KAPITEL
Lesbi1

Da passt kein Rollenmodell – Heteronormen und lesbische Beziehungen

Manche Dinge ändern sich nie. Zum Beispiel das Chaos in der Liebe und die Vorstellung, andere Beziehungskonstellationen funktionieren viel besser als die eigene. Wie oft wünschen sich Frauen in heterosexuellen Beziehungen nach einem ausgiebigen Streit mit dem Partner, Frauen lieben zu können – dann sei ja alles einfacher und man würde sich naturgemäß besser verstehen. Solche Wünsche entspringen offensichtlich der Vermutung, unter Frauen würden sicherlich viele Missverständnisse, Kommunikationsschwierigkeiten und unterschiedliche Erwartungen wegfallen.

Führen Frauen miteinander tendenziell die harmonischeren Beziehungen als heterosexuelle Paare? Eine Vorstellung, mit der man häufig konfrontiert wird. Letztlich ist Liebe doch etwas sehr individuelles – heterosexuelle und lesbische Beziehungen mögen vielleicht sehr unterschiedlich sein, aber kann man hier tatsächlich von einem Besser oder Schlechter ausgehen? Ich wollte es genauer wissen und fing an, zu dem Thema zu recherchieren. Ein mühsames Unterfangen, denn offensichtlich hat das Thema keine große Priorität in der Forschung. Mit wenigen Ausnahmen und so stieß ich auf Ines Nadrowski. Die studierte Sexualwissenschaftlerin hat sich im Zuge ihrer Masterarbeit ausgiebig mit Beziehungsdynamiken in lesbischen Beziehungen befasst. Ein vernachlässigtes Thema, das immer wieder der Heteronorm anheimfällt. So richten sich alle einschlägigen Beziehungsratgeber größtenteils an heterosexuelle Paare und negieren damit gravierende Unterschiede. Für Ines Nadrowski ein ausschlaggebender Grund, dies zu ändern. Denn – eigentlich logisch – natürlich haben auch homosexuelle Paare ihre Probleme, auch wenn diese etwas anders aussehen als in heterosexuellen Beziehungen.

Für ihre Forschung befragte Ines Nadrowski fünf lesbische Frauen der jüngeren (U30) und älteren Generation (Ü50) zu Erfahrungen in ihren aktuellen und vergangenen Beziehungen – es ergab sich ein differenziertes Bild, das in vielerlei Hinsicht nicht mit heteronormativen Vorstellungen zu vereinen ist.

Lena Spickermann: Liebe Ines, was war der entscheidende Impuls für deine Masterarbeit zu Beziehungsdynamiken in lesbischen Beziehungen?

Ines Nadrowski: Während meines Studiums haben wir uns ein Semester nur dem Thema Paartherapie sowie Paar-und Sexualberatung gewidmet. Ich fand die unterschiedlich entstehenden Dynamiken in Paarbeziehungen unglaublich spannend, merkte aber schnell, dass sowohl in der allgemeinen Literatur als auch in wissenschaftlichen Debatten heterosexuelle Beziehungen eine Blaupause für alle Formen von Partnerschaften bilden. Viele Dinge, die ich in meinen Beziehungen und in meinem Freund*innen- und Bekanntenkreis erfuhr, waren in diesen Darlegungen häufig nicht wiederzufinden. Für mich ein Ansporn, die Beziehungserfahrungen und -vorstellungen von Frauenpaaren zu untersuchen. Eine solche Arbeit läuft allerdings Gefahr, neue Kategorien und damit auch neue Stereotype zu schaffen. Trotzdem hielt ich diese Untersuchung für wichtig, um nicht weiterhin in Literatur und Debatten heterosexuellen Maßstäben unterworfen zu werden. Meine Ergebnisse sind natürlich nicht zu pauschalisieren. So habe ich mit meiner Befragung hauptsächlich Informationen über weiße, sich als lesbisch definierende Cis-Frauen der Mittelschicht erwerben können.

LS: Und jetzt mal ganz profan gefragt – wodurch unterscheiden sich lesbische von heterosexuellen Beziehungen?

IN: Da sind vor allem drei entscheidende Unterschiede zu nennen. Zunächst gibt es in lesbischen Beziehungen keine binär konstituierte, heterosexuelle Geschlechterdifferenz. Vor allem in der Pop- und Fernsehkultur ist exemplarisch zu beobachten, wie bestimmte geschlechtskonforme Bedingungen erfüllt werden müssen, damit sich die Protagonist*innen als „richtiger“ Mann oder als „richtige“ Frau fühlen und dementsprechend auch vom anderen Geschlecht begehrt werden können. Derartige genderkonforme Automatismen sind in lesbischen und schwulen Beziehungen nicht vertreten. Eine zweite Differenz zu heterosexuellen Beziehungen bildet die Tatsache, dass sich in lesbischen Partnerschaften zwei von der Gesellschaft als Frauen gesehene und/oder sozialisierte Menschen befinden. Letztlich werden lesbische Beziehungen, im Gegensatz zu heterosexuellen Pendants, diskriminiert. Beispiele sind hier immer noch das eingeschränkte Adoptionsrecht oder auch die Tatsache, dass sich immer dreimal überlegt werden muss, Liebesbekundungen öffentlich zu zeigen.
LS: Wird denn ein Wegfall von gendergerechten Rollenzuweisungen in lesbischen Beziehung als Erleichterung erfahren oder wird dies eher belastend erlebt?

IN: Der Wegfall von binär-heterosexuellen Geschlechterrollen wurde von allen Befragten als erleichternd und befreiend empfunden. Damit wurden Gefühle einer authentischen Lebensführung, der befreiten Auslebung eigener Identität und der Geborgenheit verbunden. Es wird dementsprechend eine klare Differenzierung zu heterosexuellen Beziehungsmodellen geäußert. Dennoch darf hier nicht der Trugschluss entstehen, lesbische Beziehungen seien rollen-, norm- und hierarchiebefreit. Diese entziehen sich aber binären Normen.

LS: Und konntest du herausfinden, ob kleinbürgerliche, bipolare Beziehungsmodelle (gemeinsamer Haushalt, Gründung einer gemeinsamen Wirtschaftsgemeinschaft, Kinderkriegen) mit zunehmenden rechtlichen Möglichkeiten ein Vorbild für lesbische Beziehungen bilden?

IN: Man nennt die von dir genannten Aspekte auch Schwellenwendepunkte. Das sind einschneidende Punkte im Laufe einer Beziehung, wie eben Sexualität, Zusammenziehen, Heiraten und Kinderkriegen. Bis auf das gemeinsame Zusammenziehen waren diese Punkte für Lesben und Schwule lange nicht möglich; dies ändert sich aber seit einigen Jahren schrittweise in Richtung einer weiteren Öffnung. Die von mir Befragten der älteren Generation stammen aus einem lesbisch-feministischen Kontext. Sie lehnen eine Übernahme dieser eigentlich heteronormativen Beziehungsaspekte dementsprechend explizit und mit politischer Aktivität ab. Die jüngeren Interviewpartnerinnen meiner Forschung orientieren sich hingegen stark an diesen richtungsweisenden Beziehungspfeilern. Sie sind in eine partielle Legalisierung der Schwellenwendepunkte und eine wachsende gesamtgesellschaftliche Akzeptanz hineingewachsen, sind aber dennoch nicht vor rechtlichen, gesellschaftlichen und familiären Unsicherheiten und Diskriminierungen gefeit. Daraus ergibt sich, meiner Ansicht nach, ein Bedürfnis zur Anpassung an bestehende Normen und der Wunsch als Paar normal zu erscheinen. In meiner Untersuchung stellte sich heraus, dass gerade Kinder mit dem Thema eines normalen Lebens verbunden werden. Die Ü50-Generation assoziierte mit Kindern größtenteils eine negative Rückkoppelung an normale Lebensstandards, von denen sie sich eigentlich distanzieren wollten. Die jüngeren Befragten fühlten sich aufgrund der Diskriminierung, der lesbische Paare mit Kinderwunsch ausgesetzt sind, ihrer Normalität beraubt, glaubten zum Teil auch, nicht normal genug zu sein, um ein Kind großzuziehen. Umgekehrt sind sie – zum Teil auch seitens der älteren Lesben – der Kritik ausgesetzt, zu normal zu leben und sich an heteronormativen Modellen zu orientieren. Dieser beidseitige Normalisierungsdruck kann der Beziehung und ihrem weiteren Verlauf schaden. Auch in Partnerschaften meiner älteren Interviewpartnerinnen existieren Schwellenwendepunkte, die sich aber von den bereits genannten deutlich unterscheiden. Dazu zählen z.B. das Wohnen in einer WG oder das Arbeiten an einem gemeinsamen politischen Projekt.
LS: Wie steht es mit der Behauptung, in lesbischen Beziehungen würde mehr über die Beziehung und damit verbundene Aspekte kommuniziert als in heterosexuellen Beziehungen, da durch das Fehlen von Maßstäben weniger als selbstverständlich angenommen werden könne? Bestätigte sich das in deiner Forschung?

IN: Da steckt ein Wahrheitsgehalt drin. Der Stellenwert von Sexualität in der Beziehung ist ein großes Verhandlungsthema. Alle Befragten der U30-Generation berichteten, dass eine der Partnerinnen höhere Erwartungen an die Frequenz sexueller Aktivität hat als die andere. Obwohl in lesbischen Beziehungen die Häufigkeit von sexuellem Kontakt niedriger ist als bei Lesbi2heterosexuellen Paaren, ist die Orgasmusfrequenz wesentlich höher. Grund dafür könnte die regelmäßige Kommunikation über Sexualität und individuelle Bedürfnisse sein. Der gemeinsame Auftritt als Paar in familiären Kontexten ist auch nicht selbstverständlich. Vielmehr werden in der jüngeren Generation meiner Untersuchung vorab gemeinsame Absprachen getroffen, wie viel Nähe den Familien gegenüber geäußert werden darf. Es ergab sich außerdem, dass in den meisten Beziehungen bereits nach einem halben Jahr über Zukunftsperspektiven gesprochen wird. Dies erkläre ich mir ebenso durch die Sonderposition, die lesbische Beziehungen noch heute einnehmen, und damit einhergehende Unsicherheiten durch fehlende Orientierungsmaßstäbe, wie sie z.B. in den heteronormativen Schwellenwendepunkten vorzufinden sind. Monogamie wird vor allem in der älteren Generation verhandelt, in der jüngeren Generation wird diese vorausgesetzt. Das Verständnis von Monogamie stellte sich aber, meiner Befragung zufolge, flexibler dar, als man es aus dem heteronormativen Kontext kennt.

LS: Du hast in deiner Arbeit auch von der besonderen Rolle von Freundschaften in lesbischen Beziehungen gesprochen. Welchen Einfluss haben andere lesbische Paare und Exfreund*innen auf die Beziehung?

IN: Freundschaft wird in der nicht heterosexuellen Welt anders gelebt. So zeichnen sie sich oftmals durch eine besondere Form der Nähe aus und es kann passieren, dass die Grenzen zwischen Liebe und Freundschaft verschwimmen, wenn z.B. aus einer Beziehung eine enge Freundschaft hervorgeht – oder umgekehrt. Dies war bei fast allen meinen Befragten der Fall. Das wird in so manch öffentlicher Darstellung pathologisiert und abgewertet. Ich empfinde aber das Aufrechterhalten von (Ex-)Freundschaften, auch in neuen Beziehungen, durchaus als eine Kompetenz von lesbischen Beziehungen. Sie birgt aber auch an so mancher Stelle gewisse Tücken. Eine mögliche soziologische Erklärung bietet der Sonderstatus von Homosexuellen als Minderheitengruppe. Queere Menschen müssen – oft auch infolge ihres Outings –feststellen, dass ihre Herkunftsfamilie keine zuverlässige Quelle von Stabilität und Unterstützung ist. Dies wurde vor allem in Zeiten des ersten Aufkommens von Aids deutlich. Freundschaften und Netzwerke konnten diese Lücke in vielen Fällen schließen und übernahmen damit familiäre Funktionen. Auch heutzutage werden in nicht heterosexuellen Kontexten viel höhere Ansprüche an Freundschaften gestellt als in heterosexuellen. Vor allem die Frauen der älteren Generation berichteten von sehr engen freundschaftlichen Zusammenhängen, die auch Exfreundinnen miteinschließen.

LS: Wie verhält es sich mit dem Klischee, dass Lesben schnell intensive Bindungen eingehen und dabei auch mal einige Beziehungsetappen überspringen? Dabei denke ich an diesen schlechten Witz „Was bringt eine Lesbe zum zweiten Date mit? – Einen Möbelwagen!“.

IN: Das nennt man auch U-Hauling, also das schnelle Zusammenziehen in eine gemeinsame Wohnung nach nur kurzer Zeit des Kennenlernens, und dies bestätigt sich statistisch in Mittelschichtskreisen größtenteils. Eine meiner jüngeren Befragten lebte in einer als symbiotisch zu bezeichnenden und damit sehr engmaschigen Beziehung. Das kann unter anderem als Reaktion auf Diskriminierungserfahrungen gesehen werden. Man spricht dabei von einem „two-against-a-threatening-world-posture“; eine Reaktion auf Erfahrungen mit ablehnenden Reaktionen der sozialen Umwelt. Letztlich kann dabei aber auch die weibliche Sozialisation eine Rolle spielen, die ein ausgeprägtes Bindungsverhalten befördert. Bei Cis-Frauen führt des Öfteren vor allem eine ähnliche körperliche Konstitution und ein gemeinsamer Erfahrungshorizont zu mehr Nähe. Bei den älteren meiner Interviewpartnerinnen waren Zweisamkeit und der Rückzug ambivalent besetzt. Intensive Nähe zwischen Frauen wurde einerseits zelebriert, dabei aber immer auch als ein Politikum gesehen. Andererseits gingen mit engen Beziehungen auch immer Vorstellungen des Rückzugs ins Private und einer mangelnden politischen Aktivität einher. An dieser Stelle wurde dann meist der Anschluss an politisch aktive Frauennetzwerke gesucht, um die eigene lesbische Identität auch als politisierte Botschaft auszutragen. Und was den Möbelwagenwitz betrifft, den wahrscheinlich alle Lesben-Generationen kennen: Ich sehe die Nähe in lesbischen Beziehungen als Kompetenz, die die Verbindung besonders lebenswert macht.

Interview: Lena Spickermann Fotos: Yvonne Amankwa