„Ich sehe mich selbst nicht als Frau, eher irgendwo zwischen den Geschlechtern.“
Nachdem Sängerin Jana Hunter 2010 zusammen mit drei Musikern die Band LOWER DENS gegründet hat, ist sie musikalisch längst da angekommen, wo sie sich wohlfühlt. Musikredakteurin Christiane Falk hat mit Frontfrau Jana über den Findungsprozess gesprochen.
CHRISTIANE FALK: Jana, ich möchte Dich mit zwei Aussagen von einem der wichtigsten Deutschen konfrontieren: Helmut Schmidt war von 1974 bis 1982 Bundeskanzler, er ist mit 96 gestorben. Schmidt hat gesagt: „Willen braucht man. Und Zigaretten“.
Jana Hunter: Eine interessante Auswahl. Es sagt sicher viel über ihn aus. Ihm scheint Loyalität und Familie wichtig zu sein. Aber Zigaretten? Die lassen einen ja eher leiden im Leben. Hat er bis am Ende geraucht? Wirklich? Na ja, dann macht die Auswahl Sinn, dann haben sie ihn ja nicht getötet (lacht). Ich habe viele Jahre geraucht, aber habe aufgehört.
CF: In der Krise beweist sich der Charakter.
JH: Ja, diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Die Leute reden immer viel, bis sie etwas wirklich persönlich betrifft. Es ist mutig, dass ein Politiker so was sagt, denn die meisten nehmen in einer Krise ihre Beine in die Hand und rennen los. Weil sie gar keine Ahnung haben, wie sie eine Krise lösen können. Das ist typisch für unsere moderne Gesellschaft. Wir alle sind selten gezwungen, mal eine richtig unbequeme, grausame Entscheidung zu treffen. Meistens ist unser Leben komplett durchformatiert.
CF: Es ist schon eine ganze Weile her, dass du als Solokünstlerin unterwegs warst, bevor Du mit einer Band auf die Bühne gegangen bist. Für mich wirken Deine heutigen Texte viel persönlicher und direkter als die früheren. Dennoch hast Du Dich damals wohl nicht so wohl gefühlt vor Publikum. Woran lag das?
JH: Ich wollte in meinen Texten damals nicht so offen und persönlich werden, sie waren undurchsichtiger. Ich habe mich dem Publikum damals relativ schutzlos ausgeliefert gefühlt, das waren ja oft Räume, die so klein waren, dass man jedes Gesicht sehen und jeden atmen hören konnte. Dieser Art von Musik hätte in größeren Clubs nicht funktioniert, ich habe erkannt, dass ich meine Musik ändern muss, wenn ich sie mit einer größeren Anzahl von Menschen teilen möchte.
CF: Möchtest Du dabei eher unterhaltend sein als früher?
JH: Nein. Wenn ich eines nie sein möchte, dann eine Entertainerin. Weil es die Leute davon abhält, die Realität zu erleben. Ich möchte sie mit der Wahrheit konfrontieren, damit wer sie sind. Oft leben wir ein flaches Leben, wir interagieren nicht richtig miteinander. Meine Konzerte sollen ein Ort sein, an dem man sich fallen lassen kann, Barrieren wegfallen und man sich spürt.
CF: Wie wichtig ist dir denn dann dein Outfit auf der Bühne?
JH: (Überlegt) Ich habe wohl noch nie so richtig drüber nachgedacht, ob meine Kleidung irgendetwas mitteilen soll, aber ich mag sie herb und einfach. Vermutlich, weil ich möchte, dass die Leute die Blicke auf mich richten, sie dabei aber nicht abgehalten werden, auf meinen Gesang und die Bewegungen zu achten.
CF: An deinem Beispiel ist mir wieder mal aufgefallen, dass ich Leute oft anhand ihres Stils, ihrer Frisur oder ihres Musikgeschmacks einordne. Nicht, dass ich es will, es passiert ganz automatisch. Bei dir wusste ich damals sofort: Ok, diese Frau steht auf Frauen. Nervt Dich das?
JH: Nein, ich betrachte es erst mal als guten Ausgangspunkt, ein Gespräch zu starten. Ich mache das ja auch, man kann es nicht verhindern. Nur versuche ich, von Zeit zu Zeit dagegen anzukämpfen. Ich sehe mich selbst nicht als Frau, eher irgendwo zwischen den Geschlechtern. In wen ich mich verliebt habe, hatte auch nie primär mit dem Geschlecht zu tun, ich habe verschiedene gedated.
CF: Wie empfindest du es, dass sich selbst innerhalb der Schwulen- und Lesbenszene häufig kleine Gruppen bilden, die die anderen nicht dabei haben wollen?
JH: Ich bin lange genug auf diesem Planeten, um dieses Verlangen zu verstehen. Diese Menschen möchten sich sicher fühlen innerhalb ihrer Community. Ich finde aber beeindruckend, wie die junge, queere Generation auf vielen verschiedenen Gebieten eine Offenheit vorantreibt. Die Älteren haben sich wohl tatsächlich eher in traditionellen Gruppen aufgehalten, wo Lesben und Schwule getrennt waren.
Interview: Christiane Falk Foto: Frank Hamilton
Dieses Interview ist erstmals in LIBERTINE 01 #Freiheit erschienen und wurde aktualisiert.