KAPITEL
Maike Mia Höhne SAM 4059

Maike Mia Höhne über mutige Filme, tolle Frauen und die Berlinale

Heute geht es wieder los: Die 67. Berlinale beginnt! Maike Mia Höhne ist dabei nicht weg zu denken. Seit knapp 10 Jahren kuratiert sie die vermutlich radikalste Sektion des Festivals: die Berlinale Shorts. Außerdem dreht sie selbst Filme, schreibt Drehbücher, organisiert Seminare und Events. Kurz vorm Start des Festivals hat sie sich ein bisschen Zeit für mich genommen – und wir sprachen über ihre Liebe zu mutigem Film, feministische Pornos und die Frauenquote im Filmbusiness.

 

Reframing the Image

 

Liebe Maike, wie politisch ist die Berlinale dieses Jahr?

Das hat Dieter Kosslick in der großen Pressekonferenz ganz schön gesagt: Wir brauchen keinen Kommentar abgeben zu dem, was da gerade passiert: Wir machen den Kommentar, indem wir eine Auswahl zeigen, die genau auf die Stimmen hört, die eben nicht in der ersten Reihe sind.

Das Motto der diesjährigen Shorts ist „Reframing the Image“. Kannst du uns dazu ein bisschen was erzählen?

„Framing“ kommt aus der Sprachwissenschaft. Elisabeth Wehling – eine ganz tolle, deutsche Autorin – hat gerade erst ein Buch über politisches Framing geschrieben. Wenn du zum Beispiel „Steuerlast“ sagst: Was löst das bei dir aus? Wie sind bestimmte Begriffe konnotiert? „Reframing the Image“ ist in dem Sinne gemeint: Wenn ich zum Beispiel in einem Film sehe, wie eine Frau einem Mann einen bläst, dann wird das immer als degradierend erzählt und wird auch so abgespeichert. Ich will’s aber genau anders herum erzählen. Und das versuchen viele dieser Filmemacher*innen, indem sie Protagonist*innen ins Mittelfeld rücken, deren Geschichte anders verläuft, als wir es erwarten. Und ich glaube, dass wir genau dieses Reframing brauchen, denn da wo wir gerade gesellschaftlich stehen, haken wir fest.

Als ich das Motto gesehen habe, musste ich sofort an das viel diskutierte Phänomen der Filterbubble denken – dass wir nur noch mit dem konfrontiert werden, mit dem wir konfrontiert werden wollen, und Empathie immer weniger gefragt ist. Hattet ihr das auch im Hinterkopf, als ihr das Motto gewählt habt?

Ja, klar! Das ist ja das Tolle an diesem Festival: Dass die Menschen das auch wollen! Sonst wären die Karten nicht ausverkauft. Die wollen alles: Eben nicht nur den neuen Trainspotting-Film gucken, sondern auch die Kurzfilme. Dieses Quoten-Argument – dass man dem Publikum angeblich nicht so viel zumuten kann – ist absolut gelogen. Natürlich kann man dem Publikum etwas zumuten, denn jeder möchte gefordert und als intelligentes Wesen wahrgenommen werden. Man muss den Mensch mitnehmen. Deswegen gibt es Berlinale Generation. Da holen wir die Zuschauer*innen ab 4 Jahren ab und sagen: Guckt euch das an, guckt euch andere Lebenswelten an. Das ist toll, das merken sie sich. Meine Kinder kommen auch – und ein halbes Jahr später sitzt meine Tochter dann im Kino, guckt Kurzfilme und sagt: Den ersten Film kenn ich schon, der lief auf der Berlinale! (lacht)

Solche Frauen wie Sarah Maldoror, die jetzt zur Berlinale kommt – sie ist 78 Jahre alt und war eine der wenigen Frauen in den 60ern, die politische Filme gemacht hat – muss man erst mal wieder finden, denn in der Filmhochschule wird dir sowas nicht erzählt. Und ich denke mir: Wow, das ist eine große Chance, jemanden zu treffen, der wirklich versucht hat, etwas zu erschaffen. Und das ist sehr inspirierend.

Wenn du dir das Mainstream-Kino momentan anschaust: Was stört dich? Und was gefällt dir?

Mainstream-Kino ist ein schwieriger Begriff. Ist das Hollywood? Wenn ja: Sowas wie „La La Land“ zum Beispiel geht überhaupt nicht. Das ist ein totaler Backlash und eine krasse Normierung. Da wird vermittelt: Nur wenn du hart bist gegen dich selbst, kannst du es zu was bringen. Genau so sind wir gegen die Wand gefahren. Donald Trump vertritt das, aber ich vertrete das nicht. So können wir Gesellschaft nicht machen. Das bedeutet nicht, dass man sich nicht ab und an konzentrieren muss und sich fordern darf. Aber du musst nicht bluten. Das ist das, was ich da bemerke, zum Beispiel auch bei „Jackie“.

Ein bisschen herausgefallen ist „Arrival“. Der hatte interessante Momente und war ganz anders gestrickt. Der Plot entpuppt sich erst ganz langsam, das ist schlau gemacht.

Was mir aber besonders fehlt, sind die Frauen in der Regie, im Kino und in Filmkritiken – und dass man sie nicht nur einmal kurz wahr nimmt, sondern dass sie langfristig im Kanon auftauchen.

Bildet Banden!

Hast du einen Rat an junge Frauen, die sich in der Filmbranche durchsetzen wollen?

Wir sind ja alle unterschiedliche Typen. Es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, wer man ist und wie man tickt. Bin ich die, die immer nach vorne rennt und laut ist oder mach ich das lieber von einem anderen Standpunkt aus? Und ansonsten gilt: Bildet Banden! Das alte Pippi-Langstrumpf-Motto gilt immer noch. Es braucht viele von uns, an ganz unterschiedlichen Positionen. Es reicht nicht, wenn wir alle nur Filme machen. Es muss zum Beispiel auch jemand darüber schreiben. Nur so wirst du Teil der Geschichte, tauchst auch im Archiv auf.

Wir haben zum Beispiel einen Film im Programm, von Brenda Lien: „Call of Cuteness“. Sie ist 21 Jahre alt und wirklich bemerkenswert. Der Film ist nicht über sie zu mir gekommen, sondern über ihre Professorin – sie hat ihn mir geschickt. Und es ist toll, dass das jetzt öfter passiert: dass wir uns gegenseitig supporten.

Ansonsten haben wir ein sehr ausgeglichenes Genderverhältnis und freuen uns natürlich auch über jeden Mann. Aber wir müssen das gemeinsam machen. Ich freue mich zum Beispiel auch über Victor Lindgren, der 2012 den Teddy für den besten queeren Film bekommen hat und jetzt mit „Kometen“ wieder zur Berlinale kommt. Da erzählt er eine schwule Fluchtgeschichte, die das Gefühl mit ganz wenig Bildern transportiert. Und wo hab ich den zum ersten Mal gesehen? Nachts um zwölf auf meinem Handy. Ich dachte „ich guck mal kurz“ und merkte: Wow, geiles Ding! Wenn es echt ist, wirkt es.

Selbst auf dem Handybildschirm!

Ja! Ganz egal. If it’s real.

Hast du einen Liebling im diesjährigen Programm oder findest du alle Filme gleich toll?

Was glaubst du denn? (lacht) Klar finde ich alle toll! Ich freue mich aber besonders, dass Sarah Maldoror mit ihrem Film „Monangambeee“ kommt, den sie 1969 gemacht hat. Das ist etwas sehr Besonderes. Sie hat damals schon vieles anders gemacht und trifft damit vieles, was mich interessiert. Daran, dass sie das damals schon so gemacht hat, sieht man einen Bogen und das zeigt, dass wir nicht permanent alles neu erfinden müssen, sondern dass vieles schon da ist. Darauf freue ich mich sehr.

Was sind deiner Meinung nach die Vorteile und Besonderheiten, die ein Kurzfilm gegenüber einem Langfilm hat?

Man kann in kurzer Zeit viele Fragen abdecken. Für einen Kurzfilm muss man anders, konzentrierter, Geschichten erzählen können. Ein Langfilm muss auch schon in der Produktion einen anderen Atem haben. Und das ist das Tolle daran: Kurzfilme sind mutiger, weil man nicht so viele Leute im Vorfeld überzeugen muss. Dadurch hast du eine radikalere Form.

Das Gefühl hab ich auch. Kurzfilme sind progressiver.

Ja! Und Film ist ja schon längst nicht mehr die Avantgarde, aber es könnte wieder so werden! Es ist nämlich ein großes Medium, das viele Menschen auf einmal konsumieren können – aber es muss sich wieder in neue Richtungen öffnen. Da ist zum Beispiel David O’Reilly mit „Everything“ toll. Er steht für eine Generation von Kindern des Internets, die ganz anders mit dem Material arbeiten und es einfließen lassen.

Was mir auch sehr gut gefallen hat, war „Martin Pleure“ von Jonathan Vinel. Der Film ist komplett durch Szenen aus dem Spiel GTA V gedreht. Da war ich sehr überrascht und beeindruckt, wie viel Emotionen man mit diesem Mittel ausdrücken und transportieren kann.

Ja, er erzählt eine sehr untypische Geschichte aus der Sicht eines Mannes: Er ist einsam, aber kein Lonely Wolf. Das ist mal ein anderes Männerbild. 2014 hat er zusammen mit seiner Co-Regisseurin Caroline Poggi mit ihrem Film „Tant qu’il nous reste des fusils a pompe“ den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm gewonnen. Und letztes Jahr waren sie mit „Notre Héritage“ auf der Berlinale. Da machten sie eine Fiktion auf: Er sagt, er sei der Sohn eines berühmten Pornodarstellers, und werfe seinem Vater vor, dass er ihn mit dem Internet allein gelassen habe, als er nach Liebe suchte. Dann findet er die Filme seines Vaters – und dann siehst du diese nackten, rasierten Frauen auf der riesigen Leinwand. Und das zeigt nun mal eine mögliche emotionale Realität. Das fand ich toll.

Weibliche Sexualität ist nicht Teil des Kanons

Es ist ja auch interessant, dass Dinge, die man im Internet überall findet, plötzlich skandalös werden, wenn man sie auf eine große Leinwand packt.

Das war das Interessante, weil sich kaum jemand getraut hat, über den Film zu schreiben. Weil man damit einen großen Diskurs anstoßen würde – keiner traut sich, den aufzumachen.

Tatjana Turanskyj ist auch so eine Regisseurin. Sie gehört zur Avant-Garde. In „Top Girl“ geht die Protagonistin anschaffen und wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Kind. Und das hat sie super inszeniert. Solche Filme tun ein bisschen weh. Da ist was echt. Und es wurde so wenig darüber geschrieben. Dauernd geht es in Filmen von Männern um Prostituierte – und dann reden sie immer nur miteinander. (lacht)

Glaubst du, dass das was damit zu tun hat, dass der weibliche Blick auf Sexualität immer noch fehlt und wenn er doch da ist, zu sehr schockt?

Ja, das ist nicht Teil des Kanons. Und es gibt viel zu wenig davon. Sehr interessant ist das feministische Pornogenre – das, was Maike Brochhaus macht. Ich wollte da auch mal rein, hab es dann aber nicht gemacht, weil mir diese Welt zu krass ist. Sie inszeniert Pornos mit Freunden. In Hamburg organisiere ich eine Reihe – „Women on Fire“ – dazu hab ich sie eingeladen. Sie ist auch in den Medien sehr stark vertreten.

Ich sehe sie oft in Fernseh-Reportagen über Feminismus. Daran sieht man aber auch, wie klein diese Welt noch ist: Dass man immer dieselben Leute sieht.

Das hast du gut gesagt. Im Kurzfilm bin ich froh, wenn mal irgendwo Sex auftaucht. Irgendwie wird es nicht angefasst – im wahrsten Sinne des Wortes.

Was denkst du, woran das liegt?

Sexualität ist schwierig. Aber ich verstehe es nicht: Gewalt in jeder Form ist okay, aber warum darf das, wo ja Liebe ist, nicht mit rein?

Man muss darauf bestehen, Filmemacherinnen beim Namen zu nennen

Mir fällt immer wieder an mir selbst auf, dass alle Regisseure, bei denen ich nicht nur an die Filme denke, sondern eben auch an den Mensch, Männer sind.

Ich lese auch oft in Artikeln, dass sich immer nur der eine männliche Filmemacher auf den nächsten bezieht. Ich bin da echt genervt. Das kann echt nicht sein – man muss darauf bestehen, weibliche Filmemacherinnen beim Namen zu nennen.

Was sind denn die Filmemacherinnen, die man deiner Meinung nach unbedingt kennen sollte? Um jetzt mal direkt ein paar Namen zu droppen.

Ich bin ein Avantgarde-Mädchen, ich finde es spannend, wenn jemand etwas ausprobiert. Da ist Tatjana Turaskij hier in Berlin als feministische Filmemacherin ganz vorn mit dabei. Dann Helke Sander in all ihrer Streitbarkeit. Und Helma Sanders-Brahms in derselben Generation. Jennifer Reeder hat viele Kurzfilme gemacht, viel über Mädchen im Teenie-Alter. Die sind so besonders, weil sie nicht diese bonbonfarbene Pubertätsgeschichte erzählen, sondern viel detaillierter an den Mädchen dran sind. Dieses Jahr ist Jennifer Mitglied der Internationalen Jury bei Generation. Monika Treut bekommt jetzt den Teddy – die ist bemerkenswert. Sie erzählt innerhalb der bekannten Erzähllandschaft – aber so straight forward und so besonders und macht Dokumentarfilme, Spielfilme, irgendwie alles – und queeres Kino. Sie sagte mal „wenn ich schlechte Laune kriege, mache ich einfach direkt ’nen neuen Film“. Sie ist ein unabhängiger Geist.

Lesbisches Kino ist etwas, das ich jenseits der Sparte vermisse

Um bei queeren Kino zu bleiben: Kannst du ein bisschen was zum queeren Programm auf der Berlinale erzählen?

Die Queer Shorts und die Teddy Awards sind etwas Besonders. Kein anderes großes Festival steht so sehr in der queeren Tradition. Cannes hat vor drei Jahren mal ein bisschen was angestoßen – aber so sehr, wie das queere Kino hier gefeiert wird – das ist einzigartig. Am letzten Sonntag kommen dann dafür alle Filmemacher, die noch da sind, zusammen – und das macht immer sehr viel Spaß.

Ich war vor einigen Jahren im Libanon, wo Homosexualität sehr tabuisiert ist. Da sind aber wahnsinnig viele schwule Männer, und ich habe mich gefragt: Was ist mit den Lesben? Dann hieß es, das wäre nicht so ein Problem, weil alles, was nicht unter Penetration fällt, nicht wirklich als sexueller Akt gilt. Das ist interessant, weil das eine rein männliche Definition von Sexualität ist. Ist das nicht spannend? So ist es irgendwie doppelt egal, und das macht mich richtig wütend. Lesbisches Kino ist etwas, das ich jenseits der Sparte vermisse.

Wenn ich über Kino schreibe, suche ich immer wieder explizit nach lesbischen Filmen. Aber es gibt oft einfach nichts. Die Filme, die in Frage kommen, kommen in Deutschland gar nicht erst ins Kino.

Ist das nicht krass? Ich bin froh, dass du das so beschreibst. Das nervt! Es ist total schade. Zur Berlinale kommt Albertina Carri und stellt ihren Film „Cuatreros“ im Forum vor. Sie hat das erste queere Filmfestival in Buenos Aires gegründet, ist bekennende Lesbe. So jemand muss einfach öfter auftauchen!

Ich finde es wichtig, dass die Menschen, die solche Narrative selbst erfahren, diese auch selbst erzählen dürfen und dass nicht jemand anderes versucht, für sie zu sprechen. Das geht oft schief.

Ich weiß nicht, ob man alles, was man erzählt, auch selbst erlebt haben muss. Aber natürlich wäre es gut, bei sensiblen Themen mehr Beteiligung zu haben. Aber wir sind auch so blöd, wir machen es oft einfach nicht selbst! Zum Beispiel hat Christian Ulmen vor Kurzem die Serie „Jerks“ mit seinen Schauspielkollegen in Potsdam gedreht. Im ersten Bild trifft er seine Freundin und sieht in ihrem Handy, dass sie zu einem Masturbationskurs geht. Das ist witzig und emanzipiert – aber es ist ein Typ, der es erzählt. Und da denke ich: Wir sind so blöd! Die sind witzig und erfolgreich damit. Da nehmen sie uns schön die Butter vom Brot. Und ich hab jetzt auch erst mal wieder ein Drama geschrieben – Fuck! (lacht) Aber ich finde es toll, dass er das macht.

Das stimmt, und dadurch, dass Männer ja nun mal mehr Präsenz haben, ist es toll, wenn sie die nutzen, um Emanzipation zu erzählen.

Genau, und deswegen finde ich es wichtig, da immer wieder zusammen zu gehen.

Film ist so hetero!

Ich finde es immer wieder krass, wie rückständig die Umstände in so einem kreativen Bereich wie im Film noch sind.

Film ist so hetero! Manchmal denk ich mir: Was mach ich da? Es ist wahnsinnig. Aber es geht eben um viel Geld. Und es sind ganz alte Bilder, die sich da immer noch durchsetzen.

Würdest du sagen, dass das im Verlauf der letzten paar Jahre nachgelassen hat?

Ich glaube, so viel hat sich nicht verändert.

Beim Bayerischen Filmpreis ist es vor Kurzem passiert, dass sie fünf Frauen gleichzeitig den Preis für die beste Regie verliehen haben. Und das haben sie ihnen vorher nicht gesagt: Sie wussten nicht, dass sie da zu fünft stehen werden. Den besten Film hat dann aber Simon Verhoeven gemacht, mit „Willkommen bei den Hartmanns“. Und da dachte ich: Hä? Habt ihr wenigstens das Preisgeld verfünffacht? Oder wird das jetzt durch fünf geteilt? Die Idee ist ja im besten Fall nett gemeint, aber es geht ein bisschen nach hinten los.

Interview: Johanna Warda
Bild: Sarah Bernhard