KAPITEL
04 Embrace

Eine Ode an die Selbstliebe

Embrace ist viel mehr als ein Dokumentarfilm gegen Body-Shaming. Die Geschichte von Taryn Brumfitt ermutigt zur Selbstliebe und -annahme. Sie macht deutlich, dass unsere Körper keine Schmuckstücke sein sollten, sondern vielmehr Instrumente.

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Nur am 11. Mai deutschlandweit in den Kinos zu sehen, zog Embrace massenhaft Menschen an, die die Geschichte von Taryn Brumfitt und ihre aufsehenerregende Umkehrung eines Vorher-Nachher-Bildes sehen wollten. Im Vorfeld hatte Taryn statt des typischen „Ich bin zu dick und schau, jetzt bin ich dünn“-Bildes ein „Ich war dünn und schau, jetzt bin ich dick und glücklich“-Bild veröffentlicht. Das Bild ging um die Welt und Taryn bekam von unzähligen Frauen die Frage gestellt: „How did you learn to love your body?“ Letztendlich beschließt sie, um die Welt zu reisen und verschiedene Frauen und ihre Geschichten vorzustellen. Eine an Anorexie leidende Frau, eine die Diversität des Körperbildes ablichtende Fotografin und die deutsche Schauspielerin und Mitproduzentin Nora Tschirner. Da ist ein mutiger Schönheitschirurg, der sehr trocken an Brumfitts Körper zeigt, was er – laut dem gesellschaftlichen Durchschnittskörper – an ihrem verändern würde.  Das einprägsamste Bild des Filmes allerdings sind die Frauen auf der Straße, die ihren Körper beschreiben sollen: „not perfect“, „too fat“, „disgusting“ fallen häufig.

Es gibt so unendlich viel Wichtigeres!

Body-Shaming ist ein kleines und großes Problem zugleich: „Du bist so süß!“ hat jedes Mädchen, jede Frau schon mal gehört. Und wird damit automatisch auf ihr Äußeres reduziert. Viele Menschen sind in der Lage, Sätze wie diesen abzuwinken und nicht ernst zu nehmen. Sie filtern die mediale Bilderflut bewusst oder gehen ihr so gut es geht aus dem Weg. Fakt ist allerdings, wie auch im Film erwähnt, dass sich zahlreiche 10 bis 15-jährige Mädchen regelmäßig einer Diät unterziehen. Fakt ist auch, dass es Websites gibt, die sie in diesem Unterfangen unterstützen. Pro-Ana und Pro-Mia, Plattformen die pro Magersucht (Anorexia nervosa) und pro Bulimie (Bulimia nervosa) sind, geben ihren Leser*innen Tipps, wie sie möglichst schnell und effektiv abnehmen können. Es gibt die 10 Gebote der Pro-Anorexia „Bewegung“, unterstützende WhatsApp Gruppen und Internetseiten mit mehr als 300.000 Aufrufen. Genau an dieser Stelle wird Body-Shaming zum großen Problem.

„Thin is healthy, fat is unhealthy.“

Schönheit ist medial so verzerrt, das 45% der Frauen mit gesundem Gewicht denken, sie seien übergewichtig. Uns wird noch immer vermittelt, dünne Menschen wären gesünder als dicke Menschen. So verschiebt sich ein allgemeines Gesundheitsbewusstsein in eine oftmals völlig falsche Richtung. Wie kommen wir dazu? Wie kommt es, dass die meisten in der westlichen Welt lebenden Frauen mit ihrem Körper so unzufrieden sind, dass sie den größten Markt für Diätprodukte darstellen? Dass sie weinend vor dem Spiegel stehen, nur wegen weniger straffen Körperregionen oder einer nicht dem vermeintlichen Idealbild entsprechenden Vulva? Es gibt so unendlich viel Wichtigeres, dass sich das Thema leicht ignorieren lässt. Doch es gibt einen entscheidenden Vorteil: Es gibt so wahnsinnig viele von uns! Und glücklicherweise ist die Zeit gekommen, in der sich die Präsenz der Vulva, die Diversität von Körperbildern und vor allem das darüber Sprechen, langsam normalisiert.

„You have to be hot at every age, at every stage.“

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Uns umgibt eine Leistungsgesellschaft, die ständig Selbstoptimierung fordert: der Job, unser Essverhalten, unsere sexuelle Ausrichtung oder eben unser Körper. Haare an Stellen, an denen sie nicht zu sein haben, fehlende Muskeln wo sie längst hätten entstehen sollen, Lidfalten, um möglichst europäisch auszusehen, Zähne aus der Zahnpasta Werbung, operierte Vulven wie sie typische Geschlechtsabbildungen zeigen. Wir sind defizitorientiert. Wir vergleichen uns gegenseitig und uns selbst bewerten wir dabei wohl am härtesten, aber was passiert, wenn das Vergleichsbild eigentlich nicht existiert? Ein Lauf im Hamsterrad, das keinen wirklichen Ausgang hat, wenn man einmal drin ist. Vor allem aber dreht es sich nur in eine einzige Richtung. Es sollte aber nicht nur diese eine Richtung geben.

Warum also sollte ich Embrace sehen?

„Das ist aber doch nichts Neues“, wurde mir entgegnet. Es hätte schon Filme gegeben, die Body-Shaming thematisieren. Ja, die gibt es. Doch Kinoverfilmungen mit der Stimme und der Aufmerksamkeitsspanne, die dieser Film hat, gibt es leider nicht. Körpergefühl entsteht durch ein Körperbild. Was aber, wenn uns nur ein bestimmtes Körperbild präsentiert wird, das uns vorgaukelt, es wäre das Idealbild, weil kein anderes gezeigt wird? „Changing body images starts with sharing stories“, so Taryn Brumfitt in Embrace und für die knappe Zeit der Filmbotschaft sind es viele Geschichten.

Deshalb reicht es nicht aus, nur den Film zu sehen. Auch wenn er viele Geschichten zeigt, sind es nicht genug. Und da noch mehr Geschichten den Rahmen des Films sprengen würden, ist es wichtig auch auf Parallelen zu achten: Die Body-Positivity-Bewegung ist nicht neu. Nur Embrace, als Teil dieser Bewegung bekommt insbesondere durch die deutsche Schauspielerin und Mitproduzentin Nora Tschirner gegenwärtig besonders viel Aufmerksamkeit. Zahlreiche feministische Kollektive, Aktivist*innen und Künstler*innen widmen sich dem Thema Anti-Body-Shaming, für ein vielfältigeres und bewusstes Körperbild, schon länger.

Es ist ein gelungener Anfang. Der nächste Schritt ist, Verantwortung zu übernehmen. Ständig die Schuld den Medien zuzuschreiben, ist heuchlerisch. Das Problem ist letztendlich die Gesellschaft. Unsere Gesellschaft, die zur Problemzone wird, weil sie dir vorgibt, Problemzonen zu haben. Und doch hat letztendlich jede die Wahl: ihren Körper, sich selbst, im Sein zu lieben, anzunehmen und der Bilderflut zu entgehen, oder sich dem Druck der Gesellschaft, dem Druck und Bild der Medien zu unterwerfen.

Embrace ist ab dem 18. Mai auf DVD erhältlich.

Text: Rebecca Heinzelmann Fotos: Majestic Filmverleih GmbH