KAPITEL
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Sologamie – Feministischer Narzissmus?

Im weißen Kleid vor dem Traualtar sich das Ja-Wort geben – das geht auch ohne Partner*in. Sologamie ist nicht neu, doch sie findet wieder neue Beachtung. 1993 gab sich die Amerikanerin Linda Baker als erste Sologamistin bekannt. Vor einigen Jahren folgte ihr Viktoria Secret Model Adriana Lima, und auch Sängerin Lizzo heiratet sich – zumindest in ihrem Video zu „Truth Hurts“ – selbst. Neben Trends von Achtsamkeit und Selbstliebe, scheint sie wie der Punkt auf dem i. Es sind fast ausschließlich Frauen, die die symbolische Ehe mit sich eingehen. Ein Zeichen, ihrem all die Jahre aufopferischen und selbstlosen Image ein Ende zu setzen? Kritiker nennen es einen „traurigen Trend“. Die Bilder der Selbstheirat zeigen alles andere als betrübte Gesichter. Therapie oder Zeremonie? 

Jedes Jahrzehnt bringt so seine Trends hervor. In den 1960er Jahren, schien mit der sexuellen Befreiung, Polyamorie die Lösung auf (fast) alle Probleme. Monogam, das waren meine und wahrscheinlich deine Großeltern. Die Ehe hatte zu ihrer Zeit auch noch einen anderen Status beziehungsweise eine andere Notwendigkeit. Heute ist sie keine Schutz- und Ordnungsgemeinschaft mehr, sondern die angeblich tiefste Bindung der Liebe, Familie und Treue. Dabei ist Treue eine Lüge wie die Zeit sagt. 90 Prozent aller Männer und drei Viertel aller Frauen sind in ihrem Leben schon einmal fremdgegangen. Die Scheidungsrate liegt in vielen europäischen Ländern bei über 50 Prozent. Der Mensch sei von Natur aus nicht monogam. Aber Polygamie beziehungsweise Polyamorie läuft doch auch nicht so richtig rund, unterhält man sich darüber im Freundeskreis. Die meisten können es ja nicht mal gedanklich in Erwägung ziehen, seine*n Partner*in mit jemand anderes zu teilen. Kompliziert mit den Liebes-Beziehungen war es wahrscheinlich schon immer.

Noch nie war unsere Gesellschaft individualistischer und freier als heute. Noch nie waren wir vernetzter und kommunikativer. Und trotzdem sind die Medien voll von Studien und Selbstbekenntnissen, dass wir uns noch nie unentschlossener und einsamer gefühlt haben. Das kapitalistische Credo: „Schneller, höher, weiter“, hat uns alle auseinander getrieben und zu Gegnern gemacht. Das hat man jetzt erkannt. Die neue Generation fordert (natürlich auf Englisch): „Slow, Shared und Sustainable“. Achtsamkeit, Selbstverwirklichung und mehr Verbundenheit mit der Natur und seinen Mitmenschen halten wieder Einzug. Das löst nicht unbedingt die Beziehungsfrage. Neben Patchwork- und Regenbogen-Familien, möchten jetzt auch alleinstehende Frauen mehr Anerkennung und mit der Scham rund um das Single-Dasein aufräumen und versprechen sich in guten wie in schlechten Zeiten zu ehren mit all dem Tamtam der dazu gehört. „Feministisch und narzisstisch“ wird der Sologamie-Trend in vielen Foren genannt.

Ich hielt mal ein Buch in den Händen mit dem provokanten Titel „Liebe dich selbst und es ist egal wen du heiratest“. Ohne es gelesen zu haben, es mir aber von Freundinnen wärmstens empfohlen wurde, habe ich schon mit dem Namen des Buches Schwierigkeiten. Es ist egal, wen du heiratest, solang du dich selbst liebst? Ich behaupte mal: Je mehr ich mich selbst liebe, desto weniger ist es egal, wen ich heirate. Nun gut, was dieses und viele andere Bücher mir ja eigentlich sagen wollen, ist: Dass die Selbstliebe über allem steht. Und schon ist wieder ein neuer Trend geboren: Sologamie. Er ist besonders in Großbritannien und den USA beliebt. Auch wenn er in Zeiten der romantischen Eheschließung erst mal so gar nicht materialistisch klingt, macht selbst hier der Kapitalismus nicht halt und man findet im Internet sämtliche Selbst-Heirats-Pakete.

Muss man, um sich selbst zu heiraten auch selbstverliebt sein? Nein, sagen Sologamistinnen. Es sei ein Symbol der Ermächtigung – Schluss mit dem Patriarchat!„Die Selbst-Ehe bedeutet das Singledasein so richtig zu genießen. Es ist eine gerechtfertigte Wahl des eigenen Lebensstils”, erklärt die 38-jährige Susie Tennon aus Brighton, die sich vor vor kurzem das Ja-Wort gab. Für Frauen, meistens über 30, die damit zu kämpfen haben, scheinbar nur das wert zu sein, was ihr Beziehungsstatus über sie aussagt, ist die Selbst-Heirat ein Akt der Rebellion. Ist sie das? Kritiker sagen: Sologamie sei egozentrisch, selbstverliebt oder überzogener Feminismus. Wie reine Eitelkeit kommt es mir nicht vor. Ein wenig Hashtag-Feminismus steckt wahrscheinlich dahinter. Von einer Umkehrung patriarchaler Strukturen kann man auch nicht wirklich sprechen – denn dann würde es auch Männer geben, die sich selbst heiraten. Aber warum sollten sie das tun? Unter Männern ist es durchaus anerkannter Single zu sein. Oft verbindet man mit dem ledigen Mann einen gewissen Status der Freiheit. Der alleinstehenden Frau unterstellt man häufig (vor allem wenn sie anfängt auf die 40 zuzugehen), unfreiwillig in dieser Lage zu stecken. Viele Frauen schämen sich für ihr Single-Dasein meinen Sologamistinnen und wollen mit dieser Misere aufräumen.

Selbstliebe ist wichtig – sehr sogar. Und Kultur lebt von Symbolen. Aber mir selbst den Ring anzustecken, mich von meinem Vater zum Traualtar führen zu lassen, wo dann ich auf mich warte und „Ja ich will“ zu mir sage? Ich finde das milde gesagt durchaus gewöhnungsbedürftig. Feministisch ist es auch nicht, auch wenn es Toleranz und Liebe zu dir selbst ausdrücken soll, die Feministinnen natürlich auch für sich selbst propagieren, so geht es im Feminismus doch um andere Ziele. Narzisstisch? Narzissmus wird als krankhafte Liebe zu sich Selbst definiert. Oft spricht man von Persönlichkeitsstörung, die dem/der Narzisst*in selbst meist nicht auffällt.

Sologamie ist also weder wirklich feministisch noch narzisstisch. Die Selbst-Heirat mag im Kern etwas Positives, im Sinne der mit-sich-glücklichen-Frau, meinen, wirkt in seiner tatsächlichen Ausführung aber etwas nach Trotz-Aktionismus. Denn wer eine Hochzeit zur Selbstzelebrierung wählt, wirft unweigerlich die Frage auf, ob er/sie alleine wirklich glücklich ist oder sich doch nur einer gesellschaftlichen Norm unterwirft. Selbst wenn die Ehe in vielen Ländern nicht mehr derselben Funktion wie damals  unterliegt, spielt sie eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Partnerschaften, die nicht in diese gesellschaftliche Norm passen, werden – im unterschiedlichen Maße –  ausgegrenzt, diskriminiert oder wirtschaftlich benachteiligt. Sologamistinnen stehen allein für den romantischen Aspekt der Ehe vor dem Altar, denn um wirkliche Gleichstellung vor dem Staat geht es ihnen nicht.

Ja zu sich zu sagen, das ist toll. Für alle! Sich in 10 Jahren mit sich selbst auf seinem Hochzeitsvideo tanzen sehen – ich bin mir nicht sicher, wie toll das dann wirklich ist.

Text: Miriam Galler Foto: Illustration mariage © Corps