Individualität und Vielfalt statt Genderschubladen
Laurence Philomène porträtiert ihre Freund*innen, wie sie idealerweise gesehen werden wollen. Ihre erste Einzelausstellung „Non-Binary Portraits“ kuratiert von Curated by Girls in den coGalleries widmet sie der Vielfalt Trans- und nicht-binärer Individuen, die noch immer nicht genug Präsenz in Gesellschaft und Kunstwelt haben.
Flora, Lux, Benjamin und Billy fixieren die Blicke des Betrachtenden und folgen dir durch den Raum. Sie lachen, sie träumen, sind nachdenklich oder ernst. Private Strukturen werden mit dem Wunsch nach individueller Präsenz geöffnet, jede*r lädt dich in eine eigene Welt der Selbstbestimmung ein. Denn Gender ist durchaus politisch. Schubladen und Stempel sind nicht wichtig, wenn man sich von den ständigen Zwängen, alles und jeden definieren zu müssen, befreit.
„How do you want to be presented?“
Es ist mehr ein Kennenlern-Event, gerahmt in eine Ausstellungsszene. Billy, Benjamin und Co. konnten sich aussuchen wie Laurence Philomène sie ablichtet. Sie selbst haben ihr eigenes Bild von sich in der Gesellschaft steuern können und erzählen, wer sie sind: Flora, die besessen ist von Elfen und einen blumigen Namen trägt, sieht sich mit Blumen und feenhaften, fidelen Zügen in Pastellfarben. Lux hingegen will einen Goth-Look, aber in einer farbenfrohen Variante, Rufina einen sehr femininen, soften Auftritt. Rochelle, die sich gerade in Island aufhält, wollte einen Shoot ganz in Gelb, Kiki eine Pfeil-und-Bogen Szene. Während Hobbes sich in tomboy-lesbischen Skateboard Vibes ohne Skateboard zeigt, erscheint Ciara in einem traumhaften Glitzer-Look ohne Augenkontakt und Nat hält eine tätowierte Beschreibung in die Kamera: „No girls. No boys. No nothing.“
„When you do not feel represented, then you start doing it yourself!”
Laurence hört ihnen zu, fragt, wie es ihnen geht und gibt ihnen einen Raum, wo vorher kaum Freiraum war. Ihr Ziel ist es, ihre Modelle aus einer möglichst außenstehenden Perspektive zu fotografieren. Alle sollten sich wiedererkennen können, sich repräsentiert fühlen. „Sag mir dein Pronomen – wie möchtest du dich vorstellen?“ Alle Portraits sind betitelt mit den jeweiligen Personalpronomen, die die Protagonisten für sich selbst benutzen – wie sie idealerweise angesprochen werden wollen. Durch die Ausstellung verlassen Laurence und ihre Freunde einmal mehr die Blase des Nicht-Binären und zeigen sich öffentlich, unterstützen sich gegenseitig – und kämpfen für Akzeptanz.
„Maybe we actually can be artists, maybe we can do this!“
Das Spiel mit Gender begegnet Laurence auf dem College, als sie das erste Mal einen Mann fotografiert. Es entsteht die Serie „Feminine Identities“. Mit dem Konzept von Feminität und Maskulinität spielend, überträgt sie Urbilder der Feminität auf eher maskuline Menschen. Damals sah sie noch keine politische Idee darin und ignorierte Fragen nach queeren Existenzen. Später, innerhalb des Coven Collective, das feministische Künstler zusammenbringt, beginnt sie, intensiver mit und über Feminismus zu arbeiten. Mit der Camp Gallery, einer Pop-up Galerie, die Laurence für einen Monat eröffnete und ihren Fokus auf junge, queere, nicht-binäre Künstler*innen legte, war die Basis für „Non-Binary Portraits“ geschaffen.
„So I just made it happen.“
Die Portraits der Serie sind ästhetisch und farblich aufeinander abgestimmt. Kaum dunkle, düstere Farben, alles strahlt. Lebhaft dynamische Ausdrücke empfangen den Besuchenden und heißen ihn Willkommen in einer gesteuert idealen Welt, die vor Gelassenheit trotzt. Zu großen Teilen auf Augenhöhe, mal mit leichter Auf- oder Untersicht, rasterhaft, in strengem, geometrischen Schema, gelingt kuratorisch das Prinzip der Community-based Art: Sie mobilisiert, kommuniziert, feuert Gespräche an. Community-based Art entsteht mit der Absicht, durch und mit einer bestimmten Gemeinschaft eine breite Debatte auszulösen, ihre Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und dem Ziel der Entwicklung eines gesellschaftlichen Wandels. Seit den 60ern ist sie künstlerische Ausdruckform sozialer Bewegungen, um in öffentlichen Räumen einen sozialen Wandel sichtbar zu machen.
„What do I want to see out there, that is not present yet?“
Raum für Vielfalt – gegenwärtig ein sehr präsentes Thema, das weiß auch Laurence, die zunächst nicht bewusst mit den „Non-Binary Portraits“ startete. Die Idee ist zwar verwurzelt in einem zufälligen Vorschlag, doch sie erkennt, dass es für eben dieses Sujet überhaupt keinen ernsthaften Platz in der Kunstwelt, vor allem aber in unserer Gesellschaft gibt, in der physische und psychische Angriffe auf nicht-binäre Menschen keine Seltenheit sind. Das geschlechterbinäre System hat den Kunstmarkt fest im Griff, doch auch wenn sich Laurences Portraits ganz gut verkaufen und sie in ihrem Heimatland Kanada medial sehr präsent ist, wird sie nicht ernst genommen.
„I’m here!“
Was sie sich wünscht? Ihre Models nicht nur mit ihrer Zeit und Energie bezahlen zu müssen. Nicht mehr nur die queere Fotografin zu sein, sondern auf professioneller Ebene sichtbarer zu werden. Laurence wünscht sich auch eine weniger Geschlechterbetonte Sprache, inspiriert von dem in Schweden eingeführten, geschlechtsneutralen Personalpronomen „Hen“ und einen Umzug. Zurzeit lebt Laurence in Montréal, wo die Kunstszene zwar lebendig ist, mit vielen Musikern, Illustratoren und weniger zahlreich vertretenen Fotografen, doch sobald diese eine Chance haben, größer zu werden, ziehen sie weg. Sie sieht sich selbst zukünftig in London.
„I think pink is for everyone!“
Die Ausstellung in den coGalleries ist bis zum 30. Mai von Montag bis Freitag von 10.00 – 18.00h geöffnet.
Text: Rebecca Heinzelmann Fotos: Laurence Philomène