann. Wenn ich zum Beispiel nur mit einem Gitarristen spiele, ist das begrenzt. Bei elektronischer Musik kann man viel mehr verschiedene Stimmungen erzeugen.“ Die Musik, die dabei herauskommt, ist einerseits düster, staubig und dunkel, andererseits verspielt und poppig. Flächige, sphärische Parts wechseln mit schnellen Abschnitten, immer wieder unterbrochen von Annas Gesang. Am liebsten spielen die beiden kleine Clubkonzerte, sagen sie, und danach klingt Catharsis auch: Die Beats, Annas klarer Gesang und Ninas Synthis und Klavier klingen stellenweise fast meditativ, nur um die Zuhörer*innen gleich danach wieder schnell und wild zum Tanzen anzuregen.
Die Songs auf Catharsis sind gleichzeitig mit der ersten EP evoL entstanden, die 2018 erschienen ist. Trotzdem klingen die EPs sehr unterschiedlich, sagen beide. „Die neuen Songs sind eher Clubsongs, es gibt zum Beispiel lange Passagen, in denen gar kein Gesang ist“, sagt Nina. „Die Songs auf Catharsis sind auch sehr viel gesellschaftskritischer“, erklärt Anna. Auf evoL hätten sich Texte und Musik noch viel mehr um die Liebe und um Beziehungen gedreht, durch ihr politikwissenschaftliches Studium hätten sich aber nun auch existenziellere Themen in ihre Songs gemischt. „Der Song ‚borders’ beschäftigt sich zum Beispiel mit der Grenzpolitik der EU.“ Anna singt hier davon, wie die nationale Sicherheit europäischer Staaten als Scheinargument für rassistische Politiken verwendet wird.
Auch unser Gespräch dreht sich um Politik, um Identität, um Zugehörigkeit. Wir sprechen darüber, wie unterschiedlich uon in Dänemark und Deutschland wahrgenommen wird, über Annas iranische Wurzeln und den Wunsch, manchmal einfach nur eine Musikerin zu sein, unabhängig von allen Labeln, die so verteilt werden. „Früher hat es mich oft verletzt, wenn Leute gefragt haben, wo ich ‚wirklich’ herkomme. Heute habe ich eher das Gefühl, dass die Leute einfach neugierig sind. Vielleicht hat das mit dem Älterwerden zu tun, dass mich das weniger aufregt!“, sagt Anna und lacht. „Bei uon wird das Exotische rausgestellt, in Dänemark sind wir die Band aus Berlin, in Deutschland sind wir die dänisch-iranische Band“, sagt Nina. Auf die Frage, was das Thema Herkunft und Identität für sie persönlich bedeutet, werden beide nachdenklich und es entspinnt sich ein Gespräch, in dem deutlich wird: Identität hat für uon zwei Seiten. Einerseits ist es schön, ein Teil von etwas zu sein, einer Gruppe. Zugehörigkeit bedeutet auch, sich aufgenommen und angekommen fühlen. Andererseits bedeutet Identität auch, Dinge zugeschrieben zu bekommen, festgelegt zu werden und nicht all seine Facetten zeigen zu können.
Ihre Musik sei nicht so sehr von Ninas und Annas dänischer und iranischer Herkunft beeinflusst, deshalb sei es merkwürdig, manchmal darauf reduziert zu werden. „Catharsis klingt orientalischer als unsere letzte EP“, sagt Anna. Wobei die orientalischen Elemente vor allem ihrer Fantasie entsprungen und nicht direkt von persischer Musik inspiriert seien. Auf die Frage, ob sie gern einfach nur als „Musikerinnen“ wahrgenommen werden würden, sagt Anna: „Das wäre richtig geil!“ „Für uns ist das mit der Identität eigentlich nicht so ein Thema, wir machen ja einfach nur Musik“, fügt Nina hinzu.
Oft geht es auch um das Thema, dass die beiden als Frauen elektronische Musik machen. Anna erzählt, dass Leute früher ganz überrascht darauf reagiert hätten, dass sie ihre Beats selber produziert. Heute sei auch das weniger geworden. Sie wisse aber auch nicht, ob die Leute jetzt mehr Respekt hätten, weil sie älter ist als damals oder weil die Situation in der elektronischen Musikszene tatsächlich diverser geworden ist und mehr Frauen aktiv Musik machen. Dass sie eine Band sind, die aus zwei Frauen besteht, sei ein größeres Thema als Annas Herkunft, sagen beide. „Das wird immer erwähnt“, sagt Nina. „Und ich frage mich, ob wir denn Feministinnen sein müssen, nur weil wir Frauen sind.“ „Sind wir aber schon!“, wirft Anna sofort ein. Sie gucken sich an. „Ja, kommt drauf an, wie man Feminismus definiert“, fügt Anna hinzu. Es gefällt beiden, dass sie Vorbilder sein können, insbesondere für andere Frauen, die sonst nicht viele andere Frauen insbesondere in der elektronischen Musik sehen.
Bei einem sind sich beide einig: Beide wollen mit uon viele Konzerte spielen und die Menschen im Publikum trotz aller Unterschiede zumindest bei ihren Auftritten zu einer Gemeinschaft werden lassen. „Wir wollen Zusammenhalt herstellen, eine Community, deshalb ist es für uns eigentlich das Wichtigste, Konzerte zu spielen“, sagt Nina und Anna nickt zustimmend. Wir freuen uns darauf, Catharsis bald auf den Clubbühnen zu sehen.
Aktuelles Album: Catharsis. Digital auf Spotify, SoundCloud und iTunes
Weitere Infos unter uon.com
Text: Bilke Schnibbe Foto: Adrian Zwicker