KAPITEL
Merrie Cherry Fotografiert Von Pepper Levain

Mehr Frau? Mehr Genderspektrum!

Wenn  man wollte, könnte man Kulturstaatsministerin Grütters‘ Eröffnungsrede anlässlich der Vorstellung einer kürzlich veröffentlichten Studie zum Thema „Frauen in Kultur und Medien“ als feministisch bezeichnen – auch wenn sie in Interviews gerne betont, sie sei keine „Kampfhenne“.

Wenn man wollte, könnte man Performance-Künstlerin Cosey Fanni Tutti als Wegbereiterin des Fourth-Wave-Feminism sehen – auch wenn sie den Feminismus als zu enges Konzept ablehnt.

Wenn man wollte, könnte man „Game of Thrones“-Star Maisie Williams dafür feiern, dass sie Nicht-Feministen kurzerhand zu Sexisten erklärt – auch wenn sie Feministen lieber „normale Menschen“ nennt und somit eine ganze Bewegung beiseite wischt.

Wenn man wollte, könnte man sich einfach darüber freuen, dass diese Frauen sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen. Man könnte sich aber auch fragen, warum sie und viele andere es vorziehen, den Kampf um Gleichberechtigung ohne die Schirmherrschaft des Feminismus zu führen.  Auch wenn das hieße, sich selbst zu hinterfragen und sich einmal nicht von den leichtbekleideten Girl-Power-Konsumenten irritieren zu lassen, die ihre Freiheit einfach leben möchten und zwar ohne sich von Hinweisen auf noch immer bestehende Lücken in der Emanzipation gängeln zu lassen.

Wem wir mehr Aufmerksamkeit schenken sollten als bisher, sind diejenigen, die sich an dem Wort „Feminismus“ stören. Und zwar, weil es, mit der Penetranz aller Wörter, die auf „-ismus“ enden, sagt: Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind wesentlich. Das muss bei der Ordnung unseres Zusammenlebens berücksichtigt werden. Und zwar zugunsten der Frau. Wer das für praxisferne Wortklauberei hält, sei daran erinnert, dass sich die meisten Frauen bei generischen Maskulina wie „Mitarbeiter“ ganz praktisch nicht mitgemeint fühlen, auch wenn sie theoretisch mitgemeint sind. Warum also sollte jemand, der an die Gleichwertigkeit aller Menschen glaubt, sich von der Bezeichnung „Feminismus“ mitgemeint fühlen, wenn damit nicht ausdrücklich alle Menschen angesprochen sind?

Aus dem Argwohn gegenüber einem Feminismus, der sich in binären Kategorien ausdrückt, wird Ablehnung, wo er mit binären Kategorien argumentiert: Wer die Feminisierung der Gesellschaft begrüßt und damit meint, dass endlich auch Frauen Rechte genießen, die gestern noch Männern vorbehalten waren, darf auf die Zustimmung jedes anständigen Menschen hoffen. Wer aber die Feminisierung der Gesellschaft fordert und damit die Idealisierung angeblich weiblicher Werte meint, muss mit dem Protest all derer rechnen, die glauben, dass menschliche Werte sich wenig um das Geschlecht ihres Besitzers scheren. Es ist möglich, tendenzielle Unterschiede in der Gehirnstruktur oder dem Hormonhaushalt von Frauen und Männern anzuerkennen und trotzdem davon auszugehen, dass die Ähnlichkeiten der Geschlechter überwiegen. Glaubt man Psychologen wie Janet Hyde oder Markus Hausmann, haben die statistischen Unterschiede in den meisten Bereichen nur sehr geringe Auswirkungen. Deshalb wäre es schlichtweg absurd, das Geschlecht als Grundlage zum Beispiel für Personalentscheidungen heranzuziehen. Jedenfalls da, wo keine komplexeren Erwartungen an die Bewerber gestellt werden als bei der Suche nach Unterwäschemodels. Dass wir heute noch auf die Frauenquote angewiesen sind, um uns in die Gleichbehandlung aller Menschen hineinzutricksen, ist so offensichtlich wie traurig.

Wer immer durch die Brille schaut, die ihm mit der Erbsünde des Patriarchats  verpasst worden ist, übersieht, dass jede biologische Anlage immer auch kultureller Überformung ausgesetzt ist. Er übersieht, dass die tatsächlichen Unterschiede innerhalb eines Geschlechts größer sind als die statistischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Und dass sich nie die durchschnittlich etwas sprachbegabtere Frau oder der durchschnittlich etwas aggressivere Mann aus der Statistik auf eine Stelle bewerben, sondern immer und immer wieder ein realer Mensch.

Diejenigen, die jedem Individuum erst einmal das ganze Spektrum menschlicher Eigenschaften zutrauen wollen, werden oft der Gleichmacherei bezichtigt. Und das ironischerweise von denen, die glauben, zwei Schubladen würden ausreichen, um die genderMenschheit zu erklären. Während Geschlechtermodelle á la „Men Are from Mars, Women Are from Venus“ noch so simpel gestrickt sind, dass schon beim heimlichen Durchblättern auf dem Wühltisch klar wird, wie gehaltvoll sie sind, bringen die neuen Geschlechtsdualisten so viel Niveau mit, dass man genauer hinsehen muss, um zu verstehen, was hier eigentlich schiefläuft. John Gerzema und Michael D’Antonio zum Beispiel werden kaum Widerspruch befürchten müssen, wenn sie in ihrer „Athena Doctrine“ feststellen, dass die Menschheit bei der Lösung ihrer dringlichsten Probleme auf Eigenschaften angewiesen sein wird, die traditionell als weiblich gelten. Schön auch, dass die Autoren uns versichern, dass soziale Kompetenz deshalb aber nicht nur Frauensache sein muss. Sie distanzieren sich hin und wieder sogar ausdrücklich von starren Geschlechtszuweisungen. Schade nur, dass sie dann letztlich trotzdem an einem simplen Etikettierungssystem festhalten, das mehr über kulturelle Konditionierung aussagt als über die biologische Grundausstattung der Geschlechter. So finden sich schon im Untertitel ihres Buchs – „Warum Frauen (und Männer, die wie sie denken) in der Zukunft herrschen werden“ – die gleichen Rollenzuschreibungen, denen wir die Entstehung schiefer Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern überhaupt erst verdanken.

Wer die Feminisierung der Gesellschaft im Sinne der „Athena Doctrine“ zu Ende denkt, muss sich entsprechend mit altem Wein aus noch älteren Schläuchen begnügen: Männer könnten mit dem Segen der Gesellschaft aus dem vollen Repertoire menschlichen Verhaltens schöpfen: Der empathisch, liebevoll, geduldig und sonstwie feminisiert agierende Mann dürfte sich der Anerkennung für die Überwindung jeder von ihm erwarteten Grobheit erfreuen. Der aggressiv, rücksichtslos, egoistisch oder sonstwie prä-feminisiert agierende Mann müsste zunehmend mit Widerstand rechnen, könnte sich bei seinen Kavaliersdelikten aber nach wie vor auf seine eigentliche Natur berufen. Die Frauen, die schon sind, was sie sein müssten, dürften bleiben, wie sie sind. Die anderen sollten sich einfach mal wieder auf ihre Weiblichkeit besinnen.

Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor?

Text Lilly McCormack Titelbild Merrie Cherry fotografiert von Pepper Levain

Lilly Genderspektrum

Lilly McCormack (Foto: privat)