Höcke will zum Auschwitzgedenktag – und mir wird doppelt schlecht
Als ich in die zehnte Klasse ging, besuchten wir mit der Schule für einige Tage die Gedenkstätte Buchenwald. Was ich dort erlebt habe, war sehr viel mehr als Geschichtsunterricht – dank einer Konfrontation mit echten, lebendigen Nazis. Damals hätte ich mir nicht ausmalen können, an welchem Punkt die Welt heute – 10 Jahre später – stehen würde. 2007 waren die AfD, Trump und der ganze Rechtsruck in weiter, weiter Ferne. Aber nach dem Erlebnis in Buchenwald wusste ich, dass all das möglich ist. Morgen, am Auschwitzgedenktag, findet dort wie jedes Jahr eine Gedenkveranstaltung statt – und AfD’ler Björn Höcke wird trotz offizieller Ausladung nach Buchenwald kommen.
Meine Schulzeit verbrachte ich auf einer Gesamtschule in einem kleinen Ort in Hessen, in dem bei nur 15.000 Einwohnern Menschen aus 76 verschiedenen Nationen leben. Meine Mitschülerinnen und Mitschüler hatten zu einem Großteil einen Migrationshintergrund, erste und zweite Generation, aus der ganzen Welt. Für uns alle absolute Normalität. Als wir mit einem flauen Gefühl im Magen nach Buchenwald fuhren, war uns allen klar, dass das keine spaßige Klassenfahrt werden würde. Wir übernachteten im ehemaligen SS-Gebäude, hatten ein Programm voll mit kräftezehrender Konfrontation mit der Vergangenheit. Wir schauten uns Gaskammern an, standen direkt an den Stellen, an denen früher Leichenhaufen aufgetürmt waren, sangen mit den Lehrern jiddische Lieder und verbrachten die Abende alle zusammen in einem kleinen Zimmer, weil alles so beklemmend war. Nach einem besonders aufwühlenden Vormittag stand ein Ausflug nach Weimar an, um ein bisschen Abwechslung zu der anstrengenden Auseinandersetzung zu bieten. Aber uns war keine Pause vergönnt.
Wir erreichten gerade das berühmte Goethe-Schiller-Denkmal, als aus einer Ecke ein rassistisches Lied angestimmt wurde. Zwei Glatzen saßen unter den Köpfen von Goethe und Schiller – wie eine lebendige Karikatur. Sie beleidigten einen schwarzen Schüler, der überhaupt nicht wusste, wie ihm geschah. Er hätte die Zwischenrufe einfach ignoriert, wollte schon weiterlaufen, aber unser Betreuer ging dazwischen und die Situation eskalierte. Es fielen unfassbare, rassistische Beleidigungen, feinsäuberlich angepasst an alle Nationalitäten meiner Mitschülerinnen und Mitschüler, und schließlich der Satz „Ihr gehört nach Buchenwald in die Öfen!“. Genau dort standen wir noch wenige Stunden vorher, viele weinend.
Die Polizei kam, wir mussten Zeugenaussagen machen, und die Geschichte schaffte es in die Lokalnachrichten. Seitdem habe ich Nazis nie wieder unterschätzt und gelernt, wie wichtig Zivilcourage ist – das ist das Gute, das von dieser Widerwärtigkeit übrig geblieben ist.
Heute, im Jahr 2017, sind die Glatzen aus Weimar vermutlich große AfD-Fans. Und ich kann nicht anders, als schreckliche Parallelen zu entdecken, wenn ich lese, dass Björn Höcke darauf besteht, morgen am Auschwitzgedenktag in Buchenwald teilzunehmen, obwohl die Betreiber der Gedenkstätte ihn offiziell darum baten, der Veranstaltung fern zu bleiben. Noch vor Kurzem bezeichnete er das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ und betitelte diesen Umgang mit der Vergangenheit als „dämliche Bewältigungspolitik“. Unseren Ausflug nach Buchenwald hätte er sicherlich ähnlich betitelt. Ich denke, ich muss nicht betonen, wie widerwärtig ich dieses Verhalten in Hinblick auf diese Erfahrung finde, die jetzt 10 Jahre zurückliegt: Denn die Rechten sitzen jetzt nicht mehr länger nur pöbelnd in der Innenstadt. Sie besuchen jetzt als Politiker einer Erfolgspartei scheinheilig die Gedenkveranstaltungen.
Text & Bild: Johanna Warda