Frauen in Myanmar: Mit Musik Raum und Sichtbarkeit erobern
Myanmar – Man denkt an unendliche Tempellandschaften und goldene Pagoden, Betelnüsse kauende Männer, deren Münder durch die Droge blutrot verfärbt sind, an Frauen und Kinder mit kunstvoll aufgetragener Paste aus Thanaka-Rinde im Gesicht. Doch Myanmar beeindruckt auch auf ganz andere Weise: als Gesellschaft im Wandel, in der eine Aktivistin nach Jahren des Widerstands gegen die Militärregierung nun die Geschicke des Landes lenkt und in der sich Frauen mehr und mehr einen Platz im öffentlichen Leben erkämpfen. So auch Heraid Castillo, die mit ihrer feministischen Initiative BOSSYxx dazu beiträgt, Musikerinnen empowert und die Gleichberechtigung im burmesischen Musik-Business fördert.
In den letzten Jahren machte Myanmar – allgemeinsprachlich oft als Birma oder Burma bekannt – vor allem durch die Politik international Schlagzeilen: In vielen Teilen des früheren Burma wird weiterhin gekämpft. Gleichzeitig sind Hoffnung, Wandel und Öffnung überall zu spüren, besonders seit 2010 der Arrest von Aung San Suu Kyi, Myanmars berühmtester Tochter, endlich aufgehoben wurde. Insgesamt 15 Jahre durfte die Friedensnobelpreisträgerin, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzt, ihr Haus nicht verlassen.
Ein Land im Wandel: Von Simkarten und fairen Wahlen
Der südostasiatische Staat war unter einer Militärdiktatur jahrzehntelang quasi komplett isoliert. „Wir hatten keinen Zugang nach draußen. Wir wussten nicht, was in dieser Welt passiert“, erzählt mir eine Einheimische, „Simkarten beispielsweise kosteten auch 2010 noch 1500 US-Dollar. Sie waren ein Statussymbol.“ Nur die Reichen, meist das Militär, hätten sie sich leisten können. „Das waren irre Zeiten“, schiebt sie nach. Unter der Militärregierung, die das Land mehr als 50 Jahre regierte, wurde Myanmar zu einem der ärmsten Länder der Welt.
Im Jahr 2010 begann dann ein Öffnungsprozess, der mit den ersten demokratischen Wahlen seit Jahrzehnten 2015 seinen Höhepunkt erreichte. Die Partei von Aung San Suu Kyi holte einen überwältigenden Wahlsieg ein. Heute leitet „the Lady“ als Staatsberaterin quasi die Regierung des Landes. Präsidentin darf sie nicht werden, die Verfassung verbietet es ihr.
Myanmar ist also ein Land im Wandel. Im politischen Sinne spricht man von drei Formen: von Konflikt zu Frieden, von Militärdiktatur zu Demokratie und vom geschlossenen zum offenen Wirtschaftssystem. In Yangon, der größten Stadt des Landes mit ihren mehr als fünf Millionen Einwohner*innen, spürt man diesen Wandel vielerorts. Die Simkarten sind nur ein Beispiel; jetzt sind sie für eine Hand voll Kyats zu haben. Ein anderes die Taxi-App Uber, die es seit Juli gibt. Fast wöchentlich öffnen trendige neue Cafés, Bars und Restaurants – im Mahlzeit lässt es sich bereits deftig Deutsch speisen.
Eine kulturelle Revolution: Von Internet und Spätzle
Doch mit der Öffnung des Landes kamen nicht nur Kloß, Spezi und Spätzle nach Myanmar, sondern auch der Zugang zu Informationen. Seit weniger als fünf Jahren gibt es erschwingliches und flächendeckendes Internet. „Sogar die Bauern in den entlegensten Gebieten haben nun Facebook“, erklärt eine Bekannte, „da findet eine kulturelle Revolution statt.“ 2010 noch besaß lediglich 1 % der Bevölkerung ein Mobiltelefon. Fünf Jahre später waren es knapp 76 %. Es kamen auch immer mehr Einwander*innen, um in Myanmar ihr Glück zu suchen; diese Menschen brachten ihre Ideen mit.
Eine von ihnen ist Heraid Castillo. Geboren in Venezuela, aufgewachsen in den USA, lebte sie längere Zeit in Südkorea. Nun hat es sie nach Myanmar verschlagen. Die 25-Jährige sagt, sie habe sich in das „goldene Land“ verliebt. An den Wochenenden findet man Heraid normalerweise in den Bars der Stadt, die sie aktuell ihre Heimat nennt. Vor allem Live-Musik hat es ihr angetan. Doch eine Sache brachte sie zum Stutzen: Auf der Bühne sah sie fast ausschließlich Künstler. Keine Frauen. Das mag typisch sein für ein patriarchales Land, das lange Zeit von Offizieren regiert wurde. Und tatsächlich gibt es in Myanmar in keinem Bereich des öffentlichen Lebens Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern – weder in der Wirtschaft oder in der Politik noch vor dem Gesetz. Aber so muss es ja nicht bleiben, dachte sich Heraid.
BOSSYxx war geboren: Frauen auf die Bühne!
Heraid (Foto) gründete im vergangenen April gemeinsam mit Kelsey Atwood BOSSYxx. BOSSYxx, das ist eine feministische Musikinitiative und Online-Plattform, die Musikerinnen in Myanmar und Südostasien fördert. Damit will BOSSYxx gegen das Geschlechterungleichgewicht in der Musikindustrie vorgehen. „Und um junge Frauen und alle die, die sich als solche identifizieren, durch Vorbilder für Musik zu begeistern“, fügt Heraid hinzu. BOSSYxx bringt Künstlerinnen auf die Bühne und vergibt Stipendien an junge Frauen, damit sie in Yangon Musik studieren können. Frauen auf der Bühne? Das soll zur Normalität werden.
Heraid und das BOSSYxx-Team veranstalten deshalb Events. Ein erster Gig fand bereits im Juli statt und war ein voller Erfolg: Knapp 250 Leute kamen. An diesem Abend waren 70 % der Musiker*innen Frauen. Die erste Band des Abends war Platform. Begeistert von der Idee hinter BOSSYxx hatten die beiden Frontfrauen Heraid kontaktiert, als sie von der Initiative erfuhren. Danach betrat Youn Ni Ko die Bühne, deren tätowierten Arme ein täglicher Akt des Widerstandes sind. Mit ihrer Gitarre, ihren selbst komponierten Songs und ihrer gewaltigen Stimme zog sie das Publikum in den Bann.
Auch Gabriel und Tu standen an dem Abend auf der Bühne. Tu performte ihre düstere und kantige Single „False Constellations“. Gabriel gab Songs ihrer neuen EP „Addiction“ zum Besten. Dabei holte sie Freund*innen auf die Bühne, die sie musikalisch unterstützten. So auch Tu, die Gabriels Gesang durch die Gitarre begleitete. Gabriels Musik ist jazzig und ihre Single „Tonight“ verführerisch. Die Nacht endete mit dem Headline-Act Jelly Rocket aus Bangkok: Ein weibliches Indie- und Elektropop-Trio, das das Publikum mit seinen englischen und thailändischen Songs und Rhythmen zum Mitsingen und Schwitzen brachte. „Es war großartig, eine empowernde Stimmung“, erinnert sich Tu. Solch eine Show, bei der die Mehrheit der Musiker*innen weiblich war, hatte Yangon zuvor wohl noch nicht gesehen.
Nichts für Frauen
„Das liegt daran, dass die Menschen in Myanmar denken, Frauen sollten keine Musikerinnen werden“, erklärt Tu. „Gut aussehen und gehorsam sein, das wird von Frauen erwartet.“ So war es auch bei Tu. Schon als Kind begeisterte sie sich für die Gitarre. Doch ihre Eltern respektierten ihren Wunsch, eine musikalische Laufbahn einzuschlagen, nicht. Die heute 21-Jährige wuchs im Shan-Staat im Nordosten des Landes auf. Ihre Familie ist sehr konservativ. Immer wieder kam es zum Streit zwischen Tu und ihren Eltern. Als sie es nicht mehr länger aushielt, lief sie fort und kam nach Yangon. Dort traf sie Gabriel, ebenfalls Musikerin aus Leidenschaft. Das war vor zwei Jahren.
Die beiden 21-Jährigen sind dankbar für BOSSYxx. Es sei die einzige Plattform dieser Art. „Die burmesische Gesellschaft denkt, Männer sind mehr wert als Frauen. Das wird uns von klein auf so vermittelt“, erzählt Gabriel, „doch dank des Internets wissen wir nun, dass dies nicht normal ist.“ In anderen Teilen der Welt, so ihr Eindruck, würden Frauen besser behandelt. Das fordern die beiden Musikerinnen auch. Und sie wollen anderen ein Vorbild sein: „Wir wollen, dass alle Musikerinnen ihrer Karriere nachgehen können“, sagen sie. „Viel mehr junge Frauen sollten gegen die unfaire Behandlung aufbegehren!”
Auf in den Kampf
Und so kämpfen Heraid, Tu und Gabriel weiter. Für Akzeptanz, für ihre Entscheidung, Musik machen zu wollen, und für Gleichberechtigung in Myanmar. Zu einer Zeit des rapiden Wandels. Wenn alles möglich zu sein scheint, aber nichts selbstverständlich ist. Denn auch eine Frau an der Spitze des Landes bedeutet nicht, dass alle Frauen im Land gleichberechtigt behandelt werden. Nicht in Myanmar und auch in sonst keinem Land. Und so bleibt nur zu kämpfen übrig.
Weitere Infos: Facebook.com/bossyconcerts & Instagram: @bossyconcerts
Text und Bilder: Kristina Lunz