„Wald ist überall auf der Welt hart umkämpft!
Illegale Rodungen, Holzverbrennung im Kohlekraftwerk, Handel mit Urwaldholz. Wonach klingt das? Ganz sicher nicht nach europäischer Praxis. Ist es aber! Dabei heißt es doch immer, wir seien die Vorreiter im Umweltschutz – weit gefehlt. Ein Gespräch mit der Umweltschützerin Gesche Jürgens über das Potenzial unserer Wälder, fehlgeleitete Umweltpolitik, Europas Rolle im Kampf gegen die Klimaerwärmung und darüber, wie es ist, als junge Aktivistin Lobbyisten die Stirn zu bieten.
Vor einigen Jahren schrieb ich meine Abschlussarbeit im Geographiestudium über die Folgen der wirtschaftlichen Nutzung des Amazonasgebietes. Die Arbeit trug einen blumigen Titel, für den ich mich später oft geschämt habe: „Im Spannungsfeld zwischen Mensch und Profit“ stand da. Bei meinen Recherchen habe ich damals viel Schlimmes gesehen, das mit dem Kampf um den Wald einhergeht. Nicht nur Brandrodung, Erosion, vergiftetes Wasser und die Kadaver bedrohter Tierarten, sondern auch die sozialen Folgen: Hunger, Korruption, Vertreibung, Morde an Kleinbauern, moderne Formen der Sklaverei. Bücher und das Internet zeigten mir diese realen Gräuel.
Gesche Jürgens, Waldbeauftragte bei Greenpeace, kennt sie aus eigener Erfahrung. Sie war an den Orten, stand in den Wäldern, hörte die Sägen, sah die verbrannte Erde. Ihre Arbeit hat sie auf vier Kontinente geführt. Mit den Kolleg*innen vor Ort verhinderte sie den Bau eines Staudamms im Tapajós, einem unberührten Nebenfluss des Amazonas, deckte die industrielle Bewirtschaftung und systematische Umwandlung alter Buchen- und Eichenwälder im Spessart auf und engagierte sich in Rumänien für den Erhalt der letzten Urwälder Europas. Im Gespräch mit ihr, kam ich nicht umhin, wieder an meine „schwülstige“ Formulierung von damals zu denken. Denn bei ihrer Arbeit agiert Gesche genau hier: im Spannungsfeld. Hier macht sie Lärm, prangert an, schafft Fakten, erzeugt Druck auf Machthaber und verhindert vor allem viel Schlimmes.
Der Klimawandel als Fluchtursache
Manche Auswirkungen unnachhaltigen Wirtschaftens werden schon heute als sogenannte ‚Fluchtursachen‘ in den Tagesthemen von Telepromptern abgelesen. Andere sind uns noch gar nicht bekannt und werden uns erst in einigen Jahren begegnen, wenn eines der vielen Klimawandelszenarien eingetreten sein wird, die die Klimaforscher*innen heute berechnen. ‚Klimaflüchtling‘, das wird der nächste Begriff nach ‚Kriegsflüchtling‘ und ‚Wirtschaftsflüchtling‘ sein. Welches der vielen Szenarien greifen wird, das hängt auch davon ab, wie gut wir auf unsere Umwelt achtgeben, weiß Gesche: „Wir können uns nicht nur auf die erneuerbaren Energien verlassen. Wir brauchen dafür auch die Wälder.“ Denn wenn sich die Erde nicht weiter erwärmen, wenn die maximale Temperatursteigerung von 1,5 Grad Celsius eingehalten werden soll, dann heißt das „erstens Entwaldungsstopp, zweitens Wiederaufforstung von gerodeten Flächen und drittens höhere Baumdichte in den Wäldern, sprich: Mehr Bäume pro Fläche“.
Gesche Jürgens hat sich auf ihren zahlreichen Reisen mit Managern und Plantagenbesitzern, mit Politikern und Förstern herumgeschlagen. Seit über sieben Jahren kämpft die junge Aktivistin aus Hamburg für den Wald, vermisst und kartiert Waldgebiete, trifft sich mit Firmenchefs, macht politische Lobbyarbeit, initiiert Kampagnen, bloggt und tweetet. Sie will die Entscheidungsträger stärker in die Verantwortung nehmen, denn „leider leben wir in einer Welt, in der noch immer bestimmte Machtstrukturen vorherrschen, und in der die Interessen einiger Weniger enorme Auswirkungen auf das Leben und die Zukunft aller haben.“ Diese Entscheidungsträger will sie nicht den wirtschaftlichen Lobbyisten überlassen, sondern sich aktiv mit ihren Umweltanliegen bei ihnen einmischen.
Tatsächlich ist der Wald überall auf der Welt hart umkämpft. Viele denken beim Begriff ‚Ressourcen‘ an Erdöl oder Kohle, aber auch Holz ist ein Rohstoff, der unwiederbringlich verlorengehen kann. Zwar wächst der Baumbestand nach, aber leider nur sehr langsam. Und das ist auch schon das ganze Problem: Wird ein Primärwald einmal eingeschlagen, ist er für immer verloren und nicht ersetzbar. Das gilt vor allem für alte Wälder. Urwälder.
Dabei zerstört großflächige Rodung nicht nur einzigartige Ökosysteme und damit den Lebensraum für Tiere und Pflanzen, sondern sie entzieht auch der regionalen Bevölkerung, die vom oder im Einklang mit dem Wald lebt, die Lebensgrundlage. Außerdem spielt der Wald – und das ist vielleicht der wichtigste Punkt von allen – eine große Rolle für das regionale und das globale Klima. Nicht nur beeinflussen geschlossene Vegetationsdecken den lokalen Niederschlag und die Temperatur, durch Photosynthese wandeln die Bäume auch das Treibhausgas Kohlendioxid u.a. in Sauerstoff um und speichern Kohlenstoff in der eigenen Biomasse. Bäume sind also für uns lebensnotwendig und im Kampf gegen die Erderwärmung essentiell. Je älter ein Baum ist, je mehr Masse er besitzt, desto mehr Kohlenstoff ist in ihm gespeichert und desto mehr CO2 wird auch freigesetzt, wenn man ihn verbrennt. Simpel.
Vor einigen Jahren konnte Gesche die Auswirkung der Entwaldung auf das Klima am eigenen Leib erfahren. 2013 schlich sie mit lokalen Greenpeace-Aktivisten in Indonesien auf eine für Papierproduktion gerodete Fläche. Das Ziel war es, den illegalen Einschlag, den sie bereits auf Satellitenbildern gesehen hatten, mit Fotos zu belegen und das Ausmaß der Zerstörung festzuhalten. Das letzte Stück durch den Wald mussten sie robben, kein Problem bei dem kühlen Waldklima. Angekommen auf der gerodeten Fläche erschrak Gesche jedoch: „Plötzlich herrschten 40 Grad. Die Torfböden, die dafür bekannt sind, unter Hitze besonders viele Treibhausgase abzusondern, lagen frei und verbrannten in der Sonne.“ Das Gefühl der verbrannten Erde unter ihren Füßen, Gesche wird es nicht vergessen.
Holz ist ein klimaneutraler Rohstoff, aber nicht im Ofen
Wer jetzt denkt, dass das alles ein Problem des globalen Südens ist, der irrt. Auch in Europa wandern noch viel zu viele Bäume in die Öfen und gehen damit als Kohlenstoffspeicher verloren. Das europäische ‚Spannungsfeld‘ entfaltet sich dabei um eine fehlerhafte Einschätzung der Nutzbarkeit von Holz als Rohstoff. „Man sieht Holz als klimaneutral an, weil es ja im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen nachwachsen kann“, aber das ist ein fataler Fehler.
Beispielsweise in Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark und Belgien werden Bäume zur Energiegewinnung in Kohlekraftwerken mitverbrannt. Und zwar in großen Dimensionen. Das ist vor allem problematisch, weil diese Länder die vermeintlich ‚klimaneutrale Holzeinlage‘ nicht rechtfertigen müssen. Weil abgeholzte Flächen ja wieder aufgeforstet werden können, addiert sich das Brennholz – zumindest auf dem Papier – nicht zur Treibhausgasproduktion der einzelnen Staaten. Dabei produziert die Verbrennung von Holz sehr wohl CO2. Und auch sonst geht die Rechnung nicht auf, denn es dauert Jahrzehnte bis ein Setzling die gleiche Menge an Kohlenstoff speichern kann, die bei der Verfeuerung seines Vorgängers freigesetzt wurde. „An seinen eigenen Klimaschutzzielen plant Europa mit dieser Taktik klar vorbei.“ Schuld daran ist auch der Trugschluss, Holznutzung sei gut fürs Klima. „Aber das stimmt so nicht“, erläutert Gesche, „Holznutzung ist gut für die Holzindustrie, aber nicht fürs Klima.“
Natürlich kann Holz eine gute Alternative sein, etwa wenn es im Bauwesen anstatt noch energieintensiverer Baumaterialien, wie beispielsweise Aluminium, Stahl oder Beton, verwendet wird. Aber diese positive Wirkung entfaltet es wirklich nur dann. Zu wenig eingeschlagenes Holz wird in Europa aber tatsächlich sinnvoll genutzt: „Aus Holz sollten langlebige Produkte entstehen, damit der Kohlenstoff, der in ihm gespeichert ist, zumindest im Dachstuhl oder im Tisch verbleibt und nicht gleich als Wegwerfbecher oder als Brennholz wieder in die Atmosphäre verfeuert wird.“
Die Aktivistin ist sich sicher, dass es einen richtigen und ökologisch vertretbaren Weg gibt, den Wald zu nutzen. Dafür muss sie verhandeln. „Es geht uns beim Wald nicht um das Ob, wie bei Atomkraft oder Kohle, wo wir für einen Komplettausstieg plädieren, sondern eher um das Wie.“ Wenn Gesche sich dafür einsetzt, dass ein Naturschutzgebiet ausgeschrieben werden soll, muss sie sich auch um die Interessen der benachbarten Sägewerke kümmern. Wo bekommen die dann ihr Holz her? Wie kann nachhaltige Waldnutzung aussehen? Welche Flächen können bewirtschaftet werden und welche nicht? Gesche unterscheidet aber zwischen berechtigten und unberechtigten Interessen am Wald: Tatsächlich gehen große Holzmengen nämlich gar nicht an das Sägewerk um die Ecke, sondern direkt – ungesägt, d.h. als ganzer Stamm – ins Ausland. Und da wirken ganz andere Kräfte als nur die regionale Politik! Gesche nennt das ‚Ringen um den Wald‘.
Europa opfert seine letzten Urwälder
Beim Stichwort ‚Urwald‘ denken wir unweigerlich an die Regenwälder der äquatorialen Breiten, an großflächige Brandrodungen für Soja-, Zuckerrohr- oder Palmöl-Plantagen, an Weidewirtschaft oder Aluminiumgewinnung. Vielleicht auch an den Handel mit hochwertigen Tropengehölzen wie Mahagoni oder Teak. Dabei heben wir gern den mahnenden Zeigefinger in Richtung des globalen Südens. Doch hier sollten wir nicht vergessen, auch „vor unserer eigenen Haustür zu kehren“, meint die Aktivistin. Denn auch in Europa gibt es noch Urwälder und auch sie sind – wen mag es noch wundern – von der Abholzung bedroht.
Die letzten Urwälder der gemäßigten Breiten liegen in den Hochlagen der rumänischen Karpaten. Sie sind vor allem in den letzten Jahren ein Sorgenkind geworden. Denn obwohl die EU feste Regelungen für die Einfuhr und den Verkauf von geschlagenem Holz hat – es darf nur mit Herkunftsnachweis und Zertifikat gehandelt werden – blüht in Rumänien der illegale Holzeinschlag. Für Greenpeace ist das ein Skandal: „Wir verlangen von der Demokratischen Republik Kongo, dass sie den illegalen Einschlag eindämmt und können nicht einmal unseren eigenen Urwald schützen.“ Dabei ist der rumänische Urwald ökologisch sehr wichtig. Der alte Mischwald aus Buchen, Bergahorn, Tannen und Fichten bildet ein außergewöhnliches Ökosystem und beherbergt u.a. die größte Populationen an Braunbären, Luchsen und Wölfen in Europa. Von seiner Bedeutung als Erosionsschutz und für das Klima ganz zu schweigen.
Im Herbst 2016 folgte Gesche mit einem internationalen Team einem Aufruf der rumänischen Regierung, die NGOs und Privatpersonen aufforderte, noch unversehrte Waldgebiete in den weitläufigen Karpaten zu identifizieren. Diese sollten in ein sogenanntes ‚Urwaldregister‘ eingetragen werden, um sie so langfristig vor der Säge zu schützen. Ziel ist ein weitläufiges Naturschutzgebiet, ein „Europäischer Yosemite“, wie Gesche ihn nennt. Doch das ist ein Wettlauf gegen die Zeit: Als Gesche und ihr Team ankamen, um die Baumbestände in einem etwa 1.000 Hektar großen Gebiet zu kartieren, war der fortgeschrittene Einschlag bereits überall sichtbar. Aus der Ferne hörten sie die unermüdlichen Kettensägen. Denn solange noch keine Grenzen für ein Naturschutzgebiet ausgerufen sind, wollen die Holzhändler noch möglichst viel Holz außer Landes schaffen. Rumänien selbst kommt der Holzeinschlag nämlich kaum zugute: Manche Werthölzer landen im Nahen Osten und in Asien. Ein österreichisches Sägeunternehmen steht im Verdacht, illegal vor allem junges Nadelholz zu schlagen.
Forstwirtschaft ist noch immer eine Männerdomäne
Gesche weiß, dass sie auf der richtigen Seite steht. Manchmal ist die Direktkonfrontation aber schwer auszuhalten. Während sie es bei ihrer Firmenarbeit etwa in Indonesien mit Managern zu tun hat, die schon einige Erfahrungen mit den Vertreter*innen von NGOs haben und sich höflich unterhalten möchten, stößt sie anderenorts auf eine härtere Gangart. „Wer sich mit klaren Positionen und Forderungen – etwa in Rumänien der Forderung nach einem sofortigen Einschlagstopp – in die Öffentlichkeit stellt, muss halt auch die Gegenposition aushalten. Man ist immer in einer Konfrontationssituation. Das erfordert weniger Mut, als vielmehr Durchhaltevermögen und Selbstbewusstsein. Und einen starken Willen.“
Gesche wird dem Wald treu bleiben. Hier gibt es noch genügend Baustellen, gerade vor der eigenen Haustür: Das Jagdsystem in Deutschland findet sie „unterirdisch“, nicht nur hinsichtlich des Selbstverständnisses vieler Jäger, die das Tier als Trophäe sehen, sondern auch weil es noch immer nach einer Gesetzgebung aus dem Dritten Reich ausgerichtet ist. Viele Wälder werden für die Jagd mit so viel Rot- und Rehwild ‚bestückt‘, dass das Nahrungsangebot für sie gar nicht ausreicht – „Das ist Massentierhaltung im Wald“. In der Folge können sich manche Baumbestände, etwa die Tanne, nicht mehr verjüngen, weil schon die kleinsten Triebe abgefressen werden. Dass das Hobby einer so kleinen Gruppe von Menschen so große Auswirkungen auf Ökosysteme habe, sei untragbar. Gesches großes Ziel ist es daher, die Jagdgesetzgebung in Deutschland zu reformieren. Auch damit wird sie sich wohl nicht viele Freunde machen, aber: „Ich bin eine unerschütterlicher Optimistin. Wir haben ja eigentlich alle Lösungen. Wir wissen eigentlich, wie es gehen kann. Es braucht einfach noch mehr Leute, die sich gegen die Industrie- und Lobbyinteressen derer durchsetzen, die davon profitieren, dass sich die Sachen nicht ändern.“
Infobox: Wie viel CO2 absorbieren Bäume?
Oft wird fälschlicherweise angenommen, Bäume würden CO2 speichern. Das ist so aber nicht ganz richtig. Über ihre Blätter nehmen Bäume CO2 auf, sie speichern allerdings nur Kohlenstoff (C) in ihrer Biomasse und setzen Sauerstoff (O2) wieder frei. Im Durchschnitt filtert ein Hektar Wald jährlich so rund 10 Tonnen Kohlendioxid. Um abschätzen zu können, wieviel CO2 ein Baum der Atmosphäre entzogen hat, muss man seinen Kohlenstoffgehalt mit 3,67 multiplizieren. Wie viel ein einzelner Baum absorbieren kann hängt allerdings von Baumart, Holzdichte, Alter und Standort ab. So kann ein Einzelbaum auf einer Wiese eine größere Krone ausbilden, dadurch mehr Photosynthese betreiben und ergo mehr CO2 umwandeln als sein gleichaltriger Artgenosse im Wald.
Text: Mae Becker Fotos: Greenpeace
Dieser Beitrag ist erstmals in LIBERTINE 04 #Zukunft erschienen.