KAPITEL

„Die Zukunft der Arbeit ist weiblich“

In der Arbeitswelt stehen massive Veränderungen an. Ausgerechnet Digitalisierung und Globalisierung führen zum Empowerment von Arbeitnehmerinnen. Das Zeitalter der Wissensarbeit wird das Zeitalter der Frauen sein, davon ist Prof. Dr. Christiane Funken, Soziologin und Autorin des Buchs „Sheconomy. Die Zukunft der Arbeit ist weiblich“, überzeugt und ermutigt Frauen, ihre spezifischen Fähigkeiten als Marktwert zu erkennen und strategisch einzusetzen.

Mae Becker: Frau Funken, als Sozialwissenschaftlerin haben Sie sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Wandel von Arbeitsprozessen beschäftigt. Welche Veränderungen zeichnen sich ab?

Christiane Funken: Momentan wandelt sich sehr viel. Vor allem Digitalisierung und Globalisierung verändern die Arbeitswelt nachhaltig, denn sie erzeugen einen enormen Wettbewerbsdruck auf die Unternehmen, die nun weltweit konkurrieren müssen. Dadurch sind sie gezwungen, von der Routinearbeit zur Wissensarbeit überzugehen. Das heißt, viele standardisierbare Arbeiten fallen weg. Dafür werden immer mehr qualifizierte Fachkräfte gebraucht.

MB: Wie sieht diese Wissensarbeit in den Unternehmen konkret aus?

CF: Den Wettbewerb können Unternehmen nur gewinnen, wenn sie ihren Kunden ganz individuelle Lösungen – Konzepte, Programme, Logistiken – anbieten. Damit verschiebt sich die Arbeitsweise in Richtung Projektarbeit. Denn die individuellen Lösungen werden nicht gefunden, indem einzelne Leute in ihren Abteilungen am Schreibtisch sitzen, sondern indem sich interdisziplinäre Teams zusammensetzen, neue Wertschöpfungsketten bilden und über Abteilungen – und manchmal auch über Unternehmensgrenzen – hinaus kooperieren.
MB: Sie argumentieren in Ihrem Buch „Sheconomy“, dass diese neue Form der Wissensarbeit große Chancen für Frauen bietet. Was macht Sie so sicher?

CF: Das interdisziplinäre Arbeiten in solchen Projekten, das mittlerweile in den Unternehmen ganz üblich ist, führt dazu, dass Mitarbeiter*innen sich permanent auf neue Themen und neue Arbeitsschritte einstellen müssen. Auch das Team, in dem sie arbeiten, ist immer wieder ein anderes. Expert*innen aus verschiedenen Fachkulturen treffen aufeinander: Da kann es passieren, dass Programmierer*innen, Techniker*innen, Germanist*innen und Wirtschaftler*innen an einem Tisch sitzen und mit ihnen die unterschiedlichen Arten, sich zu verhalten, zu sprechen, zu denken, Probleme zu lösen. Diese Art zu arbeiten erfordert neue, ganz andere Kompetenzen wie etwa Flexibilität, Kommunikationsstärke und Integrationskraft, aber auch Offenheit und Empathie. Sie müssen in der Lage sein, über den eigenen Tellerrand zu blicken und sich auf die Denke und Sprache der anderen einzulassen. Ich bin der Meinung, dass Frauen all diese Kompetenzen in besonderem Maße mitbringen.

MB: Inwiefern sind das typisch weibliche Eigenschaften?

CF: Nun, einerseits werden Frauen von klein auf dazu erzogen, empathisch zu sein, gut zuzuhören, Harmonie herzustellen. Teilweise ist das also sozialisiert. Und andererseits leben Frauen, wie Studien zeigen, noch immer weitaus häufiger als Männer mit der Doppelbelastung. Das heißt, allein schon aufgrund ihrer Lebenssituation – sie machen neben dem Beruf die Hausarbeit, übernehmen die Kinderbetreuung, pflegen die Eltern – sind Frauen geübter darin, flexible und kreative Lösungen zu finden und verschiedene Bereiche zu koordinieren und zu organisieren. Und dies sind die Eigenschaften, die die Arbeitswelt in Zukunft benötigt.

MB: Frauen können sich also in der Projektarbeit ganz besonders einbringen und ihre Stärken zeigen und sich mit Kolleg*innen vernetzen. Bringt die Wissensarbeit noch weitere Vorteile für Frauen?

CF: Die Wissensarbeit hat auch ganz starke Auswirkungen auf die Verteilung von Macht und Status in einem Unternehmen, denn durch die Projektifizierung werden alte Hierarchien massiv angekratzt. Unternehmensgrenzen werden immer brüchiger, weil immer mehr Experten punktuell von außen hereingeholt werden. Auch innerhalb der Unternehmen werden Abteilungsgrenzen überschritten. Da wird an vielen Stuhlbeinen gesägt. Wenn sich die Unternehmen so öffnen, ergeben sich neue Chancen für Frauen: um Kontakte herzustellen, ein Netzwerk aufzubauen, Informationen auszutauschen und – und das ist ganz besonders wichtig – sichtbar zu werden. Diese Chancen sollten Frauen jetzt nutzen!

MB: Können Sie mir noch etwas genauer erklären, wieso sich die Machtverteilung ändert?

CF: In den traditionellen Unternehmen gab es Abteilungsleiter, Bereichsleiter, Niederlassungsleiter. Diese Männer – es waren ja zumeist Männer – hatten Macht aufgrund der Informationen, über die sie verfügten und an die andere nicht herankamen. Aber das ändert sich jetzt. Heute sind wichtige Informationen nicht mehr nur dem Chef zugänglich, sondern auch die Angestellten können googeln und sich über Zusammenhänge schlau machen. Das schwächt die Vormachtstellung innerhalb der Arbeitshierarchie. Hinzu kommt: Die Arbeitsprozesse sind heute so komplex, dass der Chef vielen seiner Mitarbeiter unterlegen ist. Man denke nur an den IT-Bereich.

MB: Das bedeutet, die Unternehmen sind sehr stark auf ihre Mitarbeiter*innen angewiesen, während diese aber auch bei der Konkurrenz begehrt sind.

CF: Ganz genau! Heute stehen alle Arbeitnehmer*innen immer schon mit einem Bein draußen. Keine*r bleibt mehr das ganze Leben lang bei ein und derselben Firma. Das heißt konkret, Frauen werden nicht mehr nur darauf angewiesen sein, dass sich die Rolle der Männer oder das Bewusstsein der Männer ändert. Sondern die Unternehmen werden gezwungen sein, alle Fachkräfte unabhängig von ihrem Geschlecht gleichermaßen abzuholen und sie an die Unternehmen zu binden. Und die Unternehmen, die ja international mithalten wollen, begreifen das langsam. Das zeigt sich u. a. darin, dass neuerdings das Personalmanagement in die strategischen Überlegungen vieler Firmen miteinbezogen wird. Das war früher nicht so. Um die guten Leute an sich zu binden, machen Unternehmen inzwischen allerhand.

MB: Kommen wir noch einmal zu den Karrieren der Frauen zurück: Die Arbeitswelt wandelt sich also und Frauen erfüllen in besonderem Maße die Anforderungen der neuen Wissensarbeit. Trotzdem ist das Geschlechterverhältnis vor allem in höheren Ebenen der Unternehmen noch nicht ausgeglichen. Woran liegt das?

CF: Problematisch ist leider, dass die neuen Arbeitsweisen die alten hierarchischen Strukturen noch nicht abgelöst haben. In vielen Traditionsunternehmen sitzen bestimmte Menschen mit einer bestimmten Vorstellung von Macht an den Schaltstellen und die wollen ihre Macht natürlich behalten. Dort stoßen Frauen an die berüchtigte gläserne Decke oder sind gefangen zwischen gläsernen Wänden.

MB: In ihrem Buch beschreiben Sie diese Prozesse genau und machen Frauen Mut, sich auf die Herausforderungen einzulassen. Welche Empfehlungen haben Sie für junge Frauen?

CF: Auf jeden Fall die, dass sie den Wandel nicht verpassen und das Feld nicht ihren männlichen Kollegen überlassen sollten. Momentan sind Frauen für die Erfordernisse der Wissensarbeit am besten aufgestellt. Wer hier gute Arbeit leistet, das Projekt voranbringt, Leute zusammenhält, vermittelt, Konflikte stemmt, Übersetzungsarbeit leistet – kurz: wer die Bereiche einbringt, in denen Frauen momentan noch begabter sind – hat eine große Chance, das Verhältnis zur Macht zu ändern. Sie sollten Mut haben und stärker an sich glauben. Auch das, was sie über ihre Erziehung mitbekommen haben, sollten sie viel mehr als Marktwert erkennen und strategischer einsetzen.

MB: Kann es auch helfen, sich Verbündete zu suchen?

CF: Ja, ich empfehle das Netzwerken. Wenn man in einem Unternehmen gegen Mauern läuft, hält man das für ein individuelles Problem und gibt sich vielleicht selbst die Schuld am Scheitern. In Frauennetzwerken stellt man dann fest, dass viele andere das Gleiche erleben. Das entindiviualisiert, schärft den Blick für strukturelle Probleme und stärkt das Selbstbewusstsein. Und das ist wichtig!

MB: Wie wichtig ist die Performance für den beruflichen Erfolg?

CF: Sich verkaufen zu können ist bereits im Bewerbungsgespräch wichtig. Gerade weil die Vorgesetzten häufig die Arbeit ihrer Angestellten nicht mehr nachvollziehen können, verlassen sie sich auf den ersten Eindruck. Ein Entscheider, der eine*n Spezialist*in aus einem Bereich einstellen muss, von dem er keine Ahnung hat, verlässt sich auf das Auftreten. Ist die Person überzeugend? Passt sie in mein Team? Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit kommt aus der Begegnung. Männer sind hier oft selbstbewusster als Frauen. Auch im Meeting oder bei der Vorstellung der Projektarbeit neigen Frauen dazu, in der Wir-Form zu sprechen und die Gesamtleistung des Teams zu loben. Männer hingegen sagen „Ich“ und betonen ihre Eigenleistung.

MB: Sie meinen jetzt aber nicht, dass Frauen die Profilierung von Männern imitieren sollen, oder?

CF: Eine Sache vorweg: Hinter vielem, was in den Unternehmen geschieht, steht ‚männliches Denken‘. Und das haben die männlichen Vorgesetzten und die männlichen Kollegen gemein. Klar, dass Männer da erfolgreicher sind, denn die Maßstäbe sind oft von Männern für Männer gemacht. In meinen Untersuchungen habe ich beispielsweise herausgefunden, dass Männer wesentlich strategischer agieren als Frauen. Sie denken häufig hierarchischer, finden heraus, wer in einer Gruppe das Sagen hat und bedienen dann nur diese Person. Das haben sie schon als Kinder gelernt. Frauen hingegen machen das nicht und werden in der Folge oft im Meeting nicht gehört. Jetzt sage ich natürlich nicht, das sei gut. Aber ich habe das Buch geschrieben, weil es wichtig ist, zu wissen, dass es diese Strukturen gibt und wie sie funktionieren. Ich bin nicht dafür, dass die Frauen die Männer kopieren, aber ich bin dafür, dass Frauen wissen, wie es in den Unternehmen abläuft und ihre eigenen Stärken und Schwächen reflektieren, um dann die Stärken zu stärken und die Schwächen abzuschwächen.

MB: Zum Glück, denn eigentlich muss es doch schließlich darum gehen, die Machtverhältnisse so zu verändern, dass alle mitgestalten können, oder?

CF: Innerhalb der Unternehmen dreht sich viel um Machtausbau und Machterhalt. Es geht immer nur um Sieger und Verlierer, um Strategien, in denen die Ellbogen eingesetzt und unlautere Mittel gebraucht werden. Diese Form von Macht ist etwas, das viele Frauen nicht wollen. Und auch nicht kopieren müssen. Denn ‚Macht‘ kann mit Hannah Arendt auch anders definiert werden. Dann heißt ‚Macht‘ auch, gemeinsam mit anderen aufgrund von Überzeugungen und in gemeinsamen Aushandlungsprozessen zu gestalten. Und das ist eine Form von Macht, die Frauen sich sehr wohl zu eigen machen sollten. Nämlich indem sie kommunizieren, sich einmischen, sich Verbündete schaffen, netzwerken und indem sie immer wieder klar machen, dass sie am Aufstieg interessiert sind.

MB: Wie wird ihrer Meinung nach das Unternehmen der Zukunft aussehen?

CF: Macht sollte auf eine sozialverträgliche und kommunikative Weise genutzt werden, die ein Empowerment der Beschäftigten zulässt. Wahrscheinlich wird das vollkommen demokratische, hierarchiefreie Unternehmen ein Traum bleiben. Aber es gibt heute schon einige Unternehmen, die vieles richtig machen. Sie ermöglichen beispielsweise flexible Arbeitszeitmodelle, Lebenszeitkonten oder Homeoffice. Oft zählt bei der Einstellung schon nicht mehr nur der lückenlose Lebenslauf, der Frauen (und besonders Mütter) häufig benachteiligt. Das sind alles schon richtige und wichtige Schritte in Richtung Demokratisierung der Unternehmen.

MB: Wir haben schon oft gehört, jetzt sei das Zeitalter der Frauen gekommen, doch noch nie war es da. Provokant gefragt: Was macht Sie so sicher, dass die Arbeitswelt in Zukunft sehr viel weiblicher sein wird?

CF: Das alles sind nicht nur die Schreibtischthesen einer gelangweilten Wissenschaftlerin (lacht). Der Umbruch ist da! Und zwar auf mehreren Ebenen: Nicht nur die Unternehmen und die Arbeitsprozesse wandeln sich, sondern auch das Verhältnis der Menschen zur Arbeit: Die Berufswelt akademisiert sich, immer mehr junge Leute haben heute Abitur oder eine fundierte Fachausbildung. Und damit wandelt sich auch der Anspruch an die Arbeit. Die neue Generation will nicht mehr nur irgendeinen Broterwerb, nein, sie will hinter ihrer Arbeit stehen können und das heißt sinnvoller, nachhaltiger, sozialverträglicher arbeiten. Gleichzeitig soll der Beruf sie auch zufriedener machen. Hinzu kommt ein Wandel im Geschlechterverhältnis – zwar langsam, aber sukzessive. Aus neusten Untersuchungen wissen wir: Frauen wollen mehr arbeiten, Männer wollen weniger arbeiten. Dass es im Moment immer noch anders ist, dass Männer immer weiter arbeiten, nicht in Teilzeit gehen oder nur zwei Monate Elternzeit nehmen, hat rein ökonomische Gründe – und beide Geschlechter sind extrem unzufrieden damit. Auch auf diesen Entwicklungen werden die Unternehmen reagieren müssen, wenn sie ihre Mitarbeiter*innen nicht verlieren wollen.
Diese historisch noch nie dagewesenen Wandelprozesse – in den Arbeitsprozessen, im Verhältnis zur Arbeit und im Geschlechterverhältnis – greifen ineinander und stützen sich gegenseitig. Und das offene Zeitfenster, in dem der Wandel stattfindet, dürfen Frauen nicht verstreichen lassen, sondern sie müssen jetzt zupacken. Wir wollen ja, dass sich die Machtverhältnisse ändern, dass sie gleichberechtigt von Männern und Frauen gestaltet werden, um so die Unternehmen sozialverträglicher und nachhaltiger und inklusiver zu machen. Wann, wenn nicht jetzt?!

Passend zum Thema laden wir am 16.11. zum Libertine Business Meetup #digital ein – kommt vorbei!

Sheconomy von Christiane Funken

Prof. Dr. Christiane Funken leitet als Soziologin das Fachgebiet für Kommunikations- und Medienforschung sowie für Geschlechtersoziologie an der TU Berlin. In ihrer Forschung interessiert sie sich vor allem für praxisrelevante Themen. Als Expertin die Kommunikations-, Arbeits- und Netzwerkprozesse der Zukunft beschäftigt sie sich auch mit den Netzwerken und Karrieren von (Führungs-)Frauen. In ihrem neusten Buch Sheconomy. Die Zukunft der Arbeit ist weiblich, das 2016 im Bertelsmann-Verlag erschienen ist, erklärt sie, welche Strukturen und Muster Frauen beruflich noch immer zurückhalten und macht ihnen Mut, die eigene Karriere selbstbewusster anzugehen.

Interview: Mae Becker Foto: Gudrun Petersen