KAPITEL
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„Ein Feminismus-Crashkurs in Schulen sollte Standard sein“

Auf ihrer Website heißt es zur Begrüßung „Mein zweiter Roman Freiraum ist da“. Auf ihrem Instagram-Profil erfahren wir: „I am a writer. I like slow fashion and intersectional feminism.“ Und bei Twitter mediengerecht entsprechend kurz: „Feminism, writing, pizza.“ Warum schreibt die 29-jährige Svenja Gräfen, weshalb mag sie Feminismus und wieso Pizza? Die Lösung ist im Text versteckt, außer, naja, das mit der Pizza.

Wollte man wichtige Wendepunkte in Svenja Gräfens Biographie ausmachen, wären das wohl nicht – wie in Lebensläufen üblich – Einschulung, erste Liebe und Abitur, sondern viel eher Teilnahme an Poetry Slams und Versacken im Internet. Die beiden Dinge haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam: Bei Poetry Slams setzen sich die Teilnehmer*innen einer physisch präsenten Öffentlichkeit, einem anwesenden Publikum und dessen Bewertung aus. Alles ist live, Fehler werden direkt bemerkt. Das Internet ist da gnädiger: Es stellt zwar auch einen öffentlichen Raum dar, in dem man aber sehr privat in Jogginghose und mit fettigen Haaren auf der Couch abhängen kann.

Und doch waren beide Räume für Svenja auf ihre Art wichtig: In Blogs und Online-Magazinen las sich die Autorin im Schutzraum der Anonymität in feministische Themen ein und verlor nach und nach die „absurde Angst vor dem Label ‚Feminismus‘“. Endlich konnte sie das, was sie lange diffus als ungerecht empfand, auf einen Begriff bringen, ihm etwas entgegensetzen. Stereotype Geschlechterrollen und sexistische Witze, wie sie in ihrem Umfeld noch üblich waren, konnte sie nun als diese identifizieren. Und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen.

Auf den Bühnen, auf denen sie seit 2010 als Poetry-Slammerin steht, wurde ihr außerdem klar, dass sie schreiben will. Nicht nur für sich, als Flucht, wie sie es, seit sie „das Alphabet gelernt hat“, tut. Nicht unter Ausschluss, sondern in Einbezug der Öffentlichkeit und in der Vernetzung mit anderen Schriftsteller*innen.Jetzt ist Svenja Gräfen als feministische Schriftstellerin und literarische Feministin aktiv und bringt sich ein: Künstlerisch, auf Bühnen, auf Podien und im Netz, sie leitet Schreib-Workshops für Jugendliche und hat vor zwei Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht. Das Rauschen in unseren Köpfen heißt es und handelt vom Nichtgelingen einer Beziehung. Obwohl es inhaltlich erstmal wenig mit Feminismus zu tun hat, wurde es doch von einer Feministin und somit „aus feministischer Perspektive“ geschrieben, so die Autorin.

Neben der Schreiberei würde sie als zukünftiges Projekt gerne „ein Workshop-Konzept für einen Feminismus-Crashkurs entwerfen“, der dann standardmäßig in Schulen durchgeführt wird, erzählt sie. Sollte es tatsächlich dazu kommen, könnte die Einschulung kommender Generationen auch wieder ein einschneidendes Ereignis in deren Biographien werden.

Vorerst feiert sie allerdings erst einmal den Release ihres zweiten Romans, der von LIBERTINE präsentiert werden.
Mit „Freiraum“ zeichnet die Schriftstellerin ein differenziertes Bild unserer Gegenwart.

„Mit großer Zärtlichkeit spürt Svenja Gräfen den Gefühlen ihrer Protagonistinnen nach. In dieser Geschichte nähert sie sich über das Private dem Politischen. ›Wie wollen wir leben?‹ lautet die Frage, die diesen Text vorantreibt.“ Julia Wolf. 

LIBERTINE präsentiert: Booklaunch & Lesung, 25.04.2019, Einlass: 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, Location: Ocelot (Brunnenstraße 181, Berlin)

Buch: Freiraum, erschienen bei Ullstein fünf, Roman, ISBN: 978-3-96101-037-0

Text: Kristin Böschen – Dieser Text aktualisiert und ursprünglich in LIBERTINE 06 #digital erschienen)