Filmkunst jenseits des heteronormativen Einheitsbreis
Wir kennen sie zu genüge: Die immer gleichen Hetero-Heldenreise im Mainstreamkino. Was fehlt sind perspektivenreiche queere Erzählungen. Das dachten sich die Initator*innen der Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg bereits vor 30 Jahren. Seitdem stellen sie jedes Jahr im Herbst ein queeres Filmprogramm auf die Beine. Das Team setzt sich zwar immer wieder neu zusammen, die Visionen ändern sich dabei nicht: Auch in diesem Jahr erwarten die Besucher*innen außergewöhnliche und mutige Filme, nach denen man unter den großen Kinoproduktionen vergeblich sucht.
Als die Lesbisch Schwulen Filmtage 1989 aus einem Uniseminar heraus gegründet wurden, ahnte sicher noch niemand, welche Erfolgsgeschichte die Initiative schreiben würde. Inzwischen ist sie zu Deutschlands größtem Filmfestival, das sich im Europavergleich den ersten Platz mit London teilt, gewachsen. Das Team von damals hat sich längst aufgelöst. Aber jedes Jahr stellt sich eine neue ambitionierte Gruppe zusammen, die gemeinsam die interessantesten queeren Filme des Jahres zusammenstellt.
In den letzten Monaten und Wochen wurde jede Menge Filmmaterial gesichtet und ausgewählt. Ein durch und durch demokratischer Prozess, denn jede*r im Team, darf mit darüber abstimmen, welcher Film in das Programm aufgenommen wird. Dabei ist es den Veranstalter*innen wichtig, dass es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen queeren, lesbischen, schwulen und Transgender-Filmen gibt. Das ist gar nicht so einfach, denn es gibt immer wieder Jahre, in denen es Streifen mit lesbischem oder transsexuellem Inhalt mangelt. Doch das Team lässt nicht locker und recherchiert so lange, bis genügend Geschichten aus allen Bereichen gefunden sind. Neben Filmen mit lesbischen Inhalten, sind auch feministische Beiträge fester Bestandteil des Programms.
Am 15. Oktober fällt mit der Eröffnungsgala auf Kampnagel der Startschuss für rund 130 Beiträge, die an sechs Festivaltagen in unterschiedlichen Hamburger Kinos gezeigt werden.
Mit fünf Langfilmen ist Brasilien in diesem Jahr besonders stark vertreten. In Eliza Capais Dokumentarfilm „Espera tua (re)volta“ (20.10., 17:30 Uhr, Passage) stehen Jugendliche im Mittelpunkt, die mit Schulbesetzungen für ihr Recht auf Bildung kämpfen. Der Rückblick auf vergangene Protestbewegungen zeichnet zugleich den Weg zu den Repressionen der Gegenwart nach. Im Angesicht des neuen rechtsextremen, frauenfeindlichen Präsidenten Bolsonaro, der LGBTIQ* als minderwertig herabstuft, wird die Dringlichkeit von Widerstand und Protest leidenschaftlich spürbar. „Es ist unbedingt notwendig, sich zusammenzuschließen und gemeinsam zu kämpfen, denn überall auf der Welt sind Rechtstendenzen in Regierungen erkennbar“, fasst Sebastian Beyer aus dem Organisationsteam das dringlichste Thema der 30. Filmtage zusammen.
Im vielfältigen Programm ist neben den ernsthaften Themen auch Platz für vermeintlich leichtere Unterhaltung. In „Les Crevettes pailletées“ (16.10., 20:00 Uhr, Passage) wird ein queeres Wasserballteam von einem Profisportler auf die Teilnahme an den Gay Games vorbereitet, in „Before you know it“ (Deutschlandpremiere: 18.10., 19:45 Uhr, Passage) versucht Rachel ihre trubeligen Familienverhältnisse zu klären, ihre Eltern werden gespielt von Mandy Patinkin und Judith Light, Alec Baldwin spielt ihren nutzlosen Therapeuten. In „J. T. LeRoy“ (Foto) (Deutschlandpremiere: 16.10., 22:30 Uhr, Metropolis Kino) spielen Kristen Stewart, Laura Dern und Diane Kruger den größten Literaturschwindel der vergangenen 30 Jahre nach. Unter den deutschen Filmproduktionen des diesjährigen Festivals finden sich „Darkroom – Tödliche Tropfen“ von Rosa von Praunheim (18.10., 20:00 Uhr, Passage) über den wahren Fall eines schwulen Serienmörders und „Uferfrauen – Lesbisches L(i)eben in der DDR“ (Weltpremiere: 20.10., 17:15 Uhr, Passage) von Barbara Wallbraun. Beide Regisseur*innen sind anwesend. Viele Nachwuchsfilmschaffende aus Deutschland präsentieren ihre Kurzfilmarbeiten am Sonntagnachmittag, wenn es heißt „Made in Germany“ (20.10., 15:00 Uhr, Metropolis Kino).
Ein filmisches Meisterwerk der diesjährigen Filmtage ist zweifelsfrei „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (16.10., 19:45 Uhr, Metropolis Kino), das von LIBERTINE präsentiert wird und die Geschichte der Pariser Malerin Marianne erzählt.
Ein ungewöhnlicher Auftrag führt die Künstlerin (Noémie Merlant) im Jahr 1770 auf eine einsame Insel an der Küste der Bretagne: Sie soll heimlich ein Gemälde von Héloïse (Adèle Haenel) anfertigen, die gerade eine Klosterschule für junge adelige Frauen verlassen hat und bald verheiratet werden soll. Denn Héloïse weigert sich, Modell zu sitzen, um gegen die von ihrer Mutter (Valeria Golino) arrangierte Ehe zu protestieren. So beobachtet Marianne Héloïse während ihrer Spaziergänge an die Küste und malt abends aus dem Gedächtnis heraus ihr Porträt. Langsam wächst zwischen den eindringlichen Blicken eine unwiderstehliche Anziehungskraft.
In wunderschönen Bildern, die selbst Gemälde sein könnten, erzählt die renommierte Regisseurin Céline Sciamma (WATER LILIES, TOMBOY) eine unglaublich feine Liebesgeschichte und formt zugleich ein kraftvolles, modernes Statement über die Situation der Frau über die Jahrhunderte hinweg – mit zwei brillanten Hauptdarstellerinnen Noémie Merlant (DIE SCHÜLER DER MADAME ANNE) und Adèle Haenel (DIE BLUMEN VON GESTERN, 120 BPM). Der Publikums- und Kritikerliebling in Cannes, ausgezeichnet für das beste Drehbuch!
Das gesamte Programm findet ihr unter: www.lsf-hamburg.de