Mehr Frau. Mehr Frieden?
Ich erzähle Euch eine Geschichte. Sie handelt von Fußball, von plappernden Frauen und von wortwörtlich ausgesprochener Macht. Von Millionen Frauen, von Millionen Männern und von einer Betroffenheit, der sich niemand von uns entziehen kann.
Leben heißt Sprache und Sprache heißt Miteinander. Klingt richtig. Wir schlagen manchmal vor: „Ihr solltet wohl mal reden“ und wissen, dass das Gespräch vor großen Wutausbrüchen und Streit bewahren kann. Reden ist meist die Alternative zu Gewalt. Sprechen verknüpft und führt zusammen. Vermeintlich. Denn Sprache ist auch eines: Machtinstrument und täglich genutztes Gewaltwerkzeug.
Wir hauen sie weg!
Es war die Zeit der Fußball EM und das große Spiel der sportlichen Erzfeinde Deutschland und Italien stand am Abend bevor. Von Medien aller Art wurde das Ereignis immer wieder aufgegriffen. Eine Überschrift überraschte mich. „So hauen wir Italien weg!“, las ich. Dass wir wohl auch automatisch für Deutschland sein müssen, war ich von Artikeln gewöhnt und dass insbesondere in der Niederlage gegen Italien eine große Schmach bestehen würde, war auch keine neue Geschichte. Mir fiel jedoch etwas auf, was die meisten vermutlich gar nicht bemerken oder ernst nehmen würden: Die Formulierung, die Italiener wegzuhauen.
Im Sport, wo es den Beteiligten um Bestleistungen geht, wurde zumindest in Formulierungen der Akzent verlegt: Es geht zwar um das Gewinnen, um das Besser-sein, allerdings nicht minder um einem Kontext der Macht. „So hauen wir Italien heute weg!“ – Die Formulierung spricht nicht vom Sieg, sondern es geht um einen Gewaltakt: das Hauen, das Schlagen, die Oberhand in einem Zweikampf jedweder Art.
Suche ich im Wiktionary nach „schlagen“ werden mir als Synonyme „hauen, zuhauen, zustoßen“ und auch „besiegen, bezwingen, triumphieren, übertrumpfen“ empfohlen. Ein Sprachliches Relikt aus einer Zeit, in welcher der physische Gewaltakt der entscheidende Faktor war, um zu siegen.
Sprache und Versprechen, Denken und Gewalt
Worte haben eine immense Wirkung auf Menschen. Sie können rühren, trösten, zum Lachen und Weinen bringen, können konsolidieren, Ideen und Erinnerungen hervorrufen. Worte können auch beleidigen, verletzen, unterdrücken, diskriminieren, können Gewalt sein. Sprache kann bewusst und unbewusst für all das gebraucht werden. Sie ist Ankündigung, Beweggrund zum Handeln oder selbst Akt, wie z.B. ein Versprechen, das durch Aussprache bereits vollzogene Handlung ist. – Die Performativität der Sprache. Auch eine Drohung „kündigt nicht nur eine körperliche Handlung an oder verspricht sie“, schreibt Judith Butler, „sie ist selbst bereits ein körperlicher Akt, der in seiner Gestik die Umrisse der kommenden Handlung entwirft.“
Sprache ist ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis einer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Unser Sprechen spiegelt nicht nur unsere Gedanken, unsere Sprache bestimmt und determiniert auch unser Denken, denn durch sie entdecken wir die Welt, zeigen auf Gegenstände und versuchen diese zu benennen. Dies wird im Laufe des Lebens zu einer begleitenden Selbstverständlichkeit. Was wir unmerklich auch als selbstverständlich empfinden, ist die Gewaltsprache, die wir sprechen. Gewalt in Redewendungen ist so omnipräsent, dass es den meisten nicht bewusst ist: Etwas ist für uns ein ‚Schlag ins Gesicht‘, wir fühlen uns an guten Tagen ‚unschlagbar‘ oder werden ‚abgewatscht‘. Worte sind uns so vertraut, dass wir übersehen, woraus sie gebildet sind.
Die plappernde Frau, die schweigende Frau
Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrer Art zu sprechen und auch in ihrem Wesen als Konversationspartner. Studien zufolge leisten Frauen als Gesprächsteilnehmerinnen mehr konversationelle Arbeit. Sie binden ruhigere Personen in Gespräche ein, suchen Kontakt und Zugang zu Zuhörern und Gesprächsteilnehmern. Frauen verdeutlichen Inhalte tendenziell anschaulicher und sind die besseren Kommunikatoren. Das weibliche Gesprächsverhalten ist kooperativer, das männliche konfrontativer und konfliktsuchender.
Erstaunlicherweise haben es Frauen im Gespräch dennoch schwerer. Amerikanische Studien zeigen, dass sich Frauen von Männern öfter unterbrechen lassen und weniger ernst genommen werden. Die Lautstärke im Gespräch ist bei Männern deutlich höher im Vergleich zu Frauen. Männliche Rhetorik enthält mehr Vulgärsprache und häufiger Befehlsformen.
Der Redeanteil in gemischtgeschlechtlichen Konversationen liegt zu überwiegendem Teil in männlicher Hand. Das Vorurteil der plappernden Frau stimmt also nicht. Frauen werden häufiger unterbrochen und zum Schweigen gebracht. In diesen Gesprächen tendieren sie dazu, mehr Relativierungen zu nutzen: Sie seien sich „nicht ganz sicher“, sie „glauben“, nutzen oft das Wort „vielleicht“, sprechen mehr im Konjunktiv im Vergleich zu ihren männlichen Partnern. Ein Spiel der Unter- und Überlegenheit, eine Machtpositionierung in und durch Sprache, auf beiden Seiten.
Der Redeanteil in der Konversation lässt dabei auch Rückschlüsse auf die Rangordnung unter den Gesprächspartnern zu: Wer zum Schweigen gebracht oder wem kein Gehör geschenkt wird, wird auch erniedrigt. Wer nicht (aus)sprechen darf, wer stumm sein muss, dem wird die Stimme entzogen und somit auch die Wertschätzung. Wer das Wort hat, hat auch die Macht.
Gesellschaft ist, was du daraus machst – Wir sprechen wie wir denken, wir denken, weil wir sprechen?
Dabei ist gewalttätige Sprache nichts Neues, sondern ein Relikt aus Zeiten, in denen physische Kämpfe über Rangordnung und Privilegien bestimmten. Das Recht des Stärkeren, Herrscheranspruch durch Muskelkraft und List, der Stärkste Mann erwirbt die schönste Frau (natürlich auch im Kampf) – all das kennen wir noch aus Heldenepen wie der Ilias oder dem Nibelungenlied. Worte können auch Mittel der Machtdemonstration sein, können zur Unterdrückung, Verunglimpfung oder zum Spott genutzt werden. Sie können auch – etwa durch Beschimpfen, Beleidigen, Drohen – Mittel zur Selbsterhöhung sein, indem sie das Gegenüber erniedrigen. Heute ist insbesondere die Sprache des Sports angereichert mit Gewaltbegriffen.
Sprache dient der Kommunikation des Menschen. Für die Begründerin der feministischen Linguistik in Deutschland, Senta Trömel-Plötz, ist dabei ein Aspekt besonders wichtig; nämlich das Verhältnis von Sprache und Welt: „Gesellschaftliche Änderung und sprachliche Änderung, gesellschaftliches Handeln und sprachliches Handeln sind eng verwoben. Sprache ist ja eine der wichtigsten gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen wir leben.“ Sprache beschreibt nicht bloß, sie benennt und konstituiert Realität und Gesellschaft. „Mit Sprache werden gesellschaftliche Unterschiede konstruiert“, so Trömel-Plötz, „mit Sprache schaffen wir unseren Lebenszusammenhang, unsere Wirklichkeit, unsere Sicht der Welt.“
Folgt man diesem Gedanken, so determiniert unsere gewaltvolle Sprache auch unsere Realität, unsere Lebenswelt.
Damit tritt die Linguistin in die Fußstapfen von Herder und Schleiermacher, die sogar so weit gingen, das menschliche Denken selbst durch Sprache determiniert anzusehen und Sprache als Voraussetzung des Denkens zu begreifen. Wir denken nicht nur wie wir sprechen, wir denken durch das Sprechen.
Das gewalttätige Geschlecht
„Gewaltausdrücke in unserer historisch gewachsenen Sprache sind auch Ausdruck von Machtkämpfen und Machtverhältnissen in der patriarchalen Gesellschaft. Aggressives männliches Gebaren begleitet uns bis in unsere heutige Zeit. Auch Kriminalstatistiken zeichnen ein klares Bild: Die überwiegende Mehrheit der Gewalttäter und auch der Gewaltopfer sind männlich. Erklärungsversuche erschöpfen sich in biologischen, psychologischen, soziologischen Ansätzen, doch darum soll es hier nicht gehen.“
Es geht mir weniger darum, wer Opfer ist, sondern überhaupt um die Existenz von Gewalt und Kommunikationshindernissen. Es geht mir um den Täter und die Ursachen hinter den Gewalttendenzen. Wer unterbricht, wer beleidigt, wer verletzt, wer unterdrückt verbal? Und dann: Wieso?
Die falsche Form von Männlichkeit
Männliches Dominanzverhalten hat sich in den Alltag verwoben. Wir lassen die kleinen Jungen ihre Probleme klären, indem sie sich prügeln dürfen, was bei zwei raufenden Mädchen anders betrachtet wird und sind bei fluchenden Mädchen überraschter. Wir reden entschuldigend von Männern, die „nun mal so sind“, animalischer, dominanter, aggressiver, die sich Hörner abstoßen und mal Wut rauslassen müssen. Im Internet kommen die meisten Beleidigungen, aggressiven Sprechhandlungen und obszönen Aufforderungen oder Drohungen der Hater von Männern und auch das überrascht uns nicht.
Das Beispiel des sportlichen „Wir hauen sie weg“ wirkt trivial. Wir wissen, was damit gemeint ist und die Fußballspieler nicht tatsächlich vorhaben, den anderen Spielern ins Gesicht zu schlagen. Sie wollen dies metaphorisch tun und solche Aussprüche sind im Wettbewerb nicht nur üblich, sondern meist gewünscht. Sie zeigen Kampfgeist, Aggressivität, den großen Willen, all seine Kraft nutzen zu wollen. Aggressivität wird positiv bewertet.
Ich erzähle Euch eine Geschichte. Sie handelt von Fußball, von plappernden Frauen und von wortwörtlich ausgesprochener Macht. Von Millionen Frauen, von Millionen Männern und von Betroffenheit, der sich niemand von uns entziehen kann. Es ist eine Geschichte, die die Realität erzählt und die Fragen aufwirft: ob Männer eher aggressiv und gewalttätig sind und ob Aggression und Gewalt als erstrebenswert männlich gelten.
Fernab von biologischen Rechtfertigungen über den Jäger, der keiner mehr ist, zu dem Spektrum soziokultureller Erziehung. Wir werden nicht gewalttätig geboren, wir eignen uns soziale Machtbedürfnisse an, wie das Sprachsystem, durch das wir es gleichzeitig stillen und weitergeben. Die Gesellschaft sollte sich von der Kultivierung von Hierarchie und der dazugehörigen Form von „Männlichkeit“ verabschieden. Dies ist ein Hierarchieverlangen, das in vielerlei Formen der Gewalt mündet und die Gesellschaft unmerklich mit Rissen zurücklässt: und zwar eine Gesellschaft, die Ideale anerkennt, durch die sie immer wieder Schaden nimmt.
Text Janet Kinnert FOTO privat