Von Zweck und Zärtlichkeit
Bini Adamczak hat nicht viel Zeit. Sie hat das „gefährlichste Buch Allerzeiten“ geschrieben – so steht es jedenfalls auf economicpolicyjournal.com – und damit einen Shitstorm von Rechten in den USA ausgelöst. Seitdem ist das Medieninteresse an ihr groß.
Ich treffe Bini in ihrem Büro in der Lausitzer Straße in Berlin-Kreuzberg. Der Gewerbehof, liebevoll „Lause“ genannt, beherbergt eine Vielzahl gemeinnütziger Vereine, Künstler*innen, linker und feministischer Initiativen und Freelancer*innen, die erst kürzlich durch gemeinsames Engagement den geplanten Verkauf der Gebäude – zumindest vorerst – abwenden konnten.
„Das macht einen ganz zentralen Unterschied“, sagt Bini über die kollektive Organisierung der Lause. Als freie Autorin und Künstlerin arbeite sie viel mit ihrem Computer, also eher allein. Da sei es naheliegend, in einem Co-Working-Space unterzukommen. Diese kommerziellen Flächen hätten allerdings „den Charme eines ICE-Bordbistros“. Denn wo die Menschen Räume nicht verändern dürfen, sondern sie in einem weiterverkaufbarem Zustand erhalten müssen, sei die Beziehung der Menschen zu dem Raum, aber auch die Beziehung zwischen den dort arbeitenden Menschen, zwangsläufig entfremdet und distanziert. „Die Wände sind gewissermaßen so glatt, dass die Menschen immer daran abrutschen und keine Spuren hinterlassen.“
In einer kollektiven Organisierung hingegen könnten die Räume und auch die Regeln selbst gestaltet werden. Das Besondere daran seien vor allem die darin neu entstehenden Beziehungen zwischen den Menschen, meint Bini und erklärt das an einem Beispiel aus ihrem Wohnhaus: Nach der Modernisierung des Hauses war eine Mieterhöhung angekündigt worden. Einige Mietparteien versuchten, sich als Einzelne gegen die Erhöhung zu wehren – und scheiterten. Also schlossen sich die Mieter*innen zusammen, um der Hausverwaltung als Gemeinschaft entgegenzutreten. Mit Erfolg: Die Mieterhöhung fiel am Ende 50% geringer aus als angekündigt.
Aber es passierte mehr, als nur diesen äußeren Zweck durchzusetzen: Zwischen den Bewohner*innen entstand ein Austausch, neue Beziehungen; der Hinterhof wurde gemeinsam umgestaltet, um dort mehr Zeit verbringen zu können. Das Haus, in dem sich die Menschen vorher eher distanziert oder sogar misstrauisch begegneten, würde nun „behaust von einer lebendigen Kollektivität“.
Kollektivität – diesen Begriff zieht Bini dem des Kollektivs vor. Der Begriff „Kollektiv“ erwecke die Assoziation von einer in sich geschlossenen Einheit, in der das Individuum von der Gemeinschaft beherrscht wird. Was Gemeinschaft aber ausmache, sei eben nicht ein geschlossener Kreis, sondern die Verbindungen darin, die Beziehungsweisen. „Wenn es dir zu theoretisch wird, sag Bescheid!“, sagt sie und lacht.
Inzwischen haben wir die Lause verlassen, um draußen in der Sonne eine Cola zu trinken. Der Verkehr rauscht vorbei, Bini winkt, als Aydin Akin, fahrradfahrender Aktivist und kleine Berühmtheit in Berlin, der seit Jahren für das kommunale Wahlrecht von Ausländern in Deutschland kämpft, vorbeifährt.
„Kollektivität ist“, da ist Bini sich sicher, „der Garant von Freiheit.“ Denn nicht als Individuum. sondern nur gemeinsam ließe sich über die Bedingungen des Lebens bestimmen: „Nur in dem Moment, in dem wir uns zusammentun, passiert etwas.“ Zugleich sei aber Kollektivität als „zärtlicher, solidarischer Zusammenschluss“ selbst auch schon Zweck. Zusammengefasst heißt das: „Menschen kommen zusammen, um zusammen zu sein.“
Das Wetter ist schön und Binis Geschichten sind es auch: Menschen kämpfen gemeinsam für eine Sache, lernen sich dabei kennen und sitzen am Ende des Tages zusammen in ihrem schön gestalteten Hinterhof und grillen.
Ganz so einfach kann das nun doch nicht sein. Oder? „Die Organisation selbst und die Zeit, die sie braucht“, ist Binis Antwort auf die Frage nach den größten Schwierigkeiten von kollektivem Handeln.
Wo wir normalerweise nicht mit Anderen in Kontakt treten, bestehe Fremdheit, Misstrauen und Konkurrenz. Beispielsweise lernen wir die Hersteller eines Produkts, das wir kaufen, für gewöhnlich nicht kennen. Wir müssen uns nicht miteinander auseinandersetzen; das Geld regelt diese Beziehung und hält uns auf Distanz. Organisieren wir uns hingegen gemeinschaftlich, bedarf es regelmäßiger Treffen, Auseinandersetzung und Koordinierung. Es könne schon mal sehr anstrengend und auch zeitraubend sein, darüber zu verhandeln „wie viel Bedürftigkeit von wem, wie viel Subjektivität, wie viel Erfahrungen dort Platz haben.“
Eine weitere große Herausforderung sei die Frage von Nähe und Distanz. Denn manchen Menschen oder deren Befindlichkeiten möchte man vielleicht eigentlich lieber aus dem Weg gehen. Im besonderen Maße beträfen diese Schwierigkeiten feministische Organisierung. Die feministische Forderung, das Private zum Politischen zu machen, und damit auch Gefühlen und Ängsten Raum zu geben und als politisch zu betrachten, sei ohne Zweifel revolutionär und progressiv. Allerdings berge dieser Anspruch die Gefahr, dass „man sich an diesen Befindlichkeiten zerfleischt“ und gerade das gemeinsame politische Arbeiten zum Erliegen komme.
Trotz dieser Herausforderungen und der Tatsache, dass man „nicht immer so viel Bock“ aufs Plenum hat, merkt man Binis Erzählungen an, dass es sich lohnt, das alles auf sich zu nehmen.
Die Cola ist leer, mein Aufnahmegerät voll – und mein Kopf ist es auch. In der Kürze der Zeit habe ich Bini bereits liebgewonnen. Auch wegen ihres Talents, die Erzählweise zu wechseln und komplexe Theorie anhand eines Beispiels verständlich zu machen. Bini muss wieder an die Arbeit, aber eine Sache möchte sie am Ende noch anmerken: „Eigentlich ist es, wenn man ein Heft macht über Kollektivität, schade, jemanden alleine zu interviewen. Es wäre doch netter gewesen, noch andere Leute dazu zu nehmen und gemeinsam zu antworten. Sich auf die Beziehungen selbst zu beziehen.“ Da hat sie wohl recht – wie so oft an diesem Tag.
Bini Adamczak, Jahrgang 1979, ist freie Autorin und Künstlerin. In ihren Texten befasst sie sich mit queerfeministischer und materialistischer Politik. Bislang veröffentlichte sie zwei Bücher: „Gestern Morgen – Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft“ und „Kommunismus – kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird“. Letzteres erschien 2017 unter dem Titel „Communism for Kids“ beim MIT Press Verlag in den USA. Bini Adamczak lebt in Berlin.
Text: Marike Bode Fotos: Kornelia Kugler