The Purpose of Your Life: Finde deinen individuellen Weg
Wie würdest du dein Leben gestalten, wenn du dir keine Sorgen um Geld machen müsstest? Wenn du ein Grundeinkommen geschenkt bekommen würdest oder ein Erbe anstünde. Wie schön wäre es, wenn jede ihrer Berufung nachginge und nicht nur einem Beruf. Wenn es okay wäre, ganz still zu werden und sich darauf zu besinnen, wonach die Seele wirklich ruft, anstatt immer nur den Stimmen der Familie, Freund*innen und Gesellschaft Gehör zu schenken. Würde es dir Angst machen, da du nun selbst für dein Glück verantwortlich wärest?
Weil mich das Thema Lebensaufgabe so brennend interessiert, befasse ich mich seit meinem Abitur mindestens einmal pro Tag damit. Musste ich auch, denn nach der Zeugnisvergabe wurde ich erst einmal von einer Sinnkrise heimgeholt. Während sich alle schon erfolgreich an den Unis einschrieben oder für ihre Ausbildungen neue Ordner besorgten, plagte mich eher die Frage, wer ich denn nun sei. Ich fühlte mich definitionslos, so ohne Schülerstatus. Und schon sollte ich bestimmen, in welche Richtung mein Leben zu laufen hatte? Den Anschluss an die anderen zu verpassen war aber auch nicht drin. Obwohl mir das Schreiben immer leicht fiel, sollte ich der Meinung meines Vaters zufolge natürlich nicht als mittellose Künstlerin enden. Und so bewarb ich mich wie so viele tierfreundliche Mädchen um die Tiermedizin. Dass ich drei Jahre in Folge von allen deutschen Universitäten und sogar in Ungarn abgelehnt wurde, war mir wohl noch nicht Zeichen genug und so begnügte ich mich derweil mit einer Ausbildung zum Tierheilpraktiker und einem Teilzeitjob im Café.
Zeichen erkennen
Nach der vierten Runde Ablehnung kam Panik auf. Viele meiner Freund*innen waren meiner Meinung nach bereits in sinnvollen Berufen untergebracht oder studierten gerade fertig. Die wenigen Looser, denen es so ging wie mir, zählte ich mental nicht mit. Alle waren im Leben und ich nur ein sinnkrisengeprägter, grübelnder Twen. Sie konnten sich nun schon über ihr neues Bild definieren, ich wollte einfach nur meinen Platz finden: eine Berufsgruppe, der ich mich zugehörig fühlte. Ich musste raus und so flehte ich meine Eltern an, mir einen halbjährigen Sprachkurs in San Francisco zu bezahlen. Neben der Stadt lernte ich neben lieben Menschen vor allem meine erste Liebe kennen: das Yoga.
Hingeführt wurde ich von einer zauberhaften Lehrerin, Alexandria, die zwischen ihren zierlichen Schulterblättern einen noch zierlicheren Regenbogen tätowiert hatte. Ihr Unterricht war fordernd, aber machbar, die einzelnen Asanas machten Spaß und zur Endentspannung spielte sie Lamb von Gabriel. Den Rest des Tages schwebte ich durch die Stadt. Als ich dann mein erstes Mal ein Yogamagazin in der Hand hielt, füllte sich mein Bauch mit Schmetterlingen. Ein weiteres Zeichen, denn ein paar Jahre später würde ich dann bei der deutschen Lizenz eben diesen Magazins als Yoga-Journalistin anfangen.
In Nordamerika hörte ich auch zum ersten Mal, dass der Beruf Spaß machen sollte. Dann kämen die Münzen schon von ganz alleine angerollt. An den überaus gefürchteten Aufnahmetest zum Journalismus-Studium traute ich mich dennoch nicht heran und so entschied ich mich erst einmal für einen ganz „normalen“ Studiengang, den ich aus dem Fächerkatalog einer deutschen Uni-Homepage entnahm: Geographie sollte es werden, in Berlin. Natürlich war auch dies relativ leidenschaftslos und ich zwang mich mehr denn je in Vorlesungen. Für meinen weiteren Lebensweg war aber genau dieser Schritt essentiell, denn in dem neuen Café, in dem ich hier jobbte, erzählte mir eine Mitarbeiterin von ihrem Modejournalismus-Studium. Ich war sofort begeistert und besuchte den nächstmöglichen Infoabend, bewarb mich direkt und wurde nach mehreren Aufnahmetests tatsächlich aufgenommen. Bereits in der ersten Woche war mein heißbegehrter Kurs zum kreativen Schreiben schon ausgebucht, weil ich mal wieder zu spät dran war. So setzte ich mich dann als fast Einzige in ein Podcast-Seminar und lernte, wie ich kleinere Videobeiträge produzieren konnte. Und mein true calling hatte mich gefunden.
Ich habe mich wirklich nie bewusst dafür interessiert, Filme zu machen, und doch eint es in sich viele meiner Leidenschaften. Auch heute noch bin ich furchtbar aufgeregt, wenn ich eine Kamera in die Hand nehme oder mich an den Schnitt setze, und immer fühle ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin – auch, wenn ich ihn oft für mich selbst pflastern muss. Schreiben ist immer noch eine Leidenschaft, aber ich weiß, dass ich mit den Filmen weitermachen muss. Es ist wie eine hausgemachte Challenge, die mich antreibt und mir auch Angst macht, der ich jedoch nicht entkommen kann.
Mit Gefühl
Seit den Lehrjahren ist etwas Zeit vergangen und nach eineinhalb Jahren im Ausland bin ich nun wieder in der Heimat. Ungeplant, aber nicht ohne Sinn. Dennoch soll jetzt ein Job her neben dem Freelancen, mal wieder etwas Stabiles. Grob überlegt kann ich relativ vieles, aber dieses Vieles irgendwie auch nicht so richtig, denn ich bringe mir als Autodidakt gerne Interessantes selbst bei. Mein Zickzack-Lebenslauf erinnert mich an viele schöne Stationen – aber ist er auch für meinen neuen Arbeitgeber*innen attraktiv? Wie motiviert muss ich mich im Bewerbungsschreiben zeigen, wenn ich es nicht wirklich bin?
Während ich also nun an diesem Artikel schreibe, muss ich immer wieder an ein paar meiner Freund*innen denken. Just in diesem Moment sind nämlich gar nicht mal so wenige von ihnen auch auf Jobsuche. Smarte Frauen mit Studium, Ausbildung oder beidem, teils auch mehreren von eben diesen. Trotzdem sitzen sie vergrämt und panisch, an manchen Tagen auch depressiv und mutlos, zuhause herum und finden ihren Platz in der Gesellschaft nicht. Auch ich finde mich in derselben Position wieder, die ich damals vor meinem Aufbruch schon für passé hielt. Nie wieder wollte ich um einen Job betteln oder mich anstellen lassen. Und trotzdem scrolle ich mich auf diversen Plattformen erst einmal Seite um Seite durch, baue Frustration auf, weil in Redaktionen wohl keine Redakteur*innen und Journalist*innen, sondern nur noch Praktikant*innen gesucht werden, am besten auf Jahresbasis. Auch andere Jobangebote reizen mich wenig. Aus Erfahrung weiß ich, dass zu viel aufgebrachte Mühe für ein unstimmiges inneres Gefühl keine gute Gleichung ist. Nicht, weil ich mich als faul benennen würde, aber ich sehne mich nach dem Gefühl, im Fluss zu sein. Mehr Grübeln folgt. Und die Deadline für diesen Artikel rückt immer näher. Wie soll ich bitte schön einen motivierenden Text verfassen, wenn ich selber grad in einer Krise stecke und schon nicht mehr an die göttliche Führung, geschweige denn an meine Berufung glaube? Vor einem halben Jahr erst war ich doch noch so fest davon überzeugt, dass alles genau so läuft, wie es laufen soll.
Lebenswettlauf
Aber wie ist denn der Lauf der Dinge eigentlich? Wir wissen, dass es im gesamten Universum keinen statischen Moment gibt, dass alles permanent in Bewegung ist, die Ebbe auf die Flut folgt. Aber wenn es dann um den Lebenslauf geht, dann soll bitte alles schön schnurstracks und erfolgsweisend sein. Das Wort „Lebenslauf“ oder curriculum vitae (CV) erscheint mir per se schon sehr komplex. Suggerieren könnte es einem ein liebliches Bild von einem wild bewachsenen, romantischen Garten. Realistischer wäre allerdings ein Barockgarten, mit gestutzten Hecken und akkurat vermessenem Rasen. Das lateinische Wort curriculum hat neben der generellen Übersetzung „Lauf“ aber auch noch eine andere Bedeutung – nämlich „Wettlauf“. Das erinnert schon eher an den wohlbekannten Zirkus, der oft wegen den paar DIN-A4-Seiten veranstaltet wird. Welche Bedeutung man nun für sich und sein Leben wählen möchte, ist natürlich jeder selbst überlassen. Vergessen sollte man dabei allerdings nicht, dass wir nicht geboren wurden, um als Arbeitsmaschinen unser Dasein zu fristen. Wir sind Wesen, die sich den Windungen des Lebens anpassen und die Welt mit unseren Beiträgen unterstützen können. Als „Arbeitskraft“ sind wir hilfreich, stellen also einer bestimmten Aufgabe unsere wertvolle Energie entgegen. So eine kostbare Gabe ist eigentlich nicht mit Geld aufzuwiegeln und wenn doch, sollte man zumindest dafür geehrt werden, anstatt sich bei einem Bewerbungsgespräch wegen einer zu langen Auszeit zwischen zwei Arbeitsverhältnissen in der Vergangenheit kritisieren zu lassen.
Was du tun kannst, ist, dir darüber bewusst zu werden, dass du für dich lebst und nicht für den nahtlosen Übergang zwischen den Zeilen. Für keine*n Chef*in, für keine Rente und nicht für deine Eltern. Wenn du dir deinen Lebenslauf so ansiehst, werde mild und nicht urteilend. Sehe dir an, wohin dich das Leben getragen hat und was du an den einzelnen Stellen lernen konntest. Und frage dich dann, wie sich daraus deine Berufung ableiten könnte. Wenn du sie erst einmal gefunden hast, wirst du dich nie wieder fragen, ob dieser oder jener Schritt in deiner Bewerbungsmappe Sinn macht. Denn dann folgst du deinen eigenen Regeln.
Ein Blick in die Kinderstube
Aber wie kommt man an ein Gespür für das, für was man berufen ist? Am besten packt man dazu die Kinderfotos aus. Weißt du noch, was du als Kind am liebsten gemacht hast? Wofür hast du dich stundenlang begeistern können? Soweit ich mich erinnern kann, machen Kinder den ganzen Tag, was ihnen Freude bereitet. Sie sind noch zu stark in Verbindung mit sich selbst und meilenweit davon entfernt, sich Gedanken über sozialen Status oder ein Einkommen zu machen. Ich zum Beispiel habe stundenlang gemalt, eigene Magazine gebastelt und mich in andere Welten hinein gespürt. Wenn ich eine schöne Blume am Wegrand sah, musste ich sie auch vorbeilaufenden Erwachsenen zeigen, obwohl ich eigentlich eher schüchtern war. Auch heute noch kann ich mich stundenlang allein beschäftigen, in andere Welten träumen, sie erschaffen und andere damit inspirieren.
Du kannst dich dazu getrost von deiner inneren Stimme leiten lassen. Wenn sie etwas Wichtiges zu sagen hat, flüstert sie. Sie flüstert, gar haucht ihre Ideen ins Herz und lässt es schneller schlagen. Ich meine, dass die Berufung im tiefsten Inneren befriedigend sein sollte. Sie sollte ein Teil von uns sein, aus Talenten geboren und von Leidenschaft befeuert. So sehr, dass man merklich auf einer höheren Schwingung vibriert, die sich zum einen auf heilsame Weise im eigenen Körper manifestiert als auch positive Energie in die Welt entsendet. So wie in Tibet die Mönche für die ganze Welt mitbeten und die Schwingung der Welt für Frieden erhöhen.
Das Wichtigste ist jedoch, dich nicht verrückt zu machen und zu vertrauen, dass alles schon irgendwie seine Richtigkeit hat. Und das kann verdammt schwer sein, wenn Miete und sonstige Rechnungen anstehen oder man sich auf einer Frequenz befindet, die einen als Nichtsnutz wirken lässt. Wenn einem der Job gerade so gar nicht gefällt, man aber derzeit keinen Ausweg sieht. Oder man die Übergangsphase zwischen Vergangenheit und Zukunft gar nicht aushalten kann.
Wie schön wäre es auch, wenn man die Phasen ohne Plan einfach genießen könnte. Das Aufstehen auf mittags verschieben. Bis tief in die Nacht Wein zu trinken. Am Straßenrand stehen bleiben und mal die Häuserwände um einen herum hochsehen – da gibt es viel zu entdecken und vielleicht sogar ein neues Zeichen für deinen Weg.
Dein eigenes Mosaik ist das schönste
Jede hat ihren eigenen Weg, ihren eigene Aufgabe, der sie folgen wird. Deine Berufung ist ein Teil von dir und du kannst ihr gar nicht entkommen. Früher oder später lernt ihr euch kennen. Vielleicht wird es sich anfühlen wie eine Begegnung mit einer Seele, der du merklich nicht ohne Grund über den Weg gelaufen ist. Oder wie eine Sandkastenliebe, die du nun nach Jahrzehnten mit ganz anderen Augen betrachtest.
Ich stelle mir gern vor, dass jede meiner Handlung und Erlebnisse Mosaiksteine sind, die zusammengesetzt am Ende des Lebens mein individuelles Bild ergeben. Dazu sind auch schwarze Steinchen notwendig, um Konturen zu ziehen, und bunte, um Lebendigkeit zu zeigen. Und das bedeutet auch, dankbar zu sein für all die Tage, die wie schwarze Steinchen sind, denn auch sie definieren mein Leben. Sie geben einen Rahmen und sind genauso wichtig wie die helleren und bunten.
Vergiss nie, du bist ein ganzheitliches Wesen mit einer großartigen Seele, mit einer bitzelnden Energie, einer funkelnden Aura und mehreren Körperhüllen, bei denen die Haut wirklich nur eine ist. Du bist nicht in diese Welt geboren worden, um dein Strahlen abzugeben, um dir die Miete leisten zu können oder nur in einem Land zu weilen. Es ist wichtiger, dich mit dir selbst und dem Kosmos auseinanderzusetzen und zu lernen, wie kraftvoll und einzigartig du bist. Du sollst genau das Leben führen, das sich richtig anfühlt. Du bist genau mit diesen Talenten geboren worden, die dir in diesem Leben helfen sollen, deine Aufgabe so gut und auch so leicht wie möglich umzusetzen.
Kurz vor der maximalen Deadline sitze ich nun wieder vor diesem Text. Ich habe eine intensive Phase hinter mir, in der ich mein Getextetes und meine Ideologie gleich auf Glaubwürdigkeit testen konnte. Und ich muss über das Ergebnis lächeln. Es hat sich alles sinnvoll gefügt und ich habe auf oft magische Weise neue Aufträge bekommen, die mir sowohl genug Geld für Notwendigkeiten spenden, mich interessieren und fordern, meinen Idealen entsprechen und mir zudem noch genügend Zeit lassen, an meinen Herzensprojekten zu feilen. Ich kann ausreichend in der Natur umherwandern und mich wieder an dem gut bekannten Gefühl erfreuen, mich würde eine unsichtbare Kordel langsam und vorsichtig durch mein Leben ziehen. Manchmal zieht sie heftiger, manchmal schleift sie vielleicht gar lose am Boden entlang, aber sie ist da und sie ist auch mit dir verbunden. Ich wünsche dir, dass du Geduld entwickeln kannst, zu lernen auf dein Gespür zu vertrauen. Und dass du mutig sein wirst, dem Brennen in deinem Herzen zu folgen.
Alles Liebe für dich. Deine Laura
Individuelles Glück statt Selbstoptimierung – in zwei Teilen nimmt uns unsere Autorin Laura Hirch mit auf ihre ganz persönliche Reise zur inneren Freiheit und Selbstfindung. Dies ist der zweite Part, den ersten findest du hier.
Möchtest du mehr über Laura, ihre Arbeit und Filme erfahren? Dann schau mal auf ihrer Website vorbei. Wir möchten dir auch unbedingt Lauras Dokumentation WOMENBODIMENT – Women Healing Women ans Herz legen. Darin geht es um Schwesternschaft, Mutterschaft, Freundschaft, Hingabe, Kreiskultur, Lebendigkeit, Schoßraumgefühl, Natürlichkeit und Heilung. Hier geht es zum Trailer, den gesamten Film könnt ihr euch für 8,90 Euro freischalten lassen. Oder einen Freischaltungscode bei uns gewinnen:
VERLOSUNG
Einfach bis zum 31. Januar eine Email an hello@libertine-mag.com senden. Betreff: WOMENBODIMENT. Die drei Gewinner*innen werden per Zufallsprinzip ausgelöst. Viel Glück!
Mach 2021 zu deinem Jahr: Alle Infos und Artikel zu den LIBERTINE Self Care & Inner Bonding Weeks findest du hier.
Text Laura Hirch Illustrationen Laura Breiling