KAPITEL
Yoga Bild Von Dimitris Vetsikas Pixabay.com

Inhale, Exhale – Wie Yoga das Leben total verqueert

Die einen tun es, um der Schwerkraft an gewissen Körperstellen entgegenzuwirken, die anderen erhoffen sich geistige Erleuchtung. Was nur die Wenigsten erahnen: Yoga kann beides, aber vorher muss man erst einmal durch das Fegefeuer der Eitelkeiten.

Zugegeben, ob Yoga in der Schweiz auch so viel bei mir bewirkt hätte, wage ich bei dem Gedanken an die Asana-Anleitung: „Ischnufe, Usschnufe!“ zu bezweifeln. „Inhale, Exhale“ klingt da schon irgendwie befreiender. Abgesehen davon waren es persönliche Gründe, die mich vor rund 10 Jahren zum Yoga führten. Was dann geschah, hätte ich tatsächlich nie zu träumen gewagt.

Ich will gar nicht, dass Yoga mein Leben verändert – nur meinen Hintern.

Julia Roberts

Ein Anspruch, den ganz sicher so einige auf der Matte teilen. Klar, möchte auch ich einen noch strafferen Po. Aber beim Yoga kauft man quasi die Katze im Sack. Da bekommt man eben nicht nur einen strafferen Po, sondern auch eine „straffere“ Wahrnehmung. Doch was genau passiert da?

Zu Beginn fühlt man es nur körperlich. Doch dann beginnt sich auch der Geist zu verändern: Dinge, die vorher okay waren, sind es plötzlich nicht mehr. Das eigene Leben wird in seinen Grundmauern erschüttert. Es ist ein bisschen wie das Erwachen aus einem langen Tiefschlaf.

Der Traum ist der beste Beweis dafür, dass wir nicht so fest in unsere Haut eingeschlossen sind, als es scheint.

Friedrich Hebbel

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie in der Endentspannung „Shavasana“ nach einer anstrengenden Yoga-Session bei mir die Tränen kullerten. Mein Leben wie es war und wie es ist, ergab plötzlich keinen Sinn mehr. Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo will ich hin? Einfach alles, das mir in den letzten Jahren Halt gab, war plötzlich nicht mehr von Bedeutung. Und plötzlich ist alles total verqueert.

Yoga hat mir gezeigt, was Loslassen bedeutet. Loslassen von alten Mustern. Loslassen von Zorn, Trauer und Wut. Loslassen von Ansprüchen, Eitelkeiten, Menschen und mit ihnen verbunden Emotionen. Loslassen von Jobs und Gegenständen, von denen man glaubte, dass nur sie einem Sicherheit geben und wirklich glücklich machen können. Loslassen von einfach allem. Ein Prozess der Reinigung bei dem der ein oder andere nur zu gerne kapituliert und lieber ins Kino geht, als sich immer wieder mit sich selbst zu konfrontieren. Wie anstrengend dieser Prozess der Reinigung ist, kann sich kaum jemand vorstellen.

Looking for heaven found the devil in me

Florence + The Machine

Dennoch ist dieser Prozess des Wandels wichtig, um Platz für Neues zu schaffen. Den Raum für das neue Ich. Und wer sich traut, am Ende ganz ohne Wenn und Aber in den Spiegel zu schauen, der wird belohnt. In einem Maße wie man es sich kaum vorstellen kann. Probiert es aus!

Text: Sina Scherer Foto: Dimitris Vetsikas Dimitris