Immer am falschen Ufer
Eigentlich müsste Bisexualität momentan als die zeitgeistgemäße sexuelle Orientierung schlechthin gefeiert werden: fluide, flexibel, grenzen-auflösend und schubladensprengend. Begehren unabhängig von Geschlecht! Liebe von allen, für alle, mit allen! Supernice eigentlich. Tatsächlich mehren sich bisexuelle Outings von Popstars und anderen Promis in der letzten Zeit. Im unglamourösen Alltag ist Bisexualität aber weiterhin alles andere als ein catchy Image.
Zwischen zwei Feuern
Egal, auf welcher Seite man gerade steht: von der Hetero-Mainstreamgesellschaft werden Bisexuelle zu aufmerksamkeitsheischenden, nimmersatten und daher permanent-verfügbaren sexy Flittchen konstruiert, die vielleicht irgendwie heiß, aber leider beziehungsunfähig weil notorisch untreu sind. Von der Gay-Community mindestens skeptisch beäugt bis offen angefeindet: zum Beispiel als zu feige zum „richtigen“ Outing oder als Probier-Lesbe, die es sowieso nicht ernst meint.
So hält sich hartnäckig die Theorie, dass es Bisexualität als dauerhafte sexuelle Ausrichtung eigentlich gar nicht gebe. Früher oder später würde sich schon zeigen, an welchem Ufer der Müll angespült wird. Gar nicht so leicht, sich auf eine unsichtbar gemachte Sexualität zu beziehen, ohne sich wie ein Freak zu fühlen.
Entweder Oder
Als ich anfing zu studieren, lernte ich in einem etwas ekligen Punkerschuppen Sophie kennen. Sie ging noch zur Schule und erzählte mir recht offenherzig von ihrer Beziehung mit Katja. Die Beziehung war offen – allerdings nur für Affären mit Männern, nicht mit anderen Frauen. Ein interessantes Konzept, über welches sich im Freund*innenkreis der beiden ausschließlich lustig gemacht wurde. Niemand nahm die beiden ernst und vermutlich taten sie es dadurch auch selbst nicht so richtig. Ich fand Sophie toll. Wir knutschten ein paar mal betrunken auf Partys, mehr passierte nicht. Ich hatte schließlich auch einen Freund, war also offenbar hetero und keine Lesbe.
Einige Jahre und viel feministische Lektüre später, nahm ich vorerst Abschied von der Hetero-Welt, führte Beziehungen und Affären nur noch mit Frauen. Als ich einem Ex-Lover davon erzählte, begannen seine Männeraugen zu leuchten. Ich konnte förmlich sehen, wie in seinem Kopf Pornofilme abliefen.
„Männer finden Schwule ekelhaft, aber Lesben geil“ – Antilopen Gang
Während bisexuelle Männer in Hetera-Augen ihre „echte Männlichkeit“ einbüßen, finden Hetero-Typen bisexuelle Frauen bisweilen interessant und aufregend. Pornos, die Sex zwischen Frauen offensichtlich in erster Linie für Heteromänner in Szene setzen, sind die Manifestierung der Phantasie, dass Frauen, die „eigentlich hetero“ sind, sich nur bi nennen oder mal mit Frauen knutschen, um von Männern heiß gefunden zu werden. Ein weiteres Vorurteil, mit dem sich Bi-Frauen herumschlagen müssen.
Weder Geheimnis, noch Attraktion
Die Vorstellung, dass Bisexuelle ständig ganz viel ganz abgefahrenen Sex haben, stößt ab oder macht mitunter neugierig. Die Attraktion endet allerdings an der Pforte zur festen (monogamen) Beziehung. Dass Bisexuelle nicht treu sein können, scheint quasi in ihrer Natur zu liegen.
Im Forum der Onlinedating-Plattform „ElitePartner“ äußert sich eine Userin ziemlich angewidert zu bisexuellen Tendenzen und stellt die Behauptung auf, Bisexualität sei „nicht kompatibel mit einer vertrauensvollen, treuen, exklusiven Partnerschaft.“ Im weiteren Verlauf des Threads wird über den Zusammenhang zwischen Bisexualität und Promiskuität gerätselt. Gern würde eine Statistik dazu zitiert werden, aber „Im Netz konnte ich leider keine eindeutigen Hinweise dafür finden.“ Trotzdem wird im Anschluss weiter gefeuert: „Weder Geheimnis, noch Attraktion, sondern einfach nur inakzeptabel.“
Das B in LGBTI
Viele Bisexuelle fühlen sich der LGBTI-Community zugehörig. Aber auch hier ist Bisexualität meistens unsichtbar, in ihrer Spezifik unterthematisiert und bei der Partner*innenwahl nicht selten ein Ausschlusskriterium. So erzählt meine Freundin Martha vor kurzem von einer neuen Affäre mit einer unglaublich tollen Frau, der sprichwörtlich Sex auf die Stirn geschrieben stünde. Wow.
Doch als Martha herausfindet, dass die Stirn sich auch mit Männern trifft, macht sie sofort Schluss. „Aus Prinzip“, sagt sie. Alles klar.
Aus queeren und queerfeministischen Kreisen, wo alle so yeah die Auflösung der Geschlechterkategorien abfeiern und „Lieb doch, wen du willst!“ skandieren, kommt außerdem der Vorwurf, die Bezeichnung „bi“ reproduziere das binäre Geschlechtersystem – also die Vorstellung, dass es nur die beiden Geschlechter „Mann“ und „Frau“ gebe. Diese Behauptung gilt für die Begriffe homo und hetero allerdings auch. Zudem kann Bisexualität auch in dem Sinne verstanden werden, sowohl gleichgeschlechtlich als auch andersgeschlechtlich zu lieben und eben nicht monosexuell.
Whatever. Von mir aus auch pansexuell. Das löst jetzt nicht das Problem.
Entscheiden Sie sich jetzt!
Als ich einige Zeit nach der Trennung von meiner Freundin anfing, auch wieder Männer zu daten, wurde es kompliziert. Sie fühlte sich verraten und stellte sogar unsere gesamte zweijährige (!) Beziehung unter den Verdacht, lediglich ein Ausrutscher aus meinem straighten Life gewesen zu sein. „Ekelhaft“, so ihr vernichtender Kommentar zu meinem Liebesleben. Prompt fühlte ich mich schuldig. Und, viel gravierender, extrem verunsichert. Denn mir war unklar geworden, wie ich mich positionieren sollte. Und ich fühlte mich unter Druck, mich entscheiden zu müssen. Homo oder Hetero?
Bi schien mir als Antwort plausibel. Aber welche Voraussetzungen muss ich denn erfüllen, um mich bi zu nennen? Zu welchem Anteil müssen meine Dates männlich sein, damit ich nicht als Lesbe „enttarnt“ werde? Umgekehrt: Mit wie vielen Frauen pro Jahr muss ich schlafen, um nicht als Hetera zu gelten? Ab welchem Mengenverhältnis muss/darf/sollte ich mich mit den schönen Labeln heteroflexibel/homoflexibel schmücken? Wie ist das überhaupt in den Zeiten, in denen ich Single bin? Und wie bi bin ich noch, wenn meine monogame Beziehung zu einem Mann schon zehn Jahre dauert?
Alles fließt, sagt Heraklit
Nun möchte manch eine*r, den oben erwähnten Zeitgeist beschwörend, die Frage stellen, was denn falsch daran wäre, sexuelle Orientierung als fließende, in unterschiedlichen Phasen ablaufende Bewegung zu betrachten. Schön und plausibel ist doch die Vorstellung von sich ständig wandelnder Liebe. In anderen Lebensbereichen wechseln wir schließlich auch ständig unsere Vorlieben – was ein Glück ist, denn sonst müsste ich seit 15 Jahren orange Cordhosen tragen und Ska-Punk hören. Klar, falls ich eines Abends doch nochmal dazu tanzen möchte, ist es schön, wenn diese Schublade nicht zugeschnappt ist.
Aber genauso wie Menschen sich als konstant hetero, lesbisch, schwul positionieren, ist auch Bisexualität keine Phase der Desorientierung, sondern eine klare Ausrichtung. Ob sich das Begehren im Laufe eines Lebens mal ändert, ist bei Bisexuellen ebenso offen wie bei allen anderen auch. Bis dahin ist es doch ganz einfach: manche Menschen sind bi.
Das ist kein Hin- und Her-Gehopse von gay zu straight, sondern eben einfach beides.
Und von alldem mal abgesehen: es wird Sommer, wer will denn da an irgendeinem Ufer stehen?
Mitten im See zu schwimmen ist doch beiweitem schöner.
Text: Helene Anders Foto: Alom Amour