Svenja Flaßpöhler, #metoo und das Patriarchat
Wie ein langatmiger Beschwerdebrief an die Begründerinnen des sogenannten Hashtag-Feminismus – so liest sich die jüngst erschienene Streitschrift „Die potente Frau“ der Chefredakteurin des Philosophie Magazins, Svenja Flaßpöhler. Mit Hashtag-Feministinnen – ein offensichtlich unpräziser Neologismus – sind all jene gemeint, die sich an den Twitterkampagnen #aufschrei, #neinheißtnein und jüngst an #MeToo beteiligten und, folgt man Svenja Flaßpöhlers Theorie, Frauen in einem Opferstatus gefangen halten.
Die Autorin ist der Meinung, dass all diese #MeToo twitternden Frauen (und auch Männer, von denen jedoch in ihrem Buch nicht die Rede ist) sich wissentlich in eine passive, der sexuellen Potenz des Mannes untergeordnete Position begeben. Anstatt sich ein eigenes sexuelles Begehren zuzugestehen, sich aus der kulturhistorisch verankerten Rolle des „gehorsamen, gefallsuchenden Weibchens“ zu befreien, würden patriarchale Narrative zementiert. So lässt sich das dünne Buch mit dem pinken Einband treffend zusammenfassen. Was sich im ersten Moment wie ein schlechter Scherz anhört, ist purer Ernst.
Der Hashtag-Feminismus als patriarchale Fortschrittsblockade
Dies lässt sich nicht zuletzt an Flaßpöhlers Bemühungen feststellen, mit der einen oder anderen (gezwungen wirkenden) philosophischen Untermauerung ihrer verschwörungstheoretischen These wenigstens ein kleines Quäntchen Legitimation abzugewinnen: Eine Überwindung des Patriarchats als zentrales feministisches Anliegen – ein Patriarchat, das rechtlich schon längst überwunden sei und nur darauf warte, seinen letzten Atemzug zu machen – werde mit Hashtags wie #MeToo ad absurdum geführt, durch die es künstlich am Leben gehalten werde. So verschafften #MeToo und Co. den Eindruck einer strukturell angelegten sexuellen Unterdrückung aller Frauen, die in der dargestellten Form schon längst nicht mehr existiere. Die Hashtag-Feministinnen begingen alle den Fehler, einen anzüglichen Witz, eine doppeldeutige Einladung in ein schummeriges Hotelzimmer oder einen augenzwinkernden Klaps auf den Po mit tatsächlicher, Leib und Leben gefährdender Gewalt gleichzusetzen. Während Vergewaltigung die Ausnahme darstelle, würden vergleichsweise harmlose Fälle als paradigmatische Beispiele für die Allgegenwärtigkeit eines sexuellen, rein männlichen Machtgebarens erhoben. Ob sexistischer Witz oder Vergewaltigung – auf allem prange das Siegel der sexualisierten Gewalt.
Dabei sei aber ein ganz deutliches Muster zu erkennen, dass uns laut Svenja Flaßpöhler zu denken geben müsse: Die am Nasenring durch die Hashtag- und Boulevardmedienarena gezogenen Männer seien alle alt und gehörten einer Generation an, in der Dinge noch sag- und machbar waren, die heute nicht mehr im Bereich der männlichen Vorstellungskraft lägen. Misogynie sei heutzutage nicht mehr im typischen Verhaltensrepertoire von Männern der jüngeren Generationen enthalten.
Diesen Progressionen völlig zum Trotz, wehre sich der Hashtag-Feminismus gegen die Zeichen der Zeit. Anstatt Frauen dazu zu ermutigen, sich durch selbstbestimmtes Handeln in sexuell unbehaglichen Situationen aktiv zur Wehr zu setzen und nicht immer den Weg des geringsten Widerstands zu wählen, werde die Frau jedweder Verantwortung für ihr eigenes Handeln enthoben. So stellt Flaßpöhler fest: „Ich kann mich dem männlichen Wunsch, mit mir zu schlafen, in aller Regel widersetzen, ohne Gefahr zu laufen, körperliche Gewalt zu erfahren.“
Auch wenn das „Ich“ hier für eine allgemeine, weibliche Subjektposition stehen soll, erscheint diese Aussage doch wenig verallgemeinerbar. Denn: Frau Flaßpöhler ist zwar eine Frau, aber eine enorm privilegierte – sie befindet sich weder in finanzieller Not, noch ist sie eine Woman of Colour, sie ist weder von der Gunst eines Mannes abhängig – sie ist Chefredakteurin eines etablierten Magazins –, noch ist sie psychisch oder physisch beeinträchtigt.
Als wäre das nicht schon genug, geht Svenja Flaßpöhler noch einen Schritt weiter, wenn sie zu weniger Opferkult und mehr weiblicher Sexualität aufruft (ja, richtig gehört, das alles wird immer noch immer vor dem Hintergrund von #MeToo diskutiert). Der Hashtag-Feminismus reproduziere ein jahrhundertealtes Weiblichkeitsbild, in dem einer Frau qua Natur ein weibliches sexuelles Begehren aberkannt werde; sie nur als libidinöse Projektionsfläche des Mannes diene (ja, es ist schon komisch, dass all die #MeToo Opfer nicht jauchzen, wenn ein Mann sie gewalttätig an die Wand drückt). Dabei seien wir nun an dem Punkt, an dem „frau“ nun endlich aufhören könne, ihre Lust mit einem biedermeierlichen „Nein“ zu unterdrücken. An dem sie diese in voller Ebenbürtigkeit mit dem Manne frei ausleben könne und wir uns endlich den wichtigeren Dingen widmen könnten.
Schön und gut, denkt man sich an dieser Stelle – aber auch mit dieser rosafarbenen Sexbrille, die Frau Flaßpöhler offensichtlich dauerhaft trägt, bleibt sexualisierte Gewalt immer noch sexualisierte Gewalt – eine Diskussion über die weibliche Libido ist an dieser Stelle so unpassend wie ein Känguru am Nordpol.
Und wenn wir uns jetzt alle erstmal beruhigen und ganz besonnen über das Problem reden?
Nach dreißig Seiten nebulöser Anklage bekommt man langsam eine Ahnung davon, was die Autorin sich alternativ zu Hashtag-Feminismus, Rechtsreformen und viktimisierender Selbstdarstellung wünscht. Ihr Lösungsvorschlag liest sich wie ein gut gemeinter oberlehrerhafter Ratschlag, der außerhalb des Klassenzimmers jedoch nur selten praktische Anwendung findet. Kurz gesagt (ganz ohne philosophisches Mäandrieren) steht ihr der Sinn nach einer direkten Kommunikation. Weniger virtuelle Polarisierung, mehr Empathie und Einfühlungsvermögen in die Gefühls- und Erfahrungswelt meines geschlechtlichen Konterparts. Ausgehend von der Tatsache, dass Männer nun mal qua ihres Penis eine ganz andere Perspektive auf die Welt haben und diametral andere Erfahrungen machen als Frauen, ist deren Gefühls- und Erfahrungswelt ebenfalls durch ihre Vulva und ihre Gebärmutter vordefiniert. So passiert es eben, dass ein und dasselbe Ereignis aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet wird, Dinge anders gefiltert und damit auch anders wahrgenommen werden. Wer kennt nicht das altbekannte Klischee der undurchschaubaren Frau, die ihre wahren Bedürfnisse lediglich verklausuliert hervorbringen kann?
Um Männerkarrieren, Männerkarrieren sein zu lassen – sie nicht Opfer unseres situationsabhängigen Wankelmuts werden zu lassen und damit nachhaltig zu zerstören; Um Kunst und Film auch weiterhin unter dem Deckmantel der „Kunstfreiheit“ schalten und walten zu lassen, wie es ihnen gerade gut dünkt, sollten wir also aufhören, impulsive Hashtags in die Welt zu setzen. Uns zunächst einmal fragen, ob dieser (symbolische und buchstäbliche) Penis, der uns da gerade gezeigt wurde, doch eher ein Zeichen kollegialer Zuneigung als eine Form der männlichen Machtdemonstration war. Das alles hört sich an wie der Aufruf zu einer kollektiven Gruppentherapie, in der die Hälfte der Gruppe a priori am kürzeren Hebel sitzt: denen nicht geglaubt wird, die nicht erhört werden, denen aber das größere Verständnis für die Gegenseite abverlangt wird.
Ein selbstbewusster Auftritt auf der Mikro- erfordert eine gleichberechtigte Kultur auf der Makroebene
Nimmt man das übergeordnete Ziel, das der „potenten Frau“ vorausgeht, für sich, ungeachtet des Benennungskontexts, kann man Frau Flaßpöhler ohne jegliches Zähneknirschen beipflichten. Ja, es wäre wünschenswert, wenn allen Frauen unabhängig von ihrer Position im sozialen Gefüge eine aktive und positiv besetzte Sexualität zugestanden würde. Sie ihr Begehren nicht immer in Abhängigkeit zu dem des Mannes definieren müssten. Sie autonom und selbstbewusst durch die Welt spazieren könnten, ungewollte Avancen mit einer kleinen Zurechtweisung im Keim ersticken und wiederum selbst ihre Lust unmittelbar ausleben könnten, ohne dabei direkt als „Schlampe“ oder „krankhafte Nymphomanin“ abgestempelt zu werden. Das alles sind Forderungen, die wohl auch die vielbeschworenen Hashtag-Feministinnen auf der Stelle unterschreiben würden.
Problematisch wird ein solcher Aufruf aber dann, wenn von sexualisierter Gewalt die Rede ist. Denn es ist nun mal so: Wir leben noch heute in einer Kultur , in der Opfer sexualisierter Gewalt aufgrund ihres äußerlichen Erscheinungsbildes („Der Minirock war aber auch wirklich ganz schön kurz“) zu den wahren Täterinnen deklariert werden, in der es zum guten Ton gehört, hin und wieder den einen oder anderen Herrenwitz zu reißen und in der einem großen Teil der Frauen weite Teile der Öffentlichkeit immer noch systematisch verschlossen bleiben. Dafür gibt es so viele Beispiele, dass sie aufzuzählen wohl mehrere Jahre in Anspruch nehmen würde. Behauptet man vor diesem Hintergrund also, das Patriarchat könne schon längst überwunden sein, würden sich einige nicht noch vergnügt in ihren Opferrollen suhlen, anstatt sich selbst ein aktives Begehren zuzugestehen, wird hier eine Masche reproduziert, die der männlichen Dominanzkultur eine Herzensangelegenheit ist. Opfer werden verhöhnt, zu den wahren Täterinnen gemacht. Ihnen wird darüber hinaus die Fähigkeit abgesprochen, ihre eigenen sexuellen Grenzen zu kennen, diese gar willkürlich zu ziehen. Indem Männer hier zu den wahren Opfern erklärt werden, wird ein wahrhaft glorioser Tribut an das von ihr obsolet geglaubte Patriarchat gezollt.
Die Dekonstruktion einer eigentlich klar gezogenen Grenze zwischen der von Flaßpöhler genannten Verführung und sexueller Belästigung verschleiert unzählige Fälle sexualisierter Gewalt und macht sie zu einer marginalen Restkategorie. Mag der Herrenwitz von einer weit geringeren Tragweite sein als die Vergewaltigung, so transportiert er doch eine gewisse Message, die schlimmere Formen der sexualisierten Gewalt überhaupt erst ermöglicht. Es ist immer auch eine Frage, was in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gesagt und getan werden darf – welche Regeln und Normen gelten, welche Verhaltensweisen belohnt und welche sanktioniert werden. Wenn Frau Flaßpöhler also im Rahmen von #MeToo Frauen dazu aufruft, weniger Opferkult zu betreiben und eine eigene Potenz zu leben und nach außen zu signalisieren, dann trägt sie mit vollstem Elan dazu bei, dass die misogynen Machtstrukturen noch ein paar Jahrzehnte länger Bestand haben als ohnehin schon.
Daraus folgt der logische Schluss: Nicht die sogenannten Hashtag-Feministinnen sind das Problem, die uns von einer Gleichstellung der Geschlechter abhalten, sondern Frauen wie Svenja Flaßpöhler. Denn letztendlich ist es doch so: Ein selbstbewusster Auftritt, ein aktiver Widerstand, der auf Täter trifft, die es keinen Deut interessiert, ob ich gerade etwas gegen ihr übergriffiges Verhalten tue oder nicht, kann allein nur wenig ausrichten. Kann mich unter Umständen noch in eine größere Gefahr bringen. Erst wenn auf der Makroebene eine gleichberechtigte Kultur geschaffen wird, die es allen Menschen ermöglicht (egal welchen Geschlechts, egal welcher Nation, egal welchen Körpers etc.), in Frieden zu leben, können wir auf der Mikroebene ein durch und durch selbstbewusstes Verhalten an den Tag legen. Beide Ebenen sind unumwunden miteinander verschränkt. #MeToo ist in diesem Sinne ein wellenschlagender Anfang, der, auch wenn er erst als nachträglicher Akt der Ermächtigung wirken kann, einen ersten Schritt in Richtung gleichberechtigte Gesellschaft bedeutet.
Text: Lena Spickermann