KAPITEL
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Warum die romantische Liebe uns von der Liebe entfernt

Romantische Liebe gilt als höchstes Beziehungsziel. Als Erfüllung, als Heilung, als Happy End. Sie ist allgegenwärtig – in Filmen, Liedern, Werbung, Therapiegesprächen. Aber was, wenn genau sie uns von echter Nähe entfernt?

Von Kindheit an wird uns vermittelt, dass die romantisch-sexuelle Paarbeziehung – idealerweise heterosexuell und monogam – das höchste Ziel des Lebens sei. Wer sie erreicht, ist angekommen. Wer nicht, ist „Single“, „übrig geblieben“ oder gescheitert.

Aus Sicht von Beatrice Frasl ist diese Erzählung nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Denn sie ordnet alle anderen Beziehungen – Freundschaften, Wahlfamilien, platonische Bindungen – systematisch unter. Sie isoliert, vereinzelt und zwingt vor allem Frauen in dienende Rollen: als emotionale Care-Arbeiterinnen, Hausfrauen, Therapeutinnen, Sexpartnerinnen – unbezahlt und oft unsichtbar.

„Die romantische Liebe führt dazu, dass uns die Liebe abhandenkommt – all die, die nicht romantischer Natur ist.“ – Beatrice Frasl

In „Entromantisiert Euch!“ nimmt Beatrice Frasl eine Heilserzählung auseinander, die kaum je hinterfragt wird: die romantische Liebe. Dabei geht es Frasl nicht um kühlen Rationalismus, sondern um eine feministische Kritik an den strukturellen Funktionen, die romantische Liebe innerhalb patriarchaler und kapitalistischer Gesellschaften erfüllt. Pointiert zeigt sie auf, was hinter dem Mythos romantische Liebe steckt: ein patriarchales Ordnungssystem, das insbesondere heterosexuelle Frauen vereinzelt, überlastet und ausbeutet – unter dem Deckmantel von Intimität und „Schicksalsgemeinschaft“. Ihre Botschaft: Nicht weniger Liebe, sondern andere. Und ehrlicher.

Romantische Liebe macht einsam – und müde

Frasl stellt eine These auf, die auf den ersten Blick paradox wirkt: Ausgerechnet die romantische Liebe führt zur Vereinsamung. Insbesondere für Frauen. Sie wird zur zentralen Beziehung im Leben stilisiert – und mit so vielen Erwartungen aufgeladen, dass andere Bindungen zwangsläufig zu kurz kommen. Wer verliebt ist, wer „in einer Beziehung“ lebt, zieht sich häufig in eine isolierende „Duozentrik“ zurück.

Gleichzeitig dient „Liebe“ in der heterosexuellen Paarbeziehung zur moralischen Rechtfertigung für strukturelle Ungleichheit. Frasl analysiert, wie Frauen in diesen Beziehungen emotionale und körperliche Care-Arbeit leisten, den Haushalt organisieren, Konflikte moderieren, Sexualität ermöglichen, Mütterlichkeit verkörpern – und das alles meist still und gratis. Wer liebt, klagt nicht.

Romantische Liebe wird dabei zum Mythos, der weibliche Selbstaufgabe als natürliche Bestimmung verkauft. Eine ökonomische Abhängigkeit, eingekleidet in rosarote Metaphern.

Entromantisierung als Akt der Befreiung

Platonische Beziehungen, lebenslange Freundschaften, emotionale Allianzen zwischen Frauen: All diese Bindungen sind tragfähig, tief, verlässlich – aber sie zählen nicht. Nicht vor dem Gesetz, nicht in der Sprache, nicht in unseren Köpfen. Freundschaft gilt als weniger. Als „nur“.

Dabei sind es doch meist unsere Freund*innen, die bleiben, während die Partner*innen längst weiterziehen. Entsprechend leidenschaftlich plädiert Frasl für die Aufwertung platonischer Beziehungen. Wenn sie schreibt, dass viele Freund*innen unser Leben weitaus nachhaltiger prägen als flüchtige Liebesbeziehungen, trifft sie einen Nerv.

Körperliche Nähe – exklusiv für Paare?

Die meisten Singles kennen die Frage: „Aber fehlt dir nicht der Sex?“ Eine wirklich ehrliche Antwort würde wahrscheinlich lauten: Nicht der Sex, aber die körperliche Nähe. Das Problem: Körperliche Nähe gibt es im Erwachsenenalter außerhalb von Paarbeziehungen meist nur in Form von Sex.

„Körperliche Nähe ist fast nur noch über das Eintrittsticket Sex erhältlich.“
– Beatrice Frasl

Frasl zeigt, wie tief unsere Gesellschaft die Vorstellung verinnerlicht hat, dass Zärtlichkeit, Berührung, Nähe – von Umarmungen bis zum gemeinsamen Einschlafen – nur in romantisch-sexuellen Kontexten erlaubt sind.

Aus Sicht der Autorin schafft diese Reduktion emotionale Abhängigkeiten, zwingt uns in Beziehungsmodelle, nur um Nähe zu bekommen. Warum also nicht mehr Zärtlichkeit in Freundschaften? Warum nicht gegenseitige Fürsorge außerhalb des romantischen Konzepts? Diese Fragen sind nicht nur persönlich – sie sind politisch.

Der Fluch der heteroromantischen Paarbeziehung

Im zweiten Teil des Buchs nimmt sich Frasl explizit die heterosexuelle Paarbeziehung vor. Dabei beschönigt sie nicht und nennt die Dinge beim Namen: Gewalt, Ungleichheit, schlechter Sex und strukturelle Ausbeutung prägen, so ihre Analyse, den Alltag vieler Frauen in solchen Konstellationen. Besonders erschreckend: Selbst leidvolle Beziehungen werden durch die Ideologie der „großen Liebe“ verklärt und gerechtfertigt. Frauen würden sozialisiert, Liebe zu wollen – und dafür alles zu ertragen. Frasls Forderung: Die romantische Liebe muss sich der feministischen Kritik stellen – in all ihren Dimensionen.

Frasls Perspektive kann jedoch nicht nur feministisch, sondern auch queer-feministisch gelesen werden: Sie fordert ein radikales Umdenken darüber, wie wir lieben, leben und miteinander verbunden sind – jenseits der Zweierbeziehung, jenseits von Romantik, jenseits von Heteronormativität.

„Danke, nein!“ – Das Zeitalter der Postromantik

Wie entkommen wir also den Zwängen und Engen der romantischen Liebe? Im letzten Teil des Buches öffnet Frasl den Blick für Alternativen: Was wäre, wenn wir Beziehungen nicht nach ihrer sexuellen oder romantischen Komponente bewerten, sondern nach Nähe, Verlässlichkeit und Fürsorge? Was wäre, wenn Freundschaften, Wahlfamilien, solidarische Netzwerke dieselbe gesellschaftliche Anerkennung bekämen wie romantische Beziehungen? Beatrice Frasl ruft nicht dazu auf, sich von der Liebe loszusagen – sondern ihre Hierarchisierung zu überwinden.

„Ich will nicht weniger Liebe – ich will mehr. Und andere.“ – Beatrice Frasl

Die Botschaft: Wir können auf romantische Liebe verzichten – und gewinnen dabei mehr Nähe, Freiheit und Verbundenheit, als sie uns je geben konnte.

Entromantisiert euch! ist ein Buch für alle, die Liebe nicht abschaffen – sondern befreien wollen.

Text: Juliane Rump Foto: Haymon Verlag/Michael Würmer

 

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