KAPITEL
Regenbogenherz

Rechte zweiter Klasse

Der Amoklauf im amerikanischen Orlando richtete sich gegen die LGBT-Community. Schrecklich, aber auch wenig überraschend – schließlich vermittelt die amerikanische Kultur nur allzu oft, dass die fundamentalen Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender verhandelbar sind.

49 Menschen sind tot. Vielleicht werden es noch mehr. Abgeknallt, einfach so. Weil sie lesbisch waren, schwul, bisexuell, möglicherweise auch transgender. Weil sie einer Gemeinschaft angehörten, deren Mitglieder nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Nicht in den USA, aber auch nicht in anderen Teilen der Welt. Nicht in Europa. Der russische Präsident Putin kondolierte – als ob er nicht dafür gesorgt hätte, dass die Siegerfotos des World Press Photo Award letztes Jahr nicht in Russland ausgestellt werden durften. Das Siegerfoto zeigte ein schwules russisches Paar: zärtlich, nah, in der Intimität seiner Sankt Petersburger Wohnung.

Nach dem Amoklauf in Orlando, Florida, in den frühen Stunden des Sonntags, werden die üblichen Rufe laut: Nach strengeren Waffengesetzen, nach mehr Kontrolle, nach schärferen Anti-Terror-Gesetzen. Das eigentlich Entscheidende gerät so in den Hintergrund, nämlich, dass am Sonntag gezielt Menschen aus der LGBT-Community umgebracht wurden. Menschen, für die der Club Pulse ein geschützter Raum war, einer, wo sie unter sich sein konnten, ein sicherer Ort – weil so viele andere Orte in den USA genau das nicht sind.

Frei, offen, ohne Furcht

Hillary Clinton ließ eine Meldung verbreiten, in der sie versprach: „To the LGBT community: please know that you have millions of allies across the country. I am one of them. We will keep fighting for your right to live freely, openly and without fear.” Frei, offen, ohne Furcht – für viele LGBT in den USA dürfte das nun mehr denn je wie ein frommer Wunsch klingen.

Ja, in den USA haben Schwule und Lesben die Möglichkeit, zu heiraten: Der Oberste Gerichtshof hat die gleichgeschlechtliche Ehe letztes Jahr zum Verfassungsrecht erklärt. Aber diese Entscheidung hat in konservativen Kreisen auch einen großen backlash hervorgerufen. Gegen alles, was sich abseits des heteronormativen und -sexuellen Ideals bewegt, gegen alles, was als irgendwie anders empfunden wird. Immer wieder weigern sich Standesbeamte, lesbische und schwule Paare zu trauen – aus religiösen Gründen. Einige Staaten, unter anderem Mississippi und North Carolina, haben Gesetze verabschiedet, die solche schützen, die aus religiösen Gründen Dienstleistungen für LGBT verweigern. Elf US-Bundesstaaten verklagen gerade die Obama-Regierung: Die hatte per Direktive verfügt, dass Trans-Schüler_innen in Schulen die Toiletten benutzen dürfen, die ihrer Gender-Identität entsprechen. Für viele Konservative ist das ein Katastrophen-Szenario, die offene Tür zum „anything goes“.

Regenbogen-Flaggen und „Pray for Orlando“

Es gibt Fortschritte in Sachen LGBT-Rechte – aber Religion prägt immer noch entscheidend die amerikanische Moral. Im Zweifelsfall, das zeigt sich immer und immer wieder, bekommen die mit den religiösen Argumenten Recht. Einige – viele? –, die die sozialen Medien nun mit Regenbogen-Flaggen und „Pray for Orlando“-Sprüchen fluten, sehen Homosexualität sehr wahrscheinlich als Sünde. Steht ja in der schließlich in der Bibel. Aber wie heißt es in christlichen Kreisen so gerne: Ich verdamme die Sünde, nicht den Sünder. So einfach ist es aber nicht.

Die USA brauchen schärfere Waffengesetze. Vor allem brauchen sie aber eine Kultur, die LGBT nicht als „die Anderen“ wahrnimmt, als die, bei denen irgendwas schief gelaufen ist in ihrer sexuellen Entwicklung, als die, die nicht normal sind. Der vermeintliche Täter Omar M. war, so wie es momentan aussieht, ein Einzeltäter. Aber er lebte in einer Kultur, in der ihm nur allzu oft vermittelt wurde: Die fundamentalen Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender sind verhandelbar – sie sind, im Zweifelsfall, für viele Rechte zweiter Klasse.

Text Julia Korbik