KAPITEL
A Beautiful Low Angle Shot Of A Female Waving Red And Blue Flag

Das „B“ in LGBTQI* – bye bye, Mysterium

Kaum eine andere sexuelle Orientierung hat so sehr mit hartnäckigen Vorurteilen und gleichzeitiger Unsichtbarkeit zu kämpfen wie Bisexualität. Obgleich es das Thema immer öfter in die Mainstream-Medien schafft und die Narrative vielschichtiger werden, bleibt der Aufklärungsbedarf groß – nicht nur in der Hetero-Mehrheitsgesellschaft. So müssen sich Bisexuelle auch in queeren Kreisen nach wie vor regelmäßig rechtfertigen und sich
ihre Daseinsberechtigung immer wieder aufs Neue erobern.

Als ich mich mit 16 Jahren als bisexuell outete, hatte ich bis dahin nicht gewusst, dass es Bisexualität gibt – Bisexualität verwende ich in diesem Artikel übrigens als umbrella term für alle sexuelle Orientierungen, die nicht nur auf ein Geschlecht gerichtet sind, also für alle Menschen, die nicht monosexuell sind. Erst durch eine Freundin und eine Google-Suche stieß ich darauf. Als Outing hätte ich diese Mitteilung damals selbst aber nicht bezeichnet.

Heute weiß ich, wie wenig bisexuelle Menschen geoutet sind und dass sie oft darunter leiden, nicht ernst genommen zu werden. Outing war für mich damals etwas, das homosexuelle Menschen machten. Dass es eine Welt abseits von Cis-Geschlechtlichkeit und Binarität gab, wusste ich dank meines schlechten Sexualkundeunterrichts natürlich auch nicht. Und dass es grundsätzlich problematisch ist, dass Menschen sich überhaupt outen „müssen“, ebenso wenig. Ich dachte einfach nur, dass Outing auf mich nicht zuträfe. Ich war ja nur halb queer. Ich dürfe das nicht für mich beanspruchen. Ich hatte also schon zu diesem Zeitpunkt Bi-Feindlichkeit internalisiert. Ist ja eh nur eine Phase, wurde mir direkt gesagt.

Inzwischen halte ich seit ein paar Jahren Vorträge zur Unsichtbarkeit und Diskriminierung von Bisexuellen und dabei kommt auch immer wieder die Frage auf, was man dagegen tun könne – als Betroffene wie auch als Hetero- oder Homo-Allies. Zweifelsfrei eine wichtige, aber gleichzeitig nicht leicht zu beantwortende Frage, da es sich bei Bi-Feindlichkeit natürlich auch um eine tief strukturell verankerte Problematik handelt. Nur wer das Problem durchschaut hat, kann sich Lösungen überlegen.

Seit einiger Zeit gibt es glücklicherweise immer mal wieder Artikel – auch in jungen Mainstream-Medien – zum Thema „Unsichtbarkeit und Diskriminierung“ von Bisexuellen. Artikel, die die vielen Probleme beschreiben, mit denen wir bisexuellen Menschen zu kämpfen haben. Das Hauptproblem: Bisexualität kann man nicht „performen“. Sieht man zwei als Frauen gelesene Personen Händchen halten, gelten sie als lesbisch. Sind es zwei als Männer gelesene Personen, die sich küssen, gelten sie als schwul. Geht man nach diesem Schema, dann wäre Bisexualität nur dann sichtbar, wenn Bisexuelle gleichzeitig mit unterschiedlichen Geschlechtern interagieren, z. B. zu dritt Händchen halten oder sich abwechselnd küssen würden. Aber das wäre dann ja direkt das nächste Klischee: dass sie gierig, untreu oder, freundlich ausgedrückt, einvernehmlich nicht-monogam sind. So oder so, einfach nicht in der Lage, monogame Beziehungen zu führen, weil sie den ganzen Tag nur an Sex denken und Dreier haben (wollen). Mit all diesen Vorurteilen sind Bisexuelle auch an ihrem Arbeitsplatz konfrontiert, wie eine Studie des Instituts für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung aufzeigt.

Dadurch, dass Bisexualität oft geleugnet, unsichtbar gemacht, hypersexualisiert und stigmatisiert wird – sowohl innerhalb als auch außerhalb von queeren Kreisen –, leiden Bisexuelle, verglichen mit hetero- und homosexuellen Menschen, in höherem Maße an Depressionen, Angststörungen und Suizidalität. Das zeigt beispielsweise der Canadian Community Health Survey. Bei bisexuellen Frauen ist der Wert am höchsten. Misogynie scheint in vielerlei Hinsicht durch die intersektionale Überschneidung der Diskriminierungsformen bei bisexuellen Frauen ein Maximum zu erreichen. Für bisexuelle Frauen ist die Gefahr, von (cis-männlicher) partnerschaftlicher Gewalt betroffen zu sein, nochmal höher als für heterosexuelle Frauen, so unter anderem eine Studie vom „National Center for Injury Prevention and Control“ in den USA. Diese Fakten lassen einen erstmal geschockt zurück. Zumindest ging es mir so, als ich sie zum ersten Mal hörte.

Anzuerkennen, dass es Bisexualität gibt und es sich bei ihr um eine vollständige Orientierung handelt, denke ich, ist der erste notwendige Schritt, um etwas zu verändern. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, anzuerkennen, dass es eine bi-spezifische Diskriminierung und deren Folgen gibt, die sich von Homo-Feindlichkeit unterscheiden. Natürlich heißt das nicht, dass nicht auch einige Aspekte auf bi- und homosexuelle Menschen gleichermaßen zutreffen oder einander beeinflussen. Aber erst wenn man spezifische Bi-Feindlichkeit anerkennt, kann man auch etwas dagegen tun.

Sich zum Beispiel dafür einsetzen, dass die Belange von bisexuellen Menschen in queeren Kontexten nicht an den Rand gedrängt werden – obwohl sie seit jeher in der Community stark engagiert sind. Als Beispiel sei Brenda Howard genannt, die vielen leider nahezu unbekannt geblieben, unsichtbar gemacht worden ist. Ein Beispiel: Förderungsgelder gehen nur selten in bi-spezifische Projekte. Beratungsangebote richten sich häufig nur an lesbische und schwule Menschen. Und das, obwohl Bisexuelle – so betont die Menschenrechtskommission in San Francisco in einem Report – mehr als die Hälfte der queeren Bevölkerung ausmachen.

Auch an Forschung zum Thema mangelt es in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum, weshalb die wenigen Studien, die es gibt, meist aus anderen Ländern stammen. Es wäre schon viel damit getan, wenn in deutschsprachiger Forschung LGBTQI* nicht als ein einheitliches Element erforscht würde, sondern in seinen einzelnen Bestandteilen. Besonders zwischen homosexuell und bisexuell wird oft nicht unterschieden, sondern nur zwischen binärem Geschlecht, sodass die Unterschiede nicht sichtbar gemacht werden können, die Ergebnisse der Bisexuellen die der Homosexuellen beeinflussen und damit keine der beiden Gruppen richtig abgebildet ist.

Auch Sprache kann viel bewirken. Bisexualität wird sprachlich sehr oft unsichtbar gemacht, indem sie schlicht nicht genannt wird. Klar, in LGBTQI* ist ein B, aber ausgesprochen wird es selten. Stattdessen sind bisexuelle Menschen „mitgemeint“, wenn es um die Belange von homosexuellen Menschen geht. Die Ehe für alle beispielsweise. Wenn sie dann auch so genannt wird, super, viel zu oft wird sie aber auch Homo-Ehe genannt.

Grundsätzlich werden Paare und sexuelle Praktiken noch viel zu oft danach bezeichnet, welche Geschlechter bzw. cis-geschlechtlich gedacht, welche Genitalien vorkommen. Haben zwei Menschen mit Vulva Sex, wird er lesbischer Sex genannt. Sex hat aber keine sexuelle Orientierung. Nur Menschen, die ihn haben, haben eine.

Eine Sache noch: Gebt Bisexuellen nicht das Gefühl, dass sie ihre sexuelle Orientierung beweisen, beispielsweise zu einer gewissen Quote mit unterschiedlichen Geschlechtern geschlafen haben müssen. Hinterfragt sie nicht ständig und tragt damit zu dem Rechtfertigungszwang bei, dem sie ausgesetzt sind.

Letztendlich sollten wir Queers uns bewusst machen, dass wir mit dem Heteropatriarchat alle den gleichen Feind haben. All die Missverständnisse und Unstimmigkeiten unter uns werden dadurch hervorgerufen, dass wir im Heteropatriarchat sozialisiert sind. Wenn wir etwas verändern wollen, dann können wir das aber nur zusammen und nicht allein und gegeneinander.

Über die Autorin: Melina Seiler spricht und schreibt als Bi-Aktivistin, Journalistin, Podcasterin und Autorin regelmäßig zu gesellschaftlicher Vielfalt – Feminismus, LGBTQIA+ sowie Diversitätsbewusstsein.

Buchempfehlung: Bi: Notes for a bisexual revolution von Shiri Eisner

Große Töchter Podcastfolge: Renate Baumgartner über Bisexualität und Bifeindlichkeit

Jedes Jahr im März findet der Bisexual Health Awareness Month statt, also der Monat, in dem auf bisexuelle Gesundheit aufmerksam gemacht werden soll.

Text Melina Seiler Foto Wirestock